" Schober war froh keine Details erklären zu müssen, sein Englisch war nicht toll, Sprachen waren nicht sein Ding. Aber Heumann war ausreichend beeindruckt, er kam nicht auf die Idee nachzufragen, er erklärte die Hierarchie und betonte die wichtige Position der Forschung im Unternehmen: "Wir berichten direkt an Vorstandsmitglied Unterholzer!" erläuterte er. Dann ließ er sich das Promotionsthema erklären und war von den neuartigen Reaktionen angetan. Bei den Nachfragen Heumanns kam Schober allerdings der Verdacht, dieser verstünde deutlich weniger von den Mechanismen und chemischen Reaktionen, als er vorgab. Schober hütete sich, besserwisserisch zu erscheinen und erklärte einfach das Reaktionsprinzip ein zweites Mal, nur mit etwas anderen Worten. Heumann nickte dazu und zeigte Verständnis. Schobers Zeit bei der Bundeswehr und der Status eines Fähnrichs halfen Eindruck zu machen, Heumann schien fest zu glauben, ein angehender Leutnant sei automatisch sehr geeignet zur Menschenführung, besonders in der Industrie. Schober fand diese Haltung passend! Sein Studienkollege Leo hatte ihm erklärt, es bestünde ein Unterschied zwischen befehlen und zusammenarbeiten, aber Leo hatte ganz offensichtlich unrecht.
Sein möglicher künftiger Chef war Gruppenleiter Dr. Bauer, der sich in Gegenwart Heumanns sehr zurückhielt und erst bei der Besichtigung der möglichen Arbeitsstätte im Forschungslabor etwas aus sich heraus ging. Schober hatte das Gefühl, Bauer nähme seine Leitungsfunktion nicht ernst. Das ist nicht schlecht, dachte Schober, das würde mir den direkten Zugang zu Heumann erleichtern. Er dachte: 'warum mit dem Chefchen reden, wenn der nichts zu sagen hat!'
Beim anschließenden Gespräch mit der Personalleitung hielt sich Schober an die Vorgabe seines Studienkollegen, er nahm die Beschreibung des Firmenmodells zur Alterssicherung mit der Bemerkung zur Kenntnis: "Das ist wirklich sehr eindrucksvoll, was Sie mir hier schildern, aber Sie sollten verstehen, ich steht am Anfang meiner beruflichen Laufbahn, da gibt es andere, wichtigere Dinge als die Firmenrente. Ich möchte hier Probleme bearbeiten, sie einer Lösung zuführen und den Erfolg des Unternehmens mit gestalten." Diese Aussage wurde gerne gehört, Schober erhielt nach wenigen Tagen einen Anstellungsvertrag mit der Post.
"Das ist es, was ich mir vorgestellt habe", sagte er zu seiner Frau Elsbeth, "hier werde ich Karriere machen!" Er wedelte mit dem Schreiben. Elsbeth war skeptischer, sie wollte ihren Gatten mehr auf dem Boden der Realität sehen. "So ganz einfach ist eine Karriere auch nicht Karlchen," meinte sie, "da gehört doch Leistung dazu und unter Deinen Kollegen bei Professor Palm warst Du nicht der Kreativste. Der Palm hat dem Pfeiffer und dem Dönges für die Dissertation ein summa cum gegeben, Dir nur ein cum laude !"
Das hörte Schober nicht gerne. Er schüttelte innerlich den Kopf, immer musste sie ihn Karlchen nennen. Verfluchte Hormone, zwingen mich zu Hochzeit und Sex. Elsbeth sah ja ganz nett aus und als einzige Laborantin unter all den Doktoranden im Arbeitskreis von Professor Palm war es schon reizvoll gewesen, sie zu erobern. Dabei andere Kommilitonen auszustechen war ein besonderer Kick. Nur jetzt hatte er sie am Hals. Statt ihn anzuhimmeln, wie am Anfang, fand sie ständig irgendwas, was hätte besser sein können. Und das 'chen' an seinem Vornamen war total unpassend, er war schließlich inzwischen Doktor! Er stellte sich kurz auf die Zehenspitzen und beschloss künftig mehr Haargel zu nutzen, um ein oder zwei Zentimeter Größe zu gewinnen. Er musste seinem Frisör sagen, die Haare länger zu belassen, dann sollte das einfacher funktionieren.
Selbstverständlich startet ein Chemiker in der Forschung, für Dr. Karl Ernst Schobers Verständnis war dies nur die erste, kurz zu haltende Etappe. Deshalb schenkte er dem neuen Umfeld nicht zu viel Beachtung, schließlich wollte er spätestens nach zwei Jahren den nächsten, den ersten Schritt nach oben gemacht haben. Seine drei Laboranten waren erfahren und willig, das Thema, die Verbesserung der Ausbeute bei einer Synthese, war einfach über Parameter-Variation abzuarbeiten. Bauer hielt sich tatsächlich ziemlich im Hintergrund. Schobers Thema war von Heumann über Bauer durchgereicht worden und bei den internen Treffen zur Besprechung der Fortschritte führte Heumann die Diskussion. Dabei lernte Schober seine Kollegen kennen. Er merkte sich, wer in der internen Seminarrunde bei der Diskussion von Problemen und Lösungen einen guten Eindruck machte. Es gab den Dr. Helmut Thiele, der hatte gute Ideen, war aber sehr zurückhaltend bei der Darstellung seiner Ideen. Wie gut sie wirklich waren, kam weder bei den anderen Gruppenleitern noch bei Heumann richtig an. Auch Schober brauchte einige Zeit, zu verstehen, wie gut die Vorschläge Thieles waren. Andere, wie Dr. Lothar Hellbach waren geschickter. Seine Einfälle waren nicht brillant, dies kompensierte er durch die gekonnte Darstellung der moderaten Vorteile. Er redete mit lauter Stimme und hatte zu allem einen Kommentar. Das machte bei Heumann Eindruck. Schober merkte, auch er musste mehr tun zur Selbstdarstellung, sonst würde er bald unter ’ferner liefen’ eingeordnet.
Nach den ersten vier Monaten ohne greifbare Erfolge wurde Schober unruhig. Beim Abendessen berichtete er seiner Frau davon. Er meinte: "Langsam muss mal was passieren bei den Synthesen. Aber alles, was mir bisher eingefallen ist, war nicht besser, als das, was es schon gibt. Dem Bauer scheint das egal zu sein. Vielleicht freut der sich sogar, wenn ich nichts vorzuweisen habe. Ich glaube der Heumann wird langsam unruhig. Heute hat er schon wieder zweimal gefragt, was es Neues gibt und ob die aktuellen Resultate günstiger sind."
Elsbeth versuchte ihren Karl zu motivieren: "Du hast mir doch erzählt, es würde sich was Positives bewegen, bei der letzten Versuchsreihe, warum bringst Du das nicht groß raus?"
"Weil es nicht so wirklich viel ist und weil mit der positiven Veränderung der Ausbeute ein Nachteil bei der Qualität verbunden ist", antwortete Schober.
"Ist die Qualität denn so wichtig? fragte Elsbeth zurück. "Ich bin ja nur Laborantin gewesen, aber Ausbeute geht doch erst mal vor Qualität, wenn die nicht ganz mies wird, oder? Kannst Du das nicht einfach erst mal unter den Tisch fallen lassen, Karlchen?"
"Da denke ich mal drüber nach", antwortete Schober, den das ’Karlchen’ schon wieder nervte. Aber ein Ansatz wäre das schon, dachte er. Er würde einfach so tun, als wenn die Reinigung des Rohproduktes kein Problem sei. Die Laborantin könnte mal eine Serie von Tests durchführen, bei der die Reinheit des Produktes einfach nicht beachtet wurde. Die Probezeit von sechs Monaten zu überstehen, das war kein Problem, aber ohne zählbare Resultate würde es schwierig mit der geplanten Blitzkarriere.
Ein Seminarbesuch in Rech an der Ahr, organisiert vom VCI, stand an und Schober lernte die neusten Optionen zur Nutzung von powerpoint . Die Seminarleiterin betonte, wie wichtig Visualisierung war und wie sehr ein übersichtlicher Aufbau das Verständnis förderte. Sie sagte: "Lassen Sie ruhig mal etwas weg, priorisieren Sie! Zu viel Information ist nicht hilfreich, sie zerstört die Wirkung der wahren Botschaft." Das werde ich mir merken, dachte Schober. Er hatte das Gefühl, gerade etwas sehr wichtiges gehört zu haben. Man darf, man muss sogar Dinge, die stören einfach weglassen. Das Gute, das Neue, die Verbesserung beschreiben, das war wichtig. Er würde seine Berichte anders aufbauen. Diese wissenschaftliche, umfassende Sicht auf ein Problem, sie war in sich falsch. Man musste vereinfachen, man durfte straffen, schon wegen der Verständlichkeit. Bevor sich die Kollegen auf diese Nebensache stürzten und seine Optimierung verrissen, musste der Chef, der Heumann, den Kernpunkt, die Verbesserung erkennen. Und das funktionierte besser, wenn der Punkt ’Qualität’ schlicht unerwähnt blieb.
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