„Dann lass uns das doch planen, Jerry“, rief er. „Einfach wie ein Spiel. Es wird bestimmt Spaß machen und wir lernen viel. Der ganze Weltraumkram ist doch auch dein Hobby.“
„Für mich ist das mehr als ein Hobby, Jeff“, antwortete Jerry ernst. „Ich will auf dem Gebiet später arbeiten. Wie Vater. Astronomie, Raumfahrt und das Programmieren drumherum machen mir jetzt schon richtig Spaß.“
„Dann lass uns das doch machen“, drang Jeff auf seinen Bruder ein.
„Jeff, das kann man nicht planen wie einen Ausflug am Wochenende ans Meer. An so einem Vorhaben müssten wir hart arbeiten. Sehr hart sogar.“
„Dann arbeiten wir eben hart“, insistierte Jeff und hielt Jerry seine Hand hin. „Wir planen ab heute einen Flug zum Mond. Schlag ein.“
„Mann, bist du penetrant. Na gut, abgemacht.“
Jerry klatschte die Hand seines kleinen Bruders ab, um Ruhe zu haben. Außerdem war er sich sicher, dass der die ganze Geschichte eh bald vergessen würde.
„Und wen willst du mitnehmen auf die große Reise?“, fragte er ihn dann. „Großmutter, Vater oder auch Mutter?“
„Ich nehme Marco mit“, antwortete Jeff ohne zu zögern. Marco war sein bester Freund. „Und wen nimmst du mit?“
„Keine Ahnung. Mir reicht es, wenn ich oben bin. Außerdem – du kannst die Leute nicht einfach nach Sympathie auswählen. Da müsste eine Art Eignungstest her.“
„Du hast doch gesagt, dass es geht. Also muss man bestimmt nicht besonders schlau sein, um ins Weltall zu fliegen.“
„Das nicht unbedingt. Aber Talent und starkes Interesse für die ganze Sache, das sollte man schon mitbringen. Jeden kannst du nicht mitnehmen.“
„Was meinst du damit?“
„Marco ist dein Freund und ihr versteht euch gut. Aber ob er geeignet wäre für einen Flug zum Mond? Ich weiß nicht.“
„Aber ich weiß genau worauf du anspielst. Und das ist gemein. Marco ist genauso schlau wie alle anderen. Er ist nur etwas langsamer.“
Jeff warf sich auf Jerry und plötzlich kugelten sich beide im Gras. Jeff war immer sauer, wenn er das Gefühl hatte, dass jemand über seinen besten Kumpel herzog. Und so etwas durfte er auch seinem eigenen Bruder nicht ungestraft durchgehen lassen.
„Hey, was soll das?“, rief Jerry. Er versuchte Jeff, der ihn boxte und kitzelte, abzuschütteln. „Lass das.“
„Nur wenn du versprichst, dass wir Marco mitnehmen …“, keuchte Jeff. „… auf den Mond.“
„Okay, okay“, prustete Jerry.
Geschickt wand er sich aus Jeffs Umklammerung und sprang auf.
„Ich geh wieder rein. Es wird mir langsam zu feucht und die Mücken sind auch lästig.“
„Denk an dein Versprechen“, rief ihm Jeff nach, beim Versuch aufzustehen. „Aua!“
Er hatte sich beim Herumbalgen soeben wohl gestoßen, der verstauchte Knöchel tat ihm wieder weh. Jeff blieb daher sitzen und wartete, bis der Schmerz etwas nachließ. Dann stand er auf und humpelte vorsichtig zurück ins Haus.
***
Der Sommer war vorbei, die Schule hatte längst begonnen und der Herbst machte sich mit den ersten Wetterkapriolen bemerkbar. Der Oktober war dieses Jahr ziemlich launig. Nach einer schönen ersten Woche wehte ab Montag ein nasser, oft auch kühler Wind vom Atlantik. So war es auch am Mittwoch, als Marco am Nachmittag mit dem Fahrrad zu Jeff unterwegs war. Er wunderte sich, dass die bleigrauen Wolken das viele Wasser überhaupt noch halten konnten.
`Vielleicht ist das der letzte Hurrikan der Saison, der sich da aufbaut´, dachte Marco. `In jedem Fall wird es hier bald wie aus Kübeln schütten.´
Bis dahin hoffte er bei Jeff zu sein – und schaffte es knapp. Kaum waren sie oben in Jeffs Zimmer, da hämmerten schon die ersten Regentropfen gegen die Fenster.
Marco verspürte wenig Lust auf den Schulstoff der letzten drei Wochen. Schon wieder wollte Jeff alles mit ihm durchkauen. Aber ohne seine Nachhilfe hätte er die letzten beiden Schuljahre gar nicht geschafft. Das war ihm klar.
Jeff war ein unerbittlicher Nachhilfelehrer und sie machten sich gleich an die Arbeit. Nach drei Stunden hatten sie die Hausaufgaben erledigt und sogar einige mühselige Wiederholungen geschafft. Marco schaute sehnsüchtig aus dem Fenster, denn er wollte nach Hause. Vom Himmel fielen nur noch feine, silbern glitzernde Tröpfchen. Ab und zu brachen die Wolken auf und die Sonnenstrahlen ließen die feucht dampfenden Straßen Floridas golden glänzen.
`Das gibt nachher bestimmt einen Regenbogen´, dachte Marco erfreut, stand auf und packte seine Sachen.
„Ich bin heute irgendwie kaputt“, sagte er entschuldigend. „Ich mach mich auf den Heimweg. Bis morgen, in der Schule.“
Jeff fixierte ihn scharf. Er überlegte, ob jetzt eine gute Gelegenheit wäre, um mit Marco über Projekt M zu sprechen. Projekt M, so nannten er und Jerry seit neustem ihren verrückten Plan, zum Mond zu fliegen.
„Warte mal“, sagte er hastig, als Marco fast schon aus dem Zimmer war. „Ich muss mit dir reden.“
Marco drehte sich genervt um.
„Was denn? Doch nicht etwa noch mehr Übungen.“
„Nein. Es hat nichts mit der Schule zu tun. Kannst du dicht halten?“
„Was soll die Frage? Wir sind doch Freunde.“
„Ich meine – ein Geheimnis. Kannst du das für dich behalten?“
„Klar doch. Hast du was ausgefressen?“
„Ja. Nein. Eigentlich nicht“, stammelte Jeff. „Mann, du machst mich völlig nervös.“
Marco wunderte sich. Seit langem hatte er Jeff nicht mehr so verunsichert erlebt. Das letzte Mal war es, als er sich fast in ein Mädchen aus der Parallelklasse verliebt hatte.
„Ich, das heißt ich und Jerry, wir haben da was vor. Und du sollst mitmachen“, brachte es Jeff mühsam heraus. „Du musst einfach dabei sein. Verstehst du? Weil du mein bester Freund bist.“
„Ich versteh kein Wort. Hast du irgendwas genommen?“
„Ich meine es ernst. Wir planen das Ganze schon seit dem Sommer.“
„Seit dem Sommer? Und du hast mir nichts gesagt“, entrüstete sich Marco.
„Konnt ich nicht. Zuerst war es nicht ganz sicher – und jetzt ist es streng geheim. Wir planen etwa seit ich mir im Juli den Knöchel verstaucht habe. Kannst du dich erinnern?“
„Klar kann ich mich erinnern. Jetzt versteh ich auch einiges. Deshalb warst du in letzter Zeit nicht mehr oft bei den Spielen.“
„Ja, manchmal auch deswegen. Aber, interessiert dich nicht worum es geht?“
„Ach so“, sagte Marco. „Ja schon. Um was geht´s denn?“
Jeff holte vor seiner Antwort erst einmal tief Luft.
„Wir wollen zum Mond fliegen …“ Er machte eine Pause. „Und du kommst mit.“
Marco schüttelte ungläubig den Kopf. Er war sich ganz sicher, nicht richtig gehört zu haben.
„Kannst du das noch mal sagen?“
„Ich sagte, dass wir zum Mond fliegen wollen“, wiederholte Jeff. „Und du sollst mit uns kommen.“
„Wahrscheinlich träume ich das nur. Oder ich hab Halluzinationen“, murmelte Marco. „Das wird´s sein. Ich hab zu viel gelernt. Und mein Hirn spielt jetzt verrückt.“
Jeff packte Marco am Arm und zwickte ihn so kräftig, dass der laut „Aua!“ schrie.
„Hast du jetzt kapiert, dass das kein Traum ist?“
„Spinnst du?“, rief Marco empört. „Du hast mir wehgetan.“
„Nur damit du endlich aufwachst. Und über den Plan musst du völlig dicht halten. Zu keinem Menschen darfst du auch nur ein Wort sagen. Ist das klar?“
„Jetzt weiß ich´s genau. Du bist verrückt. Komplett verrückt bist du. Warst du schon beim Arzt?“
„Marco, ich weiß, dass –“
„Oder du willst mich nur verarschen, oder?“, unterbrach ihn Marco beleidigt.
„Ganz bestimmt nicht. Ich weiß, dass das verrückt klingt, aber es ist machbar. Jerry hat es durchrechnet. Du weißt doch, Vater arbeitet bei der NASA und –“
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