„Richtig“, bestätigte Rayhn.
„Dann habt ihr John gesucht. Und wo kann er jetzt sein? Er ist einfach dort, wo ihr nicht gesucht habt.“
„Branden“, meldete sich Rayhn, „so einfach ist das nicht. Wir haben die Station auf den Kopf gestellt. Wir haben gesucht, in jedem verdammten Winkel. Das Ganze mit wechselnden Personen und anschließend sind wir alles nochmals durchgegangen einschließlich Schleuse. John ist nicht auffindbar. Er ist weg. Einfach verschwunden.“
Es entstand eine Pause.
Dann meldete sich Branden: „Ich habe zwischenzeitlich sämtliche Kameras an Bord eingeschaltet. Alexej, ich geh davon aus, dass du ebenfalls die Geschichte bestätigen kannst.“
„Selbstverständlich, wir haben alles wirklich über den Kopf gestellt. John ist nicht auffindbar. Einfach weg.“
„Seit wann vermisst ihr ihn?“, fragte Branden.
„Das können wir nicht so genau sagen“, erklärte Rayhn. „Wir haben ihn zuletzt vor Mittag gesehen. Jeder ist hier bekanntlich mit seinen Aufgaben beschäftigt. Ich suchte ihn, weil er mir helfen sollte, eine Faser in einen Kabelkanal zu bugsieren. Ich konnte ihn nicht sofort finden und da habe ich die Suche wieder aufgegeben, weil ich davon ausging, er hätte sich in seinem Modul ‚hingelegt zu einem Schläfchen. Ernsthaft vermisst haben wir ihn einige Stunden später.“
„Leute, ihr wisst, dass Ton und Bild aufgezeichnet werden.“ Die Stimme von Branden war jetzt konzentriert und ernsthaft.
„Ihr wisst ebenfalls, dass wir hier jetzt nach Mitternacht haben. Könnt ihr es verantworten, wenn ich in dieser Minute Alarm auslöse? Ihr wisst, was dann hier passiert. Es werden duzende Leute aus dem Schlaf gerissen. Hier wird in kurzer Zeit der Teufel los sein. Soll ich vor mir auf meinem Schreibtisch die Glasabdeckung heben und den roten Knopf drücken? Könnt ihr das verantworten?“
„Ich möchte hier nochmals sagen, dass wir alles, wirklich alles überhaupt nur Mögliche getan haben, um John zu finden. Wir könnten nochmals ganz von vorne mit der Suche beginnen. Es würde uns nicht weiter bringen. Wir kämen zum gleichen Ergebnis.“
„Der Raum der Station, in der ihr euch befindet, ist sehr begrenzt. Wenn ihr ihn dort nicht finden könnt, dann kann es aber wohl auch nicht sein, dass John ausgestiegen ist. Oder?“
„Nein“, bestätigte Rayhn.
„Denn wenn es so wäre, dann hättet ihr es bemerkt. Sowohl akustisch als auch an optischen Signalen und hier bei mir hätten ebenfalls die Alarmglocken geläutet. Richtig?“ „Richtig!“
„Ich hatte eben die Anzeige, dass die Schleusentür geöffnet worden ist. Hat Rayhn die Tür geöffnet, um nachzuschauen, ob sich John dort befindet?“ „Ja, habe ich.“
„John muss also in der Station sein“, erklärte Branden entschieden.
„Nein“, entgegnete nun Lauren mit dünner Stimme, „hier ist er nicht. Es sei denn, es gibt Ecken, die wir nicht kennen. Und das ist wohl nach der langen Zeit unseres Aufenthalts hier kaum vorstellbar.“
„Okay“, seufzte Branden, „ich werde jetzt nicht den großen Alarm auslösen, sondern werfe zunächst Frank, unseren Chef, aus dem Bett. Bleibt bitte auf Empfang.“
Susan registrierte einen Piepton in schneller Folge, der allmählich immer lauter wurde. Sie konnte das Geräusch nirgendwo zuordnen – hatten die Kinder einen neuen Handyton? Darüber hätten sie bestimmt erzählt. Dann stellte sie fest, dass der penetrante Ton hier in ihrem Schlafzimmer war. Gleichzeitig bemerkte Susan am Spiegelschrank ein rot blinkendes Licht.
„Frank!“ Sie schubste ihren schlafenden Mann an. „Frank, was ist das für ein seltsames Geräusch? Woher kommt das? Und da blinkt was. Hast du eine Alarmanlage einbauen lassen?“
„Wahrscheinlich spielen uns die Kinder mal wieder einen Streich“, knurrte ihr Mann ganz schlaftrunken.
„Frank! Tu endlich was! Das Ding wird ja unausstehlich.“
Nun erst nahm Frank Random bewusst den inzwischen unerträglich lauten Geräuschpegel wahr, öffnete langsam die Augen und sah gleichzeitig das rot blinkende Licht auf der Kommode.
Alarm im Raumfahrtzentrum! Mit einem Satz sprang er aus dem Bett. Susan konnte gerade einen Schrei unterdrücken. Frank griff zu seinem Handy, stoppte den Alarmton und wählte die für solche Fälle eingespeicherte Nummer. „Hallo“, rief er, „hier ist Frank Random.“
„Frank, hier ist Branden. Kommen Sie sofort zum Center. Es gibt ein ernsthaftes Problem.“ „Bin schon unterwegs.“
Er zog sein weißes Hemd vom Vortag an, nahm in Eile den Anzug vom Bügel, der am äußeren Kleiderschrankhaken hing und schlüpfte in Hose und Jacke.
Leise öffnete sich die Schlafzimmertür und der sechsjährige Luca blinzelte ihm verschlafen entgegen. „Papa, was ist das für ein Krach hier?“
„Papa hat zum ersten Mal einen Alarmeinsatz“, sagte seine Mutter. „Es wird wohl hoffentlich nichts Schlimmes sein...“
„Musst du jetzt zur Raumstation fliegen?“, fragte Luca nun sehr neugierig.
„Nein, bestimmt nicht. Da ist wohl irgendetwas nicht in Ordnung. Vielleicht arbeitet ein System nicht einwandfrei“, beschwichtigte Frank, bestimmt bin ich heute Mittag zurück und wir werden dann das ganze Wochenende über campen. Nun geh wieder schlafen.“
„Na gut“, antwortete Luca „du hast es aber versprochen, dass wir campen.“
Frank hatte sich zwischenzeitlich fertig angekleidet. Er gab Susan einen Kuss. „Ich werde bald zurück sein...“
„Hoffentlich“, meinte Susan nachdenklich.
Frank lief die wenigen Stufen zur Garage hinunter, stieg ins Auto und wählte über Handy die Rufnummer von Branden.
„Hallo Frank, sind Sie unterwegs?“ Branden war sofort am Telefon.
„Ja, ich komme so schnell es geht. Können Sie einen Hinweis geben, welches Problem vorliegt?“
„Bedaure. Leider nicht!“, Stimme und Aussage von Branden waren jetzt korrekt dienstlich. Das Handy von
Frank war nicht völlig abhörsicher. Daher durften nur allgemein gehaltene Informationen über Handy weitergegen werden. Branden konnte keinen pauschalen Tipp formulieren. Daraus schloss Frank, dass eine ernsthafte Problematik auf ihn wartete.
„Schon in Ordnung.“ Frank beendete das Gespräch und gab Gas. Mit viel zu hoher Geschwindigkeit fuhr er durch die nächtlichen menschenleeren Straßen in Richtung Space Center.
Als Frank den hell erleuchteten Eingang des Raumfahrtzentrums erreicht hatte, reduzierte er die Geschwindigkeit des Autos und rollte im Schritttempo weiter. Vor dem schweren Gittertor hielt er an. Einer der wenigen bewaffneten Posten kam auf ihn zu. Frank händigte ihm seinen Spezialausweis aus, damit er gescannt werden konnte. Nach der Überprüfung seiner Daten glitt das Tor auf Schienen langsam zurück und gab die Zufahrt frei. Frank nahm von dem grüßenden Posten seinen Ausweis wieder entgegen und fuhr in das Parkhaus. Nur sehr wenige Autos standen um diese Zeit hier. Frank suchte seinen für ihn reservierten Parkplatz, sprang aus dem Auto und ging mit schnellen Schritten zum Aufzug. Die warme, nächtliche Sommerluft trieb ihm den Schweiß aus den Poren. Er griff nach seinem Handy und rief erneut Branden an.
„Ich bin jetzt im Aufzug“, meldete ihm Frank.
„Kommen Sie direkt zu meinem Platz.“
Wenig später stand Frank neben Branden, der sich gerade mit Rayhn in der Raumstation unterhielt. Im großen Kontrollraum saßen nur ein paar Techniker an ihren
Bildschirmen und erfüllten Routinearbeiten. Branden deutete Frank an, sich zu setzen. Er unterbrach das Gespräch mit Rayhn mit dem Hinweis, dass der Chef eingetroffen wäre und er ihn nun informieren würde.
„Frank“, begann Branden, „was ich Ihnen jetzt erzähle, werden Sie zunächst nicht glauben wollen. Ich falle einfach mit der Tür ins Haus. Wir müssen dringend handeln. John ist verschwunden...“
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