Horst Fesseler - Das Böse wartet schon

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Die Bürokauffrau Carmen Strewe wird nach dem Tod ihres Gatten Heiko mit obskuren Spukgestalten konfrontiert. Geister von Verstorbenen tauchen in ihrem Leben auf, fremdartige Wesen erscheinen in ihren Träumen.
Heiko Strewe versucht, Kontakt mit seiner geliebten Frau aufzunehmen. Doch sie reagiert nicht auf seine übersinnlichen Botschaften, stürzt stattdessen noch tiefer in den Strudel unerklärlicher und gefährlicher Phänomene. Die dramatischen Ereignisse ziehen Carmen in einen magischen Bann, in dessen Verlauf sie eine völlig abstrakte Realität erlebt. Sie beginnt an ihrem Verstand zu zweifeln und vertraut sich einem Bekannten an, der ihr einen erfahrenen Psychologen empfiehlt. Dieser erkennt, dass ihre Schilderungen nicht auf Einbildung oder Halluzination beruhen, sondern real sind. Gemeinsam versuchen alle drei, den Ursachen auf den Grund zu gehen und setzen sich lebensbedrohlichen Situationen aus.
Sind all diese ominösen Willenslenkungen nur als Folge durch den unerwarteten Tod ihres Gatten entstanden oder steckt mehr dahinter?
Am Ende kommt es zu verblüffenden Ergebnissen.

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„Ich denke, es wird für mich jetzt Zeit. Du willst sicher auch schlafen gehen. Wir müssen beide morgen wieder früh raus“, meinte Sabine und trank ihren Kaffee aus. Ein Blick zur Uhr zeigte ihr, dass Mitternacht längst vorbei war.

„Bleib noch auf eine Zigarettenlänge“, bat Carmen und reichte Sabine die Schachtel hin, „nach Schlaf ist mir noch nicht zumute.“

Aus einer Zigarette wurden zwei. Kurz nach eins verabschiedete sich Sabine von Carmen, denn sie konnte kaum noch ihre Augen aufhalten. Nachdem Sabine gegangen war, legte sich Carmen zu Bett und schlief sehr schnell ein. Zu ihrer Überraschung hatte sie diesmal eine erstaunlich ruhige Nacht ohne Alpträume und ohne schweißgebadetes Erwachen am Morgen.

Es versprach in vielfacher Hinsicht ein wundervoller Tag zu werden. Carmen hatte sich einiges vorgenommen. Nach der Arbeit wollte sie mit Sabine einen Stadtbummel machen. Anschließend war noch ein ausgiebiges Essen in einem Restaurant vorgesehen. Sie erhoffte sich von dieser Art der Ablenkung ein wenig Erholung ihrer aufgewühlten Gefühle. Nach Tagen der Trauer brauchte Carmen endlich den lang ersehnten Ausstieg aus ihrem depressiven Stimmungstief.

Sabine holte Carmen pünktlich in der Firma ab, gemeinsam zogen sie los. Im Kaufhaus gegenüber dem Bahnhof stöberten sie die Kleiderständer und Regale durch. Danach machten sie sich auf die Suche nach einem Kaffeeautomaten. Sabine brauchte einen neuen, denn der alte hielt nicht mehr lange durch. Sie schlenderte zwischen den Regalen entlang. Carmen stöberte indessen in den Büchergestellen herum.

Plötzlich tauchte in der Spiegelverkleidung eines Stützpfeilers eine schattenhafte Gestalt auf, vor der sich Carmen ganz furchtbar erschreckte. Abrupt wandte sie sich um, konnte aber niemanden sehen. Als sie kurz darauf wieder in den Spiegel blickte, sah sie aus den Augenwinkeln heraus schemenhaft diesen Fremden. Jetzt drehte sich Carmen ganz langsam um. Im nächsten Moment war die geheimnisvolle Erscheinung verschwunden.

Wo steckte bloß Sabine? Eben war sie doch noch da. Hinter einem Stapel leerer Kartons sah sie ihren blonden Lockenkopf hervorstechen. Carmen winkte ihr zu. Sie kam auch sogleich und fragte: „Na, hast du was gefunden?“

Verwirrt schüttelte Carmen den Kopf und schaute unruhig in alle Richtungen. Sollte sie mit Sabine über den Vorfall sprechen oder einfach schweigen? Würde Sabine sie überhaupt verstehen oder für verrückt halten?

„Was ist mit dir? Du wirkst so fahrig? Ist dir nicht gut?“, wollte Sabine wissen und schaute Carmen besorgt an.

„Nein, nein. Doch! Mir war so, als hätte ich da eben eine fremde Gestalt im Spiegel gesehen. Aber als ich mich umdrehte, war sie verschwunden“, entgegnete Carmen mit monotoner Stimme.

Forschend suchte sie mit ihren Augen die Umgebung ab, und bemerkte, wie Sabines Blicke ihr dabei aufmerksam folgten.

„Da ist aber niemand, der nicht hierher gehört!“, bemerkte Sabine. „Keiner, der ungewöhnlich oder erschreckend wirkt. Du musst dich getäuscht haben. Überhaupt bist du in letzter Zeit ziemlich abwesend. Der Tod von Heiko hat dich doch sehr mitgenommen. Ich denke, wir sollten mal einen kurzen Urlaub machen. In die Berge fahren, oder einfach nur zu deinem Ferienhaus im Schwarzwald. – Was hältst du davon?“

Carmen zuckte mit den Schultern, denn sie brauchte Zeit, um sich in Ruhe mit dieser Idee vertraut zu machen. Vielleicht hatte Sabine ja Recht mit ihrer Idee, und sie sollte sich ein paar Tage Urlaub gönnen, einfach nur durchatmen, entspannen und sich erholen. Danach sah die Welt bestimmt viel besser aus. Dennoch hatte sie Zweifel, zu viel Arbeit hatte sich in der Firma angesammelt.

„Ich weiß nicht so recht, ich kann mir jetzt keine Freizeit erlauben, habe jede Menge im Büro zu tun“, meinte Carmen.

Sabine sagte nichts, nickte nur knapp und machte sich wieder auf die Suche nach einem geeigneten Kaffeeautomaten. Carmen schaute sich indessen weiter bei den Bücherregalen um. Den mit Spiegelglas verkleideten Pfeiler musterte sie dabei mit kritischen Blicken. So ganz geheuer kam ihr das alles nicht vor. Immer wieder wandte sie ihren Kopf beim Stöbern in den Bücherreihen dem Spiegel zu. Einmal glaubte sie, einen Schatten bemerkt zu haben, und drehte sich ruckartig um. Im gleichen Moment materialisierte sich vor ihren Augen aus dem Spiegel heraus eine männliche Gestalt, ganz glasig zwar, aber dennoch deutlich erkennbar. Für den Bruchteil von Sekunden verschwand die Erscheinung wieder, um dann wie aus dem Nichts erneut aufzutauchen.

Verlegen blickte sich Carmen nach Sabine um. Weit und breit war nichts von ihr zu sehen. Wo steckte sie bloß? Wenn sie jetzt hier wäre, könnte sie dieses Phantom auch sehen. Wieder hasteten Carmens Augen über die Regale. Jetzt erst fiel ihr die menschenleere Kaufshausetage auf. Kein einziger Kunde war zu sehen, Carmen befand sich vollkommen alleine zwischen Regalen, Vitrinen und Kleiderständern. Verängstigt starrte sie die schemenhafte Erscheinung vor dem Spiegel an.

„Was soll das?“, stieß sie beklommen und mit zitternder Stimme hervor. „Verschwinde endlich! Weg da! Dich gibt es nicht wirklich, du bist nur eine blöde Einbildung meiner verwirrten Fantasie.“

Das Phantom schien von Carmens Worten unbeeindruckt zu sein und kam näher. Plötzlich ertönte eine Stimme, bei deren Klang Carmen erschrocken zusammenzuckte.

Die Gestalt sprach: „Ich bin real und du weißt das genau, denn ich bin dir erschienen. Mit deinen Augen und mit deinem Geist nimmst du mich wahr. Doch wir sind in zwei verschiedenen Welten: du in der deinen, der materiellen, und ich im Reich der Toten und der Seelen, den feinstofflichen Dimensionen.“

Carmen wirkte verunsichert und wusste nicht, wie sie reagieren sollte, glaubte sie doch, die Erscheinung sei nur ein Trugbild ihrer Gedanken.

Zögernd brummte sie: „Und was willst du von mir? Du gehörst nicht in mein Leben ...“

„Was ist mit deinem Leben? Mit wem sprichst du denn da?“

Carmen zuckte fast zu Tode erschrocken zusammen. Sabine war unerwartet von hinten aufgetaucht und hatte sie angesprochen.

Beschämt antwortete sie: „Ach nichts, ich habe nur mit mir gesprochen. Bin verärgert, weil ich hier rumsuche und nicht weiß, was ich eigentlich will. – Komm lass uns von hier verschwinden.“

Sie zerrte Sabine weiter zur Rolltreppe. Nur raus hier!, ging es Carmen durch den Kopf, sonst fange ich noch an zu spinnen. Weg von diesem Ort, um abzuschalten und auf andere Gedanken zu kommen.

„He du, warte auf mich, nicht so schnell“, rief Sabine der davonlaufenden Carmen hinterher, „wir versäumen doch nichts. Was ist denn auf einmal los mit dir?“

Carmen blieb plötzlich stehen und drehte sich abrupt um. Tränen liefen ihr die Wangen herunter. Sie sah Sabines erstaunten Blick, doch bevor sie etwas sagen konnte, wehrte sie mit einer Handbewegung ab.

Mit bebender Stimme stammelte Carmen: „Ich habe einen Geist gesehen, gerade eben im Kaufhaus. Er starrte mich mit seinen großen Augen an. Ich weiß nicht, was er wollte. Ich kann auch nicht sagen, ob ich mir das nur eingebildet habe.

Heiko sah früher auch immer Spukgestalten, die mit ihm redeten, die ihn um den Verstand gebracht hatten. Vielleicht waren es bei ihm auch nur Halluzinationen gewesen. Aber er ist daran zu Grunde gegangen. Es kostete ihn das Leben! Ich möchte nicht, dass mir das gleiche Schicksal widerfährt. Womöglich verfolgen mich jetzt diese komischen Monster ... lachen sich kaputt über meine Angst ...“

Sabine hatte schweigend zugehört und entgegnete nun, wobei ihre Worte erleichternd auf Carmen wirkten: „Ich glaube dir. Manchmal sieht man aus den Augenwinkeln heraus schemenhafte Gestalten aus fremden Dimensionen oder einer selbst geschaffenen Realität vorbeihuschen. Sobald sie sich beobachtet fühlen, verschwinden sie sofort wieder, wendest du deinen Blick zur Seite, tauchen sie sofort wieder auf, ohne dass du es gewahr wirst. – Du bist abgespannt und mit den Nerven total fertig, aber nicht verrückt. Die Anstrengungen in letzter Zeit haben dich sehr mitgenommen. In dieser Stresssituation kannst du diese Schemengestalt durchaus real wahrgenommen und auch mit ihr gesprochen haben.“

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