„Weißt du denn überhaupt, was du wirklich willst?“
Widerwillig blieb Toni mir diese Frage schuldig. Wieder einmal wich sie mir aus.
„Toni, ich liebe dich doch. Ich denke du mich auch?“
„Ja, ja, aber ich muss erst alles in mir ordnen. Ich will auch bei meinem Mann alles in Ordnung bringen, dann kann ich hier beruhigter leben.“ Filmriss. Wir hatten doch gestern erst noch Zukunftspläne gemacht. Wir planten sogar eine größere Wohnung mit größerer Spielecke und Nische, beziehungsweise einem eigenen Kinderzimmer. Und wir haben…
„Hilfst du mir trotzdem ein paar Sachen in das Auto zu schaffen?“
„Ja, klar, werde ich dir helfen. Wie ich das immer tue.“
Mir kam die Galle hoch. Dieser verfluchte Ehemann war langsam der absolute Wahnsinn.
Nach Tonis vollzogenem Pack-Ritual, es sind ja nur ein paar Kleinigkeiten, sank ich auf einen der noch herumstehenden Koffer, Kleinmöbel, Geschenke, Wäsche, noch mehr Geschenke, die Toni günstig auf ihren Amtswegen erworben hatte.
Angeberisch protzten einige Kartons prall gefüllt als westliche Wohlstandsmitbringsel, ein letztes Mal in die deutsche Harz IV Luft. Ich stierte ebenfalls auf einen Karton mit Kleidung. Ein blau-weiß gestreiftes Kapuzen-Shirt streckte mir seinen Ärmel entgegen und flehte mich an, es zu retten, vor jene, Mordlüsternen Menschen, die hübsche Frauen und großzügige Omas finanziell ausbeuten.
„Ich zog vorsichtig dran. Am Ärmel. Meinem Ärmel?!
„Hast du unseren begehbaren Kleiderschrank auch noch mitgenommen?“ fragte ich vorsichtig, wedelnd mit meinem Shirt in der Hand.
„Oh, ist mir wohl dazwischen gerutscht.“
Ich akzeptierte es dieses Mal und nahm mein Verknudeltes Etwas an mich.
„Ich kann da unten mit vernünftigen Geschenken eben mehr punkten.“
„Bei den Schwiegereltern in Tunesien, oder beim Schwarzverkauf von Sekund- Hand- Klamotten?“
„ Ich bin dann angesehener und bin nicht irgendjemand, Rolf!“
„Ich dachte, du wolltest dich scheiden lassen?“
„Das will ich ja auch.“
Mir kam es nicht mehr tunesisch, sondern gänzlich spanisch vor.
„Ich wusste ja nicht, dass man zur Scheidung solche üppigen Opfer-Gaben spenden muss. Und was kriegst du von ihm?“
„Ich gelte damit als reiche, wohlhabende Fraauuu, Rolf.“
„Aha“, sagte ich und hinderte Toni an einen weiteren Hemden-Klau, der aus meiner mageren, Sportlichen Kleider-Auswahl herstammte.
„Hab dich doch nicht so, die haben da unten kaum was zum Anziehen.“
„Müssen es denn meine schneeweißen neuen Hemden sein? Nimm doch lieber alte Gardinen mit, wo die sich da unten wenigstens schmucke Tunikas nähen können. Die leben doch so und so in einer staubigen Gegend“, sagte ich beleidigt.
„Es wird Zeit. Ich muss los. Ich will mich jetzt nicht noch vorher mit dir zanken und außerdem muss ich Elena noch bei Oma abholen.“
Wir nahmen uns in den Arm und gaben uns einen…Film ab, mageren, westlichen Abschieds-Kuss.
Er dämpfte vorerst die vorherigen, mir unverständlichen Sätze und Silben.
Matt fuchtelte ich wedelnd mit Shirt und Hemd in den Händen hinter Tonis Wagen her. Mit einem Drei-Kilo Herz in der Brust, nahm ich erst einmal wieder Abschied am Straßenrand.
Toni fuhr nach Tunesien zu ihrem Noch-Ehemann und ich schlich frustriert in eine Dorf-Kneipe.
Tagelang hörte ich nichts mehr von den Beiden. Verzweifelt schickte ich Tina eine SMS. Es dauerte immer eine ganze Weile, bis sie mir antwortete. Keine Antwort, nur eine unheimliche Funkstille.
Zwischenzeitlich suchte ich für meine Handwerkssachen, die noch in Düsseldorf auf mich warteten, ein neues Lager. Ich bekam einen Hinweis von einem Bekannten. Das, was ich suchte, fand ich sogar in der Nähe, am Fuß der anderen Bergseite. Ich meldete mich bei der zuständigen Adresse und traf eine nette Frau mittleren Alters an. Sie stellte mir für eine geringe Miete ein beheiztes Lager zu Verfügung und sogar mein Bruder half mir beim Umzug meiner Handwerkssachen.
Ein paar Tage später bekam ich von meiner neuen Lager-Vermieterin einen Anruf, die mir eine sonderbare Frage stellte.
„Verlegen sie auch Abflussrohre?“
Einen Moment verharrte ich an meinem Handy.
„Natürlich verlege ich auch Abflussrohre“, lachte ich.
Ich machte einen Termin aus und verlegte eine Woche später unter einer großen Hallendecke eines Ateliers, Abflussrohre. Wie lange hatte ich solch eine Arbeit nicht mehr getätigt. Zwei Stunden nach dieser Ausführung durfte ich bei dieser Frau sogar einen Kaffee trinken.
„Wir führten eine angeregte Unterhaltung und ich bekam endlich Gelegenheit, bei einem netten Menschen endlich mal mein Herz auszuschütten. Ich schüttete und erzählte und merkte nicht, dass ich mich immer mehr in meinen Schmerz um Toni hineinsteigerte.
„Vielleicht wird ja wieder alles gut werden“, tröstete mich die nette Frau.
„Ich weiß es selber nicht mehr, aber ich hoffe es, denn ich liebe Toni so sehr. Wenn ich nur die Schränke aufmache und ihre Tasse sehe, kommen mir fast die Tränen.“
Plötzlich kamen mir tatsächlich die Tränen. Darauf war ich absolut nicht vorbereitet.
Schweigend legte die Frau ihre Hand auf meine Schulter und strich mir liebevoll über meinen Kopf. Es tat gut und ich ließ es mir gefallen. Ich schluchzte vor mich hin und ich genoss die liebevolle Geste. Wie konnte ich mich nur so gehen lassen. Was soll sie bloß von mir denken. Vielleicht stufte sie mich jetzt als Weich-Ei ein. Aber das bin ich absolut nicht. Das weiß ich genau. Ich fing mich wieder und fragte interessiert:
„Ich habe ihren Namen vergessen, helfen sie mir bitte.“
„ Du kannst ruhig Iris zu mir sagen.“
Kurz und schmerzlos und ein wenig burschikos reichte sie mir ihre Hand.
Das klang gut und ich fühlte mich sofort erleichtert und aufgehoben. Naja, besser gesagt, eher angekommen.
„Du wirst wieder auf die Beine kommen, Rolf. Daran glaub mal fest“, sagte Iris zuversichtlich.
„Du bist ein starker Kerl.“
Mir fielen sofort meine Einkaufstüten ein, die ich zu Toni in die erste Etage schleppte.
„Du wirst wieder ein gesundes Selbstvertrauen aufbauen, davon bin ich überzeugt“, sagte sie lächelnd zu mir.
War ich so durchschaubar und ausgepowert, dass mir jegliches Selbstvertrauen abhandengekommen war. Wie furchtbar. Irgendwie wurde ich schlagartig ruhiger und dann nahm Iris mich spontan in den Arm und brachte mir eine warme Herzlichkeit entgegen.
„In ein paar Wochen feiern wir hier ein Fest, komm ruhig auch dazu, dann bist du wenigstens mal etwas abgelenkt. Ich gebe dir noch Bescheid.“
Es wirkte wie ein kleiner Lichtblick, den ich dankbar annahm.
Mein Gedanken-Caos wirkte offensichtlich ein wenig milder gestimmt.
„Wenn du in nächster Zeit mal einen Gesprächspartner brauchst, dann gebe nur kurze Rauchzeichen.“
Toll. Total wirkungsvoll rutschten diese Worte bei mir runter. Wie Öl. Sie legten sich milde auf meine
gepeinigte Seele.
Mir war nach allein sein zu Mute. Ich fuhr nachhause.
Endlich rief Toni an.
Sie schluchzte herzzerreißend am Telefon und bat mich, ihr keine SMS mehr zu schicken. Ihr Mann hatte wohl meine Nachricht gelesen und sie dann angeblich verprügelt. Anschließend hatte er ihr das Handy in den Mund gesteckt. Ich war empört. Soll er doch selbst sein eigenes Handy fressen.
„Hoffentlich bleibst du jetzt endlich in Deutschland“, sagte ich aufgeregt.
Toni versprach mir es dieses Mal und beteuerte es eingehend und dann beendete sie unser Gespräch abrupt.
Meine Entrüstung darüber, verstärkte sich zusehends und ich hatte in der darauffolgenden Zeit schlaflose Nächte. Meinen Kummer um meine kleine, neu erworbene Familie belief sich ins Grenzenlose.
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