Und als würde es schon zu einer Wochenend-Gewohnheit gehören, werde ich am nächsten Morgen vom Klingeln des Telefons unsanft aus meinen Träumen gerissen. Oh man, ich habe jetzt wirklich keine Lust, aufzustehen. Ich ziehe mir das Kissen übers Gesicht und warte einfach das Ende der Bandansage ab. An Schlaf ist nun leider nicht mehr zu denken, und so steige ich etwas missmutig aus dem Bett. Ich weiß, dass mir ein Besuch bei meiner Mutter heute nicht erspart bleibt und mich beschleicht die leise Ahnung, dass sie der Verursacher dieses grässlichen Telefonklingelns war. Das Abhören des Anrufbeantworters gibt meiner Vermutung recht. «Hallo Mädel, melde dich doch mal, wenn du aufgewacht bist, wir können doch heute Vormittag in die Stadt fahren und mal sehen, ob wir was Nettes finden. Außerdem habe ich eine Überraschung für dich», tönt die Stimme meiner Mutter vom Band.
Das ist Ihre Art, mich aufzumuntern. Aber bin ich deprimiert oder traurig? Nein, irgendwie durchlebe ich zwar gerade eine Achterbahn der Gefühle, aber dieser Art sind sie nicht, das ist es nicht, was ich fühle. Ich schaue mich in der Wohnung um und zum ersten Mal lasse ich den Gedanken zu, dass ich vielleicht gar nicht mehr lange hier bin. In dieser tollen Wohnung mit dem Südbalkon, auf dem ich schon viele schöne Stunden verbracht habe. Ich gebe mir eine Auszeit von vier Wochen, in denen es mir möglich sein sollte, mithilfe von Lizzie und auch meiner Familie, alles für meine große Reise vorzubereiten. Der Gedanke, in diesem Zuge endlich nicht mehr um den Spanischkurs zu kommen, den ich schon so lange angehen will, entlockt mir ein Lächeln. Wie oft habe ich mir schon vorgenommen, endlich damit zu beginnen, mit meiner Lektüre an spanischen Lern-CDs, Büchern und Karteikarten könnte locker das halbe Dorf Spanisch lernen. Doch schon nach dem Ersten «Ola, me llamo Emmi, et tu?», verliert sich meine Motivation im Nirwana. Es soll doch auch Menschen geben, die sich mit Kleinigkeiten zufriedengeben, und zu der Sorte gehöre ich eben, tröste ich mich jedenfalls über diesen Missstand hinweg. Diese Ausrede funktioniert leider nur partiell. Ich liebe diese Sprache, ich könnte stundenlang zuhören, wenn jemand Spanisch spricht. Allein schon dieses rollende R, das ist so sexy. Und doch verstehe ich rein gar nichts außer Ola und Adios. Später am Tag macht ich mich also auf den Weg zu meiner Mutter. Die fünf Minuten Fahrt mit dem Auto nutze ich natürlich für eine Zigarette. Zugegeben alles andere als ein Genuss, vielmehr eine blöde Angewohnheit. Sie sieht mich vom Küchenfenster aus auf den Hof einparken und steht bereits erwartungsvoll an der offenen Tür, als ich endlich aussteige. Ihre Miene schwankt zwischen echter Freude und Mitleid.
«Komm her, wie geht es dir heute?»
«Gut», sage ich, «erstaunlich gut sogar. Ich bin gerade dabei, Pläne für die Zukunft zu schmieden und die stimmen mich heute fröhlich.» Ich will ihr heut von meinem Plan erzählen, aber dazu brauche ich eine Tasse Kaffee, an der ich mich festhalten kann. Ich bin sehr nervös, vermutlich weil ich befürchte, sie redet mir das Ganze aus. Ich will also gerade loslegen, da legt sie los.
«Also hör mal, ich habe mir viele Gedanken gemacht, was du jetzt tun könntest, was dir guttun würde, ich möchte dir einfach irgendwie helfen. Und da habe ich ein Telefonat mit meiner Freundin in Barcelona geführt und sie hat mich auf eine super Idee gebracht. Wie wäre es, wenn du einfach mal eine Zeit lang ins Ausland gehst, nach Spanien? Du liebst doch dieses Land.» Erwartungsvoll sieht sie mich an.
«Und jetzt kommt das Beste, du könntest, natürlich nur, wenn du willst, in dem Haus von Silvia wohnen, sie hat in einem kleinen Touristenort im Norden ein Haus und würde es dir zur Verfügung stellen. Dann wärst Du relativ sicher dort und nach einer kleinen Auszeit könntest du dir eine Arbeit suchen.»
Voller Eifer spricht sie weiter. «Empuriabrava wird auch das klein Venedig Spaniens genannt wegen seiner vielen Wasserstraßen. Mit rund 8.000 Einwohnern scheint dieses Städtchen im Norden Spaniens recht überschaubar zu sein. Auch die Lage ist vielversprechend, am Ausläufer eines Gebirges gelegen und direkt am Meer in einer Art Bucht. Die Stadt ist recht schmal, vom Ortseingang bis zum Meer sind es ungefähr 3 km. Barcelona ist zwar etwas entfernt, aber vielleicht ergibt sich eine Lösung in ihrer Firma, oder du findest etwas anderes. Was sagst du? Mädel, sag doch was.»
Ihre Gesichtszüge entgleiten ihr, als sie mich ansieht. Ich kann nicht annähernd in Worte fassen, was ich fühle, was mir durch den Kopf geht, als ich da so in der Küche meiner Mutter sitze und ihr zuhöre. Ich kann es gar nicht glauben, ich bin völlig fassungslos. Das Ganze wird von der Tatsache gekrönt, dass es sich bei Empuriabrava um eine Stadt handelt, die gerade mal 25 km von Cadaques entfernt liegt, das Örtchen, in das ich mich auf den ersten Bilderblick verliebt habe. Das ist doch jetzt ein Witz, oder? Wo ist die versteckte Kamera? Ich kann nichts sagen, ich starre meine Mutter mit offenem Mund an, zugegeben, sieht sicherlich ziemlich dämlich aus, und dann bekomme ich auch noch einen meiner berühmten Lachanfälle. Wenn mein Adrenalin zu hoch ist, reagiert mein Körper mit einem hysterischen Lachanfall, ich kann das nicht steuern und leider hat mich das schon in die ein oder andere peinliche Situation gebracht. Doch jetzt stehe ich auf, immer noch lachend, und falle meiner Mutter um den Hals. Manchmal geht mir meine Mutter gehörig auf die Nerven, aber in diesem Moment liebe ich sie von ganzem Herzen. Sie selbst will es mir anfangs gar nicht glauben, als ich ihr von meinen Plänen erzähle und schließlich sitzen wir beide in der Küche und lachen und lachen, bis mein Lachen irgendwann in ein klägliches, wimmerndes Weinen übergeht. Meine Mutter würde sich gleich ans Telefon hängen, nachdem ich gegangen war, um Silvia von dieser Entwicklung zu erzählen.
An der Tür hält sie meinen Arm fest und sagt: «Weißt du Mädel, mir ist natürlich nicht nur wohl bei dem Gedanken, dass du alleine ins Ausland gehst. Aber die Tatsache, dass wir beide unabhängig voneinander die gleiche Region Spaniens gewählt haben, sagt mir, dass diese Entscheidung richtig ist. Wir können nicht vorhersagen, was geschieht, aber für mich ist das ein Zeichen, dass du es versuchen musst. Stürz dich in das Abenteuer und wenn es dir nicht gefällt, kommst du wieder nach Hause und dann sehen wir weiter.»
Auf der Heimfahrt hat mein Kopfkino die zweifache Geschwindigkeit eingestellt. Ganz langsam, irgendwo im hintersten Teil meines Hirns manifestiert sich dieser Gedanke und ich fühle mich gut dabei.
Kapitel 5
Ich bin in meine Recherchen vertieft und gedanklich wähne ich mich am Strand unter Palmen. Ich spiele mit meinen Zehen im warmen Sand, lass ihn durch meine Hände rieseln. Im Hintergrund höre ich das beruhigende Rauschen der Meeresbrandung. Ein warmer Wind streift zärtlich über meine Wange und spielt sanft mit meinen Haarsträhnen. Das Läuten des Telefons holt mich jäh in die Wirklichkeit zurück.
»Hallo?«, blaffe ich gedankenlos in den Hörer.
»Hey, spreche ich mit Emmi?«, ein verlegenes Räuspern, die Stimme kommt mir nicht bekannt vor.
»Ja, genau«, erwidere ich verwundert.
»Hallo Emmi, ich dachte, ich meld mich mal bei dir. Wie geht’s dir? Bist du noch gut nach Hause gekommen?«
Fieberhaft überlege ich, wer mich da anscheinend kennt. Und bin ich von wo gut nach Hause gekommen? Auf einmal fällt es mir wie Schuppen von den Augen. Das kann doch nicht wahr sein, woher hat der Typ meine Nummer? Innerlich stöhne ich auf.
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