Und genau das geschah, wenn es auch den Falschen erwischt hatte. Der Schlumpschütze sah etwas anwechseln im Dunkeln, rechnete nicht mit einem Menschen, und liess fliegen.
Auf den Schrei hin stürzte er von der Kanzel, rannte zu dem Verletzten, sah, was er getan hatte, hörte den Sohn kommen, rannte ins Unterholz und in einem Bogen sofort zu F. Der, mit Hilfe seiner Freundin, versteckte ihn mehrere Tage lang, während die Kripo vergeblich ermittelte. Dann hatten sie ihn so weit, dass er sich stellte, aber jede Aussage verweigerte, weil er einen Verteidiger gestellt bekam und ein sehr bedeutendes Handgeld. Der Frau des Getöteten wurde, ebenfalls mit viel Geld, die Nebenklage „abgekauft“.
Der Täter erhielt wegen „fahrlässiger Tötung“ eine Bewährungsstrafe und bereits nach 5 Jahren seinen Jagdschein wieder! Gegen F., den eigentlichen mittelbaren Täter, wurde gar nicht erst ermittelt.
O. ist heute noch ein erstklassiger Jäger. Aber im „Kruger Busch“ hat er seitdem nie wieder gejagt!
Wie an dem Tag der Dich der Welt verliehen
Die Sonne stand zum Grusse der Planeten
Bist alsobald und fort und fort gediehen
Nach dem Gesetz wonach Du angetreten…
Usw. usf.
Wo er Recht hat, hat er Recht, der Johann Wolfgang. Unabhängig davon, was die meisten Leute denken: wenn unsere Schädlinge erst einmal das Licht dieser Welt erblickt haben, entwickeln sie sich zwangsläufig so, wie es eben kommen muss. Liebe, Vorbild, Zwang, Überredung, Bestechung, Bestrafung – hilft natürlich immer mal ein bisschen, aber letztlich nur marginal. Milieu und Vererbung, der gestirnte Himmel über uns und die Stimme des Gewissens in uns, alles ganz nett, aber letztlich nicht entscheidend. Gene oder die Gestirne?
Sie kennen das aus unzähligen Gesprächen:
„ Von wem hat er das wohl?“
„ Ganz der Vater, Du Autist!“
„ Kein Wunder, da mendelt sich Deine blöde Mutter durch“
„ Von mir hat er das nicht“
und
muss Dein schlechter Einfluss sein!
Auf mich hört ja keiner,
usw. usw.
Natürlich gibt es eine Menge normaler netter Leute, aber eben auch eine Menge von Idioten, Spinnern, Betrügern, Verbrechern usw. Ausserdem gibt es so ambivalente Kombinationen wie Intelligenz gepaart mit Charme und Skrupellosigkeit – Mr. Ripley zum Beispiel. Jedenfalls lehrt uns Goethe: Schau Dir einfach die Kinder an, und Du lernst eine Menge über den späteren erwachsenen Menschen.
Ich bin am 19. Juni geboren und damit ein männlicher Zwilling. Das sagt alles!
Zwillinge gelten allgemein als hochbegabt, aber inkonsequent. Können viel, manchmal überdurchschnittlich viel, aber es reicht letztlich nicht; ehrgeizig, aber nicht sehr, der optimale Wirkungsgrad genügt.
Nehmen Sie also mich: ich spiele eine swingende Jazzklarinette, aber kann keine Noten lesen. Trotzdem kam ich mit Sidney Bechet und Claude Luter klar, so als Band-Einsteiger, aber technisch war ich substandard, also zum Berufsmusiker gänzlich ungeeignet. Ich war ein ganz guter Fechter, aber zu faul zum harten Konditionstraining. Ich war, nee, eigentlich bin ich ein guter Zauberkünstler, vorwiegend Kartenkunststücke, aber eben nur so zum Angeben und Weiber anmachen – Sie werden darüber in diesem Buch noch Einiges lesen! Und so weiter und so fort, mehr Striptease ist zur Zeit nicht nötig, wir werden uns schon noch kennenlernen.
Es ist ein strahlend windstiller Sommertag. Die Mittagshitze flimmert über der braunvertrockneten Wiese, die am Ende der Herchenbachstrasse zwischen dem zurückbleibenden Buschwald und den ersten Häusern liegt, da, wo die Strasse steil aus Baden-Baden hochsteigt und dann flacher wird. Ein Stück weit auf der anderen Seite steht eine Bank. Auf der sitzen mein Freund Axel und ich und betrachten aufmerksam eine kleine Rauchsäule, die mitten in der Wiese leise emporsteigt, und langsam stärker wird.
Wir sind etwas über 9 Jahre alt und sehr unternehmungslustig und, wie wir meinen, verdammt clever. Vor allem sind wir technisch sehr interessiert. Axel ist nicht nur mein bester Freund, sondern auch mein Fahrlehrer – regelmässig klaut er den Opel Kapitän seines Vaters, der Landarzt in Feldrennach ist, und da er gut fahren kann, bringt er es mir bei.
Aber natürlich nicht gerade jetzt.
Denn im Moment führen wir eine empirisch wissenschaftliche Erhebung durch. Axel hat zum Geburtstag eine Armbanduhr mit Stoppuhr bekommen, und das hat uns auf die Idee gebracht, mal was zu stoppen oder zu timen oder so. Mein Vorschlag war, zu testen, wie schnell die Feuerwehr irgendwo ist, zum Beispiel bei einem Feuer. Axel fand das auch erhebungswürdig.
Und deshalb sassen wir am oberen Ende der Herchenbachstrasse in Baden-Baden, Axel mit der Stoppuhr in der Hand, und warteten. Wir waren inzwischen guter Hoffnung, denn eine alte Vettel hatte im ersten Haus soeben aus dem Fenster geguckt, „ huch, ein Feuer “ gerufen, und war ins Zimmer zurückgeeilt. Das war kurz vor dem Moment, in dem Axel den Knopf der Stoppuhr drücken sollte.
Ich fand das eigentlich unwissenschaftlich, denn wir konnten damit natürlich den genauen Zeitpunkt des Alarmanrufes nicht präzise festlegen. Aber wir kamen überein, dass man mit der natürlichen Geschwindigkeit einer alten Vettel vom Fenster zum Telefon zuzüglich der üblichen Sprachverzögerung der badischen Mundart ganz gut rechnen konnte. Also hatte Axel, als sie ins Zimmer zurückgesaust war, die Stoppuhr hochgehalten und folgendermassen gesprochen; er war einfach als Sohn eines badischen Landarztes in solchen Dingen erfahrener als ich als Berliner Junge:
Ach Gottsche wo is dann jetzt das Telefon do brennt die Wiesn glab i o lieber Monn o lieber. Alla gottseidank do isses. Wie jetzerdle – äh, 110, glaab i. Oder?
Ja des klappt - alla Sie hier is die Frau Mechels do brennt die Wies die trockene kommeseschnell…, wie? Ei die Frau Mechels. Ach so! Ha, Herchebachstross 7 in Bade Bade, ja ja also komme Sie? Gut.“
Diesen wahrscheinlichen Verzögerungseffekt hat Axel eingerechnet. Nach genau 7 Minuten erschien die Baden-Badener Feuerwehr mit 3 Wagen; die Wiese brannte schon ganz nett. 5 Minuten später kamen zwei weitere Wagen und mehr C-Rohre. Das Feuer breitete sich aus. Nach weiteren 6 Minuten erschien die Gernsbacher Wehr mit 4 Wagen, 5 Minuten später eine aus Neuweiher mit 2 Wagen. Die mussten die angrenzenden Häuser unter Wasser setzen, weil die Wiese zunächst nicht zu bändigen war und der Brand inzwischen seine eigene Windkraft entfachte – ein Phänomen, das wir als vorher nicht bedacht, aber für die Zukunft höchst bedenkenswert sofort registrierten.
Inzwischen waren mehrere Polizeifahrzeuge eingetroffen, das technische Hilfswerk und die Malteser und die Johanniter und die Presse.
Axel und ich verbuchten die Aktion gerade als grossen Erfolg, als mir jemand von hinten auf die Schulter tippte. Ich drehte mich um und gewahrte im Lichte der immer noch eindrucksvoll brennenden Wiese meinen eingeheirateten Grossvater, den Herrn Pfarrer Ippach.
Er sah mich ernst und durchdringend an, eine alte Masche von ihm, er kiekte immer so, und fragte, mit Seitenblick auf Axel:
„ Habt Ihr mit der Wiese da was zu tun???“
Und so blickte ich ihm treuherzig in´s verschwommene blaue Auge und fragte zurück:
„ WELCHE WIESE?“
Da, sagte Axel später, war ihm das erste Mal klar, dass ich jedenfalls mal Rechtsanwalt werden würde.
Eine bedeutende Grossmutter
Damit haben wir also schon kurz meinen Grossvater kennengelernt, der, was Sie nicht verwundern wird, der Mann meiner Grossmutter war, aber von allen nur „der Karl“ oder allenfalls „der eingeheiratete Grossvater“ genannt wurde – denn meine Grossmutter war eine geborene von Heyl (geschiedene von Königsmarck und Verwitwete von der Planitz, um vollständig zu sein). Der Karl galt als Mesalliance, nicht standesgemäss. Denn die von Heyls galten weithin als „vom wilden Baron gebissen“, was andeuten soll, dass sie sich auf ihren Adelstitel ganz schön was zugute taten. Da passte der Pfarrer Karl Ippach aus einer Essener Arbeiterfamilie nicht so richtig rein.
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