„Ja, das ist mein Belangen. Ihr könnt Euch zwar gegen die Kraft von Reane verteidigen, doch wenn Ihr wirklich Eure Reiche erhalten wollt, braucht Ihr das Fayriath.“ Es war sehr unüblich und galt in diesen Regionen als mutig, den Namen der Diamantenen Hexe auszusprechen. „Wenn Ihr mir helfen wollt, sagt mir, ob ich hier einen Jungen mit eigenartigen Kräften, nussbraunem Haar und blonden Strähnen finde.“ Der Mann war sichtlich verdutzt. Sie sah, wie in rascher Bildabfolge Jugendliche und junge Erwachsene in seinen Gedanken erschienen, doch keines der Bilder wollte auf die Beschreibung passen. Mittlerweile hatte er sich wieder erhoben, schaute aber immer noch starr auf den Boden. „Nein, hier im Dorfe kenne ich keinen Jungen, der auf Eure Beschreibung zutrifft. Aber Ihr könnt ja versuchen, die Bauernhöfe im Süden des Dorfes aufsuchen.“ Er zeigte in Richtung des Dorfes. „Es sind in dieser Gegend natürlich nicht viele, aber einige werden es schon sein.“
Asyra schaute an ihm vorbei. Der Mann log nicht, dafür hatte er zu viel Angst. Sie hatte zwar damit gerechnet, aber es war trotzdem eine Enttäuschung, zu erfahren, dass sie wieder mehrere Tage gegangen war, nur um dies zu erfahren.
„Danke für diese Informationen, sie waren sehr hilfreich. Nun ...“
Jetzt spürte sie wieder ein neues Gefühl im Geiste des Mannes. Die Angst, ja die pure Panik vor dem Kommenden. Er glaubte fest daran, dass er den folgenden Tag nicht mehr erleben würde. Doch Asyra zog sich aus dem Geist des Mannes zurück und zog den Säbel aus dem Körper, dem sie vor einigen Minuten das Leben entrissen hatte. Sie machte ihre Klinge an der Hose einer der Männer sauber, während sie ihre Wunde nebenbei heilte, und lief dann weiter, an dem verdutzten Magier vorbei, in die Dunkelheit.
Im Dorf angekommen, suchte sie eine Schlafmöglichkeit. Sie entdeckte eine Taverne, doch dort schienen zu viele Leute zu feiern. Sie mochte diese Enge nicht. Außerdem würde sie als Fremde bestimmt eine Menge Aufmerksamkeit erregen, aber sie musste unentdeckt bleiben. Je weniger Reane etwas über sie wusste, desto sicherer war sie. Ausgelaugt und müde wie sie war, ging sie weiter und entdeckte eine weitere Taverne, deren Name auf einem kleinen Holzschild neben dem Eingang stand: Zur grünen Wiese.
Asyra schmunzelte. Der Optimismus der Menschen hatte sich hier von Kleinigkeiten wie unfruchtbarem Land nicht erschüttern lassen. Sie überlegte kurz und hatte dann ihren Entschluss getroffen.
In der Hoffnung, gleich einen erholsamen Schlaf zu genießen, stieß sie die Tür auf. Es roch nach Schweiß, altem Stroh und Bier. Anscheinend lagen die besten Zeiten dieser Taverne schon einige Jahre zurück, denn hier saßen nur ein oder zwei junge Burschen. Eine Frau mit blonden Haaren und einem für einen Menschen hübschen Gesicht eilte herbei: „Ihr wünscht?“
„Ich würde hier gerne für ein oder zwei Nächte verweilen“, beantwortete Asyra die Frage der Wirtin. Die Frau schaute an Asyra hinunter und schien kurz zu überlegen, nickte dann und fragte: „Wünscht Ihr den Schlafsaal oder ein Zimmer für Euch allein?“ Asyra war es eigentlich egal. Da sie aber befürchtete, dass wieder ein Soldatentrupp mitten in der Nacht erscheinen würde, erwiderte sie: „Das Einzelzimmer wäre mir recht. Für meine Mahlzeiten werde ich selbst sorgen.“ Sie war in den Geist der Frau eingedrungen und wusste daher schon, dass sie dies als Nächstes gefragt hätte. Nach dem Bezahlen bekam sie einen Schlüssel für ihre Tür und einen weiteren für die Truhe, die wie bei den meisten Gasthäusern in Einzelzimmern stand. Asyra hatte nie verstanden, warum die Menschen immer so viel Wert auf ihren Besitz legten. Wenn sie wirklich etwas bräuchten, könnten sie es doch bei sich tragen oder sich eben nicht an so viele Sachen binden.
Die Dame führte sie nach oben zu einem kleinen Zimmer: „So, da wären Ihre Gemächer. Sagt, wo kommt Ihr her und was macht Ihr in so einer trostlosen Gegend? Ich will ja nicht aufdringlich sein, aber neugierig bin ich schon.“ Asyra lächelte sie an: „Ich bin auf der Durchreise und komme aus dem Westen Boaniens. Meine Verwandten, zu denen ich reise, leben in Salumarien.“ Diesen Satz hatte sie gut einstudiert. Da Boanien an der Küste lag und Salumarien mitten im Herzen von Lorandor und der kürzeste, wenn auch gefährlichste Weg durch die Steppe ging, würde es wohl niemandem verdächtig vorkommen. Die Frau lächelte zurück und ging dann wieder, drehte sich noch mal um, hob die Brauen und schüttelte den Kopf. Asyra wusste nicht, was es war, aber irgendwas sagte ihr, dass sie diese Frau nicht zum letzten Mal gesehen hatte.
Kapitel 2: Durch die Augen einer Hexe
Die Frau mit den langen grauen Haaren, welches glatt von ihren Schultern hing, ging eine der vielen Treppen ihres Palastes hinunter. Neben ihr wand sich ein smaragdgrünes Krokodil. Sie schaute auf die Stadt, die sich am Fuße des Palastes befand, in der um diese Zeit nur noch die wenigsten Wesen auf der Straße unterwegs waren. Die Häuser waren aus einfachem, wenn auch wunderschönem rotem Backstein und zählten einst zu den schönsten Gebäuden Lorandors. Doch seit dem Bau oder besser dem Erschaffen der Kristallburg verblasste ihre Schönheit vor dem Glanz des riesigen Palastes.
Dieser Palast und ihre Vorliebe für wertvolle Edelsteine waren der Grund, warum ihre Untertanen sie nur noch die Diamantene Hexe nannten. Ihr gefiel der Name. So lernte das mindere Volk wenigstens, sich vor ihr zu fürchten und andere Völker einzuschüchtern. Die Menschen waren schwach und zerbrechlich. Die wenigen Freien, die es noch gab, waren in den Süden oder den Nordwesten zu den restlichen freien Königreichen geflohen, einige zu den Elfen in die Ewigen Wälder im Norden, der Rest zu den Kobolden oder den letzten Zwergen in die Berge.
Reane lachte laut. Ja, sie war die mächtigste Frau von Lorandor und weder Elfen, Triliten, Zwerge noch die Kobolde konnten ihr was anhaben.
„Ralosch!“ Sie schickte ihren Geist nach dem Zwergen-Diener aus, der das Eindringen seiner Herrin in seinen Geist gar nicht bemerkt hatte. „Warum bist du nie zur Stelle, wenn man dich braucht? Los, komm her!“ Sie merkte, wie der Zwerg vor Angst bebte, als sie ihn im Geist förmlich anbrüllte. Es machte ihr Spaß, zu sehen, wie die Schwächeren den Mächtigeren unterlagen. Erneut lachte sie laut.
Nach kurzer Zeit kam der Zwerg herbeigeeilt. Mit weiten Augen und in Lumpen gewickelt, stand er vor ihr. Er schnaufte heftig, ließ aber das Ritual der Treue nicht aus. Er verbeugte sich, stand wieder auf, ballte beide Hände zur Faust und drückte sie gegeneinander. „Ihr habt mich gerufen, Herrin?“ Der Zwerg hatte eine feste Stimme, doch Reane wusste, dass ihn die Ruhe sehr viel Konzentration kostete. Die Hexe lächelte ihn an: „Du weißt, was mir in letzter Zeit große Sorgen bereitet?“ Ralosch nickte. „Nun, ich will sie endlich aus dem Weg geräumt haben! Ich will, dass nichts von ihr übrig bleibt, überhaupt nichts! Asyra läuft nun schon seit einigen Wochen in meinem Reich herum und schwächt nicht nur unsere Garnisonen, sondern erweckt bei den Menschen wieder das Gefühl, dass sie sich MIR widersetzen können!“ Reane sagte dies alles im ruhigen Ton, doch je mehr sie darüber nachdachte, um so mehr stieg der Zorn in ihr auf. Was dachte sich die Elfe überhaupt dabei, einfach durch ihr Reich zu spazieren und all ihre Mühen, die Widerstände im Volk einzudämmen, zu zerstören?
Der Zwerg, der noch immer darauf wartete, dass sie weitersprach, schaute ihr weiterhin fest in ihre eisblauen Augen, vor denen das gesamte Volk panische Angst hatte. Sie wandte sich um und sah wieder auf die Stadt. Ein Lächeln zuckte durch ihre Mundwinkel, als ihr ein vorzüglicher Gedanke kam, den sie Ralosch sofort mitteilte: „Nun, wieso sollten wir unsere Kräfte nicht wirklich mal messen? Soll sie es doch mit der aufnehmen, die sie glaubt, schwächen zu können. Ralosch, bereite mir ein Bad vor! Ich werde mich gleich entspannen wollen!“ Der Zwerg verbeugte sich so tief, dass sein langer Bart den Boden berührte. Dann eilte er rasch die Treppe hinauf und verschwand in den großen Kristallen des Palastes.
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