"Wow, super."
Micha freute sich ehrlich und nahm das Handy, um sich von seiner Mam anzuhören, dass er auch jaa nicht die Zahnbürste vergessen soll und auch genügend Unterhosen einpackt.
Er brauchte keine zehn Minuten, um seine sieben Sachen zusammen zu bringen und stand auch schon wieder im Türrahmen mit Rucksack um die Schulter gehängt und Baseballmütze auf dem Kopf.
"Jetzt hab' ich mich aber für morgen mit Chris im Freibad verabredet." fiel Micha noch ein und gab sich dabei einen Klapps auf die Stirn.
"Ruf ihn an und sag ihm, dass du für 14 Tage fort bist. Außerdem kann er dich ja mal besuchen, wenn er mag." erwiderte Alexander und erhob sich aus seinem Sessel.
"Hat Großvater noch seinen Kater?" wollte Micha wissen.
"Ich glaube schon."
"Und der Kahn ist auch noch da?" rief Micha sichtlich aufgeregt.
"Sicher." Alexander kramte in seinen Hosentaschen, offensichtlich nach den Autoschlüsseln.
"Toll, können wir?“ sagte Micha.
„Klar“.
Als der alte Peugeot vorm Haus des Großvaters hielt, dachte Micha: es scheint sich nichts verändert zu haben. Nun ja, ein bisschen mehr Efeu rankte am Haus und das Fachwerk war renoviert und neue weiße Farbe schien auch an den Außenwänden zu sein. Die Hecke, die wohlgestutzt den kleinen Rasen mit den zwei alten Kastanien vor dem Haus umsäumte, ist auch etwas höher geworden. Grovaters Haus war ein altes, freistehendes Fachwerkhaus, hatte zwei Stockwerke und eine kleine Scheune daneben, die als Garage genutzt wurde. Das Haus war bestimmt schon 300 Jahre alt, so hatte es Großvater zumindest erzählt. Der Eingang war etwas erhöht und man musste eine Treppe benutzen, um ins Innere zu gelangen. Micha sah einen Mann im Garten werkeln, mit einer blauen Latzhose an und einem Strohhut auf; er war sicherlich schon so alt wie Grovater und er hatte eine Menge Falten im Gesicht. Seine Haut war braungbrannt und wirkte ledrig und an seinen Händen sah man, dass er in seinem Leben schon viel gearbeitet hat. Er kniete vor der Hausstürtreppe und stutzte gerade einen Strauch, während der Großvater im Türrahmen stand und sich mit ihm unterhielt.
"Da ist Harry, der Gärtner", sagte Alex, während er den Motor abstellte, "erinnerst du dich noch an ihn?"
"Klar doch." Micha nickte und holte seinen Rucksack vom Rücksitz.
"Und er scheint nüchtern zu sein", grinste Alex, "dabei ist es schon fast 3 Uhr."
"Meinst du Großvater, Paps?!" Micha schaute erstaunt auf und hielt in seiner Bewegung inne.
"Quatsch. Ich meine Harry!" lachte Alexander.
"Zu mir hat Harry mal gesagt, dass es kein Mensch merkt, ob er was getrunken hat oder nicht." sagte Micha und stieg aus dem Auto.
Der Großvater war ihnen auf halbem Weg entgegen gekommen und begrüßte Sohn und Enkel mit einem freundlichen Lächeln. Der Grovater hatte schon 65 Jahre auf dem Buckel, aber man sah es ihm gewiss nicht an. Er schien sich in den letzten zwei Jahren nicht verändert zu haben, außer dass die wenigen kurzen Haare, die seine Glatze umsäumten, noch weißer geworden sind. Er hatte einen sehr aufrechten Gang und man sah ihm an, dass er bis ins hohe Alter sportlich aktiv gwesen ist. Kein Bierbauch und kaum Falten im Gesicht und zudem ein sehr gepflegtes Äußeres. Sein Vollbart war sauber gestutzt und auch hier gab es nur noch einige dunkle Strähnen, ansonsten war der Bart fast weiß. Dass er in seinem Alter Jeans und T- Shirt trug, war Micha schon immer sympatisch gewesen.
"Fein", sagte der Großvater, "dass es geklappt hat. Wie schön, euch beide zu sehen."
Und als er Micha die Hand gab, sagte er:
"Wie kann man in einem Jahr bloß so wachsen?" Er musterte Micha von oben bis unten.
"Ist doch normal, oder?" wollte Micha wissen, der gerade noch ein halben Kopf kleiner als sein Großvater war.
"Ja, wo bleibt ihr denn?" unterbrach Mimi die Begrüßungsrituale, sie war Großvaters Hausgehilfin und erschien im Tührrahmen."Erst mal Grüßgott ihr zwei, der Kaffee wird doch kalt. Kommt durchs Haus nach hinten auf die Terrasse, ich habe dort gedeckt." Während sie das sagte, schüttelte sie jedem der beiden ausgiebig die Hand.
Mimi war so etwa Mitte 50 und äußerst korpulent, aber das musste wohl daran liegen, dass sie so gut kochte. Sie hatte schwarze Haare und die waren immer streng nach hinten zusammengebunden, zumindest immer wenn Micha sie sah. Sie hatte auch immer eine Schürze an und mit ihren kräftigen Armen konnten sie es sicherlich mit einem Gorille aufnehmen. Oh, und sie konnte so viel reden, ohne Unterlass. Und manchmal wurde sie ganz rot in ihrem runden Gesicht, besonders wenn sie sich über jemanden aufregte. „Na ja, irgendwie hatte sie einen guten Kern“, dachte Micha „und außerdem ist Großvater gut versorgt“.
"Oh, was für eine besondere Ehre", meinte Harry, der nun auch herbei gekommen war, "wie geht's denn so?"
"Danke, und selber?" Alex hatte das Antworten übernommen.
"Na, Linus, altes Haus…?" sagte Micha, indem er sich neben den schwarzweiß gefleckten Kater kniete, der eben - wie zufällig - vorbeikam, um den neuen Besuch zu begutachten. "…hast du alles im Griff?" Linus der Kater hatte eine weiße und eine schwarze Gesichtshälfte, was an eine Karnevalsmaske aus Venedig erinnerte. Er müsste schon mindestens so alt sein wie Micha, wenn nicht sogar älter. Aber das sah man ihm nicht an, außer dass er halt sehr groß und nicht gerade schlank war. Micha kennt diesen Kater seit er denken kann, er war schon immer da.
"Kinder, nun kommt doch bitte. Der Kaffee!" rief Mimi noch einmal.
"Wenn du einen Kaffee möchtest", rief Mimi zu Harry dem Gärtner hinüber, "dann musst du jetzt die Heckenschere weglegen."
"Wieso duzt die den!" fragte sich Micha, "sind die verheiratet?"
"Ich überleg' mir's noch", brummelte Harry und nahm seine Schnipselei wieder auf, während die Gesellschaft im Haus verschwand.
Mimis Kuchen war wirklich sehr gut, fand Micha. Sie saßen an einem großen runden Tisch mit grüner Tischdecke unter einer großen alten Linde, die soviel Schatten spendete, dass eine ganze Hochzeitsgesellschaft darunter Platz gefunden hätte.
Micha konnte es zwar überhaupt nicht leiden, allein unter so vielen Erwachsenen zu sein und auch ihr Geschnatter ging ihm tierisch auf den Geist - wie er fand -, aber er musste sich diesmal wohl damit abfinden. Viel lieber hätte er sich, wie Großvaters Kater, in ein ruhigeres Zimmer verdrückt und mit seinem Gameboy gespielt. Aber seinem Vater zuliebe und auch, weil er seinen Großvater nicht kränken wollte, blieb er sitzen.
Inzwischen hatte sich auch Harry, der Gärtner, am Tisch eingefunden. Er erzählte stolz, dass er neuerdings die Bewohner der Goldberg-Villa, oben in der Brahmsallee, zu seinen Kunden zählte.
Micha kannte dieses Haus; er war oft genug mit seinem Skateboard durch die Brahmsallee gefegt. An der Goldberg-Villa musste er links abbiegen, um das Haus des Großvaters zu erreichen. Diese Villa machte immer einen irgendwie verschlossenen, abweisenden Eindruck auf ihn; er konnte sich nicht erinnern, je einen Menschen dort gesehen zu haben. Auch den Garten mit den alten Bäumen hinter dem Haus hatte er als menschenleer in Erinnerung.
"Im ersten Stock ist noch immer diese Anwaltskanzlei", erzählte Harry während er eifrig Kuchen aß, "aber seit das Erdgeschoss von einer Ballettschule gemietet wurde, soll es angeblich schon mal richtig in dem Haus gespukt haben", die letzten Worte sprach Harry sehr leise aus, beinahe flüsternd.
"Häh?" dachte Micha, "was ist denn das für ein dummes Zeug."
Aber er schwieg höflich und trank brav seinen Kakao, den Mimi immer schon obligatorisch für ihn machte, wenn die Erwachsenen Kaffee tranken.
Als hätte Harry Michas Gedanken erraten, fügte er erklärend hinzu:
"Das hat mir jedenfalls Dr. Schulze erzählt." Harry ließ sich von Mimi noch ein Stück Kuchen auf den Teller befördern.
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