Auf halber Strecke blieb Zuprecht jedoch stehen, hielt Asyra die Hände an die Ohren und beantwortete die Frage, bevor sie sie hätte stellen können: „Deine Ohren verraten dich, ohne das Kopftuch fällst du weniger auf. Mutandere Werdeform.“ Ein leichtes Kribbeln. Ein kurzer Stich und dann war alles vorbei. Zuprecht nahm die Hände wieder von den Ohren. Dann gingen sie weiter, bis sie zu der Palisade kamen, die das Dorf umgab. Es gab einen jungen Wachmann, der, als er die beiden Neuankömmlinge sah, eine wichtige Miene aufsetzte und mit einer tiefen Stimme, die gar nicht zu seinem jugendlichen Gesicht passte, fragte: „Was wollt Ihr in unserem schönen Dorf? Ihr seid doch nicht hier, um Ärger zu machen? Wir stehen unter dem Schutz der allmächtigen Hexe!“ Der Junge schien Reane zu verehren, denn nur die wenigsten nannten sie so, oder er war einfach nur naiv. „Wir wollen nur unsere Vorräte auffrischen“, sprachen Zuprecht und Asyra wie aus einem Munde. „Na dann ist ja gut, aber ich behalte Euch im Auge.“ Dieser Dialog spielte sich eigentlich mit fast jedem Gardisten oder Büttel ab, daher schenkten sie ihm keine große Beachtung. Es dämmerte bereits und beide waren müde vom ständigen Wandern. Sie hatten heute kein einziges Mal Pause gemacht und nur nebenbei ein Laib Brot mit etwas Schinken für Zuprecht und Käse für Asyra gegessen. Denn wie alle Elfen aß sie kein Fleisch, da ihr die Vorstellung, Tiere zu töten, nur um sich selbst zu sättigen, ganz und gar fremdartig und barbarisch vorkam.
Sie suchten sich eine Taverne, irgendwo in der Nähe des Marktplatzes. Sie bezahlten für ein Zweibettzimmer und gingen hinauf, einem alten, dicken Wirt hinterher, um ihre Sachen abzulegen. Zwar war es eine schöne Taverne, doch kostete sie auch etwas. Besonders Zuprecht hatte nur widerwillig bezahlt und damit das Vorurteil bestätigt, dass die Kobolde geizig und geldgierig waren. Asyra, die als Elfe an kaum etwas hing und schon gar nicht an so etwas wie Geld, war der Preis egal.
Da der Wirt ihnen eine warme Mahlzeit versprochen hatte, gingen sie wieder nach unten. Asyra schaute sich um und flüsterte dann: „Zuprecht? Wie lange hält die Verwandlung an?“ Sie deutete auf ihre Ohren. „Also bis heute Nacht sollte es reichen. Ich dachte, dass ich es morgen einfach erneuere. Denn so habe ich genügend Kraft für morgen und ich spare auch ein“, wisperte dieser zurück.
Sie musste unwillkürlich lächeln, noch ein Beweis für den Geiz der Kobolde. Der Wirt brachte ihnen ihr Essen, es war ein einfacher Eintopf. Einige Bohnen schwammen mit einigen Kartoffeln und Möhren zusammen im Wasser, woraus der Eintopf größtenteils auch bestand. Der Wirt lächelte sie gutmütig an und versicherte ihnen, dass sie morgen wegen des notdürftigem Abendessens auch noch das Frühstück serviert bekommen würden. Die beiden nickten freundlich und bedankten sich. Asyra aß den Teller langsam und mit Bedacht leer, während Zuprecht den Eintopf förmlich verschlang. Obwohl sie missbilligend den Kopf schüttelte, musste sie doch innerlich lachen.
In ihrem Zimmer legten sie sich auf ihre Betten, die nach den letzten zwei Nächten auf hartem Boden das Beste waren, was sie hätten bekommen können. Sie gingen den Plan für morgen noch einmal schnell durch: „Morgen Vorräte auffrischen, dann sich etwas in der Stadt umhören und dann weiterreisen.“ Asyras Hoffnung war nicht sehr groß, dass sie den Jungen hier finden würden, doch wer konnte schon genau wissen, wo sich dieser Bursche aufhielt? Während Zuprecht die Decke überwarf, pustete Asyra die Kerze aus, die die einzige Lichtquelle im Raum war, der nur ein Fenster hatte. Nun legte auch sie sich hin. Diese Reise oder eher gesagt diese Suche, war anstrengender als erwartet, auch wenn sie sich jetzt eingestand, dass sie keine allzu schwere Reise erwartet hatte. Sie legte ihren Säbel in Reichweite, so wie sie es immer tat, damit sie bei einem Angriff sofort kampfbereit war. Müde und erschöpft freute sie sich auf eine erholsame Nacht.
Kapitel 4: Die Fragen des Bösen
Der Falke flog nun schon zwei Tage über die Steppen des Landes. Er brauchte den Schlaf nicht, wieso auch? Die Kraft nährte ihn, denn er war weder ein normaler Falke, noch ein normales Krokodil, noch ein Mensch, Zwerg, Elf, Kobold, Trilit oder sonst etwas. Er war er und so was wie ihn hatte es erst wenige Male in der Geschichte der Welt gegeben. Wieso eigentlich? Wieso war seine Art nicht über allen diesen niederträchtigen und hässlichen Menschen und Elfen gestanden? Warum hatte sich sein Geschlecht nicht durchgesetzt? Er stellte sich oft diese Frage, er konnte es einfach nicht akzeptieren. Ihm stieg der Rauch eines kleinen Dorfes in die Nase, doch ihn störte es nicht. Im Gegenteil, der Rauch erinnerte ihn an Zerstörung, Wut und Hass. Diese Gefühle durchströmten ihn fast durchgehend, nur jetzt wurden sie von der Lust übertroffen, Wesen zu töten. Seine Art wurde oft als blutrünstig angesehen, doch was wussten sie schon von ihm? Gar nichts, niemand wusste, wer er wirklich war, nur seine Herrin und ihre Vertrauten wussten es. Andere sollten es auch gar nicht erfahren, nur die Elfe sollte es für kurze Zeit wissen, aber sie würde nicht die Zeit finden, es jemandem zu erzählen, denn bevor sie reden könnte, würde er sie zerfetzen!
Er wusste, wo das Dorf war, in dem die Elfe sich befand. Denn er hatte ein Geheimnis, von dem sonst niemand wusste. Durch einen der vielen Zauber, die er in seinem Repertoire hatte, konnte er jedes Wesen sehen, egal, wie viele Schutzzauber es um sich gelegt hatte. Doch dieses Wissen würde er nicht einmal mit seiner Herrin teilen, denn irgendwann würde er auch sie vom Thron stürzen und er würde ihre Position einnehmen. Er segelte langsam über die Steppe hinweg, er hatte Gegenwind, sonst wäre er viel schneller gewesen. Allerdings konnte es ihm egal sein. Er musste sich nicht hetzen, die Elfe war sowieso langsamer als er und wann sie starb war genauso unwichtig, solange sie diesen Jungen nicht fand. Dann erspähten seine scharfen Falkenaugen etwas und er gellte einen schallenden Ruf durch die Nacht. Er hatte das Dorf entdeckt, nun würde die Elfe ihr Schicksal ereilen.
Im Sturzflug schoss er auf das Dorf zu und landete auf einem Palisadenpfahl. Er musste nur noch die Tavernen durchsuchen, dann würde er seine Aufgabe erledigt haben. Für das, was er tun musste, schloss er die Augen. Mit der Kraft, die in ihm wohnte, suchte er die Elfe, sie würde sich nicht verstecken können.
Langsam wurde ihm schwarz vor Augen, dann sah er ein Bild, wie durch eine beschlagene Scheibe. Es war unscharf, wurde aber von einem Moment zum nächsten scharf. Er sah ein Haus, eine Taverne, wie er jetzt erkannte. Dann wurde das Bild immer näher an ein Fenster im obersten Stockwerk herangeführt. Als er endlich durch das Fenster sehen konnte, sah er eine Frau. Ob es wirklich die Elfe war? Sie hatte das gleiche Gesicht wie das letzte Mal, doch sie hatte keine spitzen Ohren! Und war das nicht eines der Hauptmerkmale der Elfen? Auch die schiefliegenden Augen schienen nicht mehr vorhanden zu sein und die Hautfarbe war ebenfalls dunkler. Bevor er sich noch einmal vergewissern konnte, ob er sich nicht einfach verguckt hatte, wurde das Bild wieder schwarz und langsam fand er sich auf seinem Pfahl wieder.
Diese Umstände verunsicherten ihn. Aber sein Vertrauen in seine magischen Kräfte war stärker. Noch nie hatten sie ihn enttäuscht, wieso sollten sie es jetzt tun? Und selbst wenn sie es nicht war, sondern nur ein mickriger Mensch, würde er sie einfach weiter suchen. Jetzt brauchte er nur noch nach der Taverne Ausschau halten und dann würde er wissen, ob er die Elfe gefunden hatte oder nicht.
Er schwang die Flügel und flog eine Weile über die Stadt, auf der Suche nach dem Marktplatz. Als er diesen gefunden hatte, landete er in dessen Mitte und schaute sich um. Alle Straßen und Gänge der Stadt führten hierher, also musste er nur jeden einzelnen absuchen. Zuerst nahm er einen schmalen Gang. Er flog ihn entlang, doch ohne Erfolg, denn die Taverne war nicht in dieser Gasse. Was erlaubte sich dieses Dreckstück, sich einfach in einer Taverne zu verstecken? Er durchflog alle Gassen, aber nirgendwo konnte er die Taverne finden. Dass er sich das Bild der Taverne nicht gut eingeprägt hatte, war ein großer Fehler. Wut stieg wieder in ihm auf, nun würde die Elfe richtig leiden! Er ließ sich auf einen Balken nieder, der aus einem Hausdach herausragte. Während er überlegte, ob er nicht eventuell doch noch einmal den Zauber anwenden sollte, fiel ihm etwas ins Auge. Ein Haus, das ihm sehr bekannt vorkam. Dann fiel sein Blick auf ein Fenster im oberen Stockwerk und dort sah er sie. Friedlich lag die Frau in ihrem Bett. Sie hatte das Gesicht der Elfe, doch die Augen und die Ohren schienen menschlich. Während er sich noch immer fragte, ob sie es war, fiel ihm etwas anderes auf. Ein Mensch mit langen braunen Haaren lag in einem anderen Bett. Wenn sie es war, hatte sie etwa den Jungen schon gefunden? Das konnte nicht sein, wahrscheinlich war es die falsche. Es musste die falsche sein! Er schaute noch einmal auf die Frau und hätte er in seiner jetzigen Form einen Mund gehabt, wäre ihm wohl die Kinnlade runtergeklappt. Die Augen und Ohren der Elfe wurden von grauem Rauch umgeben und als sich dieser wieder löste, waren die Merkmale der Elfen unübersehbar: die spitzen Ohren und die leicht schiefen Augen, das makellose, bleiche Gesicht und dazu die kirschroten Lippen.
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