Abends packe ich ein paar Schmuckstücke aus. Ich hab viel Schmuck dabei, um unseren weiblichen Gastgebern immer etwas zu schenken. Sie nehmen sich ein bisschen mehr als ich für sie vorgesehen habe, aber ich wehre mich nicht, sie sind so herzlich und so lieb, da werde ich mir einfach in der nächsten Stadt einen neuen Vorrat anlegen.
Die Kinder klettern auf Abbas herum. Wir grillen auf der Dachterrasse im Mondschein, das Leben ist herrlich, das Land friedlich. Der neue iranische Präsident Hassan Rohani ist nicht mehr so ein Volltrottel wie der vorherige Ahmadinejad. Die Gefahr geht heutzutage wohl eher vom amerikanischen Trottel Trump aus, aber das wissen wir hier 2015 noch gar nicht. Wir schreiben den 15. Farvardin des Jahres 1394. Im Iran gilt seit der Revolution 1979 die islamische Zeitrechnung. Die Emigration des Propheten Mohammed von Mekka nach Medina im Jahre 622 wird Hidschra genannt und bestimmt den Beginn der neuen islamischen Zeitrechnung.
Corsin fängt an, uns Fragen zu stellen über das Kopftuch, den Tschador und die zwei alten Männer, die überall auf Plakaten und Hauswänden zu sehen sind. Wir erteilen ihm so kindgerecht wie möglich seine erste Geschichtslektion. Das ist ja auch das Schöne am Reisen. Nicht nur die Begegnungen sind es, sondern auch der Lerneffekt. Geschichte, Kultur, Religion, Geografie, Ethnologie, Psychologie sind die Fächer, die beim Reisen vorkommen.
Zum Frühstück gibt es immer Fladenbrot, Dattelhonig, Butter, Käse, Halva (süsse klebrige Paste aus Sesamöl), Baumnüsse und Kekse. Heute müssen wir weiter nach Kaschan. Abbas hat dort eine Tante, versucht sie grad anzurufen, um für uns die nächste Übernachtung zu regeln.
“Wir haben in Kaschan ein Hotel gebucht”, werfe ich ein.
Was es denn koste, fragt er.
“Etwa 220 Dollar für zwei Nächte.”
“Was??? Das verdiene ich in einem Monat!”
Abbas ist Grundschullehrer. Um sein lächerliches Gehalt etwas aufzupeppen, repariert er in seiner Freizeit Fernseher, Radio und andere Elektronikgeräte. Er kann das fast nicht verstehen, dass wir in ein Hotel möchten. Und anstatt uns zum Busbahnhof zu fahren, fährt er uns mit samt seiner Familie bis nach Kaschan, zwei Stunden, 200 Kilometer.
Als ich vor einigen Monaten im Internet unser Hotel in Kaschan ausgesucht habe, fiel es mir sofort auf: Mahinestan Raheb Hotel, http://www.msrhotel.ir/. Das 200-jährige Traumhaus eines ehemaligen Teppichhändlers. Auch Abbas, Fatheme, Niloofar und Nastaran haben noch nie so ein märchenhaftes Haus gesehen. Im Innenhof plätschert es in einem Wasserbecken. Die Wände sind lehm-beige mit rostroten islamischen Ornamenten verziert. Rosen blühen um den Teich herum. In den Nischen hat es weiche Teppiche und Sitzkissen, die zum Verweilen einladen. Wir bestellen eine Wasserpfeife mit Apfelaroma. Zum Tee gibt es Kardamomkekse und Zuckerstangen mit Rosenwasser und Safranblüten. Wir sind in einem Märchen aus 1001 Nacht gelandet.
Nachdem wir uns herzlich von unserer lieben Gastfamilie, die heute noch zurückfährt nach Robad Karim bei Teheran, verabschiedet haben, schlendern wir durch den jahrhundertealten herrlich malerischen Basar. Wir müssen dringend Geld wechseln. Wir besitzen noch keinen iranischen Rial.
“Ich ha mal de Michèle (Spielgruppenleiterin) gseit, mini Eltere sind so lieb, will sie gönd mit mir immer go reisä!”, sagt Corsin.
Eine Stunde später sind wir Millionäre.
Für 200 Euro bar bekommen wir 6’900’000 Rials. 1 EUR = 34’500 Rial. Auf dem Heimweg zum Märchenhotel verlaufen wir uns im Basar, laufen im Kreis, verlieren wir uns in diesem Labyrinth aus engen Gassen. Corsin hat plötzlich Fieber, wir habens eilig. Wahrscheinlich Klimaschock. Legt sich nach ein paar Stunden wieder.
Am nächsten Tag besuchen wir die sensationellen Sehenswürdigkeiten dieser Oasenstadt der Seidenstrasse. Die Stadt blühte dank der unzähligen Kamelkarawanen auf, die das Reich einst durchquert hatten. Im Basar gibt es eine grosse Kreuzung, Tscharsu genannt, diese hier Khan Amin-al Dowleh Timche, mit hohen Gewölben, vielen Mosaiken und Ornamenten. Die Freitagsmoschee heisst Masjid-é Agha Bozorg und ist auf zwei Ebenen, mit einem Wasserbecken zum Kühlen. Bäume stehen um den Teich.
Das Kajeh Taj ad-Din, Khan-é Abbassian, Khan-é Tabatabai, Khan-é Ameriha und das Hammam-é Sultan Mir Ahmed sind wunderbarste Häuser früherer Geschäftsleute, die in Saus und Braus gelebt haben. Heute sind alle zu Museen umfunktioniert worden, das Ameriha auch ein Hotel. Ausländische Besucher sind sehr selten.
Allerdings liegt der Iran touristisch sehr im Kommen. Er gilt als absoluter Geheimtipp. Jeder, der jemals im Iran gewesen ist, kommt begeistert zurück. Es ist kein Land, das jemanden kalt lässt. Noch nie hat es jemandem nicht gefallen. Man kann es nur lieben, denn die Begegnungen mit den Menschen sind es, die es ausmacht. Von allen Seiten hören wir hier mehrmals täglich “Welcome to Iran!” oder “Nice to meet you!” oder auch nur ein scheues “Hello, Sir, hello Madam!” und alle lächeln unseren Sohn an. Manchmal geht die Sympathie für ihn so weit, dass ihn wildfremde Leute sogar zu streicheln versuchen oder ihn gar anfassen. Das mag er nicht ausstehen! Wenn wir es den Iranern und Iranerinnen erklären, dass Corsin nicht angefasst werden möchte, entschuldigen sie sich jeweils sofort und betonen, dass sie das nur gut gemeint haben…
Auf dem Basar zieht uns Corsin in jeden Spielzeugladen hinein, mit mannshohen Plüschtieren, wir bewundern die turmartig aufgeschichteten Bakhlawa, die süssen iranischen Desserts, meist mit Safran, Rosenwasser und Kardamom gewürzt. Kosmetik, Kleider, Lampen, Schmuck, Küchenutensilien, drei Ziegenköpfe, Teppiche, Karawansereien (früher Herbergen für die Karawanen, heute auch Lagerhallen), Töpfe, Antiquitäten, Krimskrams, Samovars, Möbel, Kinderspielsachen, Seifen, Bürsten, Schuhe, Gewürze… Wir sind überglücklich in dieser Stadt in der Stadt.
In der Tschai-Khuné, im Teehaus, hats einen geheimen Aufgang aufs Dach, von wo wir einen unglaublichen Ausblick auf die Wüste um uns herum haben. Alles in Ocker, wie die ganze Stadt. Kaschan gehört für mich neben Yazd und Kerman zu den Lieblingsstädten des Landes. Ich habe viele Orte besucht im Iran. Beim ersten Mal habe ich die klassische Touristenroute bereist. Und dann bin ich allmählich in immer untouristischere Gebiete gereist, wo kein Lonely Planet mehr etwas darüber geschrieben hat. Höchstens “it’s not worth the detour!” Für diese Reise mit meiner Familie habe ich einfach zwei Highlights ausgesucht, die sozusagen am Weg nach Turkmenistan liegen. Kaschan und Isfahan, weil es von Isfahan eine Flugverbindung nach Maschad gibt, von wo man mit dem Auto schnell an die turkmenische Grenze reisen kann.
In den Moscheen und dem Hammam (Bad) bestaunen wir die wunderbar bemalten glasierten Kacheln an den Wänden, die filigranen Malereien unter den orientalischen Torbögen. Absolut zauberhaft sind die Museumshäuser. Es gibt noch mehr so schöne Hotels wie unseres, und in ein solches gehen wir zu Tee und einer Wasserpfeife, ins Manouchehri House Hotel.
Am Abend kochen sie auf meinen Wunsch Qeshq-é Bademdschan, mein Lieblings-Auberginengericht mit Käsesauce, und Salat Shirazi. Dazu Chicken Kebab und Sherbet, Limonade mit Safran und Rosenwasser. Wir werden verwöhnt, auch zum Frühstück, mit Carrot Jam (Karottenkonfitüre), und Rose Jam, Sesamcrème, Butter, Frischkäse und Feta zum obligaten Fladenbrot. Corsin bekommt Cornflakes und Eier. Noch drei Monate lang Fladenbrot, ich bin so glücklich…
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In Robad Karim wohnen wir bei Fatemeh, Niloofar (15), Abbas und... |
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...seiner jüngsten Tochter Nastaran (7), Corsins neuster Freundin |
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Spielen und Picknick in einem grossen Familiengarten |
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Corsin und Nastaran am gamen |
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Auf dem Basar in Kaschan |
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Weil die Perser Kinder lieben, gibt es sehr viele Spielwarenläden |
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Unser wunderschönes Hotel Mahinestan Raheb |
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Corsin und Nastaran spritzen im Innenhof des Hotels herum Wir sind total begeistert von unserem palastähnlichen Hotel... ... und seinem durch das Wasserbecken gekühlten Innenhof Ein paar von mehreren Palästen, die nun Museen sind Eine Kuppel von unten Blick über die Dächer des Hammam-é Khan Im Hammam-é Khan, heute auch ein Museum |
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In der Freitagsmoschee |
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