Oliver Birkner
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Copyright © 2010 Verlag Die Werkstatt GmbH
Lotzestraße 22a, D-37083 Göttingen
www.werkstatt-verlag.de
Alle Rechte vorbehalten.
Umschlagfoto: Gerrit Starczewski
Satz und Gestaltung: Verlag Die Werkstatt
ISBN 978-3-89533-733-8
Die folgenden Seiten werden sich beim Berühren von Anhängern des FC Bayern München, Schalke 04 oder Borussia Dortmund in genau 49 Sekunden in einer flammenden Implosion selbstauflösen.
… 48, 49, 50. All denen, die jetzt noch ein vollständiges Exemplar in den Händen halten, sei dieses Buch gewidmet.
Prolog
Kapitel I: Heimspiel 1970 bis 1993
Am Anfang war das Licht
Like a Rolling Stone
Die Titanen
Der beste Fußballer der Welt
Stiller Genuss
Der beste Song der Welt
Ich hasse Lajos Detari
Abschiedsmusik
Kapitel II: Auswärtsspiel
In seinem Fuß sangen die Vögel
Cesarini, Hörner und das Tor des Ex
Wir steigen auf, wir steigen ab
… und zwischendurch UEFA-Cup
„Jamás en Segunda Division“ – Die Karibik bebt
Irmengards Werk und Edus Beitrag
Kapitel III: Die beste Saison aller Zeiten
Das Turnier der Frauen
Das Franken-Syndrom
80 DD und Portugals Außenpolitik
You only sing when you’re winning!
Sind aber auch viele Stammspieler verletzt
BVB, hijos de puta
Trainer-Versenken
Nie Deutscher Meister
Kapitel IV: Auswärtsspiel Reloaded
Calcio parlato
Mit Fidel Castro im Stadion
Currywurst um Mitternacht
Mann, der Grote!
Der Birkner-Preis
Epilog
Danksagung
Der Autor
Zum Weiterlesen
„You ain’t a beauty but hey you’re alright.“
Bruce Springsteen
Für den VfL Bochum und Urlaub in Armenien gibt es keine plausible Rechtfertigung. Fraglos mag Armenien die Urlaubskasse jetzt nicht ganz so tief in den Abgrund reißen. Doch am zehnten Hochzeitstag vorzuschlagen: „Schatz, warum nicht mal zwei Wochen Jerewan?“, und dort im VfL-Trikot neben der entgeisterten Frau, vor einem unbekannten Bier, auf einem obskuren Sender, in einer nebulösen Sprache Bochum gegen Cottbus zu schauen, da gibt es graziösere Freizeitgestaltungen.
Träume von diametralem Vergnügen sind immerhin legitim: Europapokalfinale in einer mondänen europäischen Metropole, über den Pottgewinn jauchzen, anschließend im Hotel rein zufällig die Nachbarstochter samt bester Freundin auf Studienreise treffen, beide hauchen, dass sie nicht nur Begrüßungsfloskeln austauschen wollen, sinngemäß fallen Worte wie „Gehirn“, „raus“ und „nageln“.
Mit dem Genuss-Antichristen VfL würde trotz suggestiver Anstrengungen plötzlich a) aus einer mondänen Metropole vielleicht Fürth, b) aus dem Cupgewinn eine Niederlage im Regenguss, c) aus den weiblichen Protagonisten zwei Mitt-Fünfzigerinnen, die sich d) nach der Aufwärmphase als Männer herausstellen, und e) müsste man am Ende für all das noch bezahlen.
New-Age-Langeweiler entschärfen die Spaßwüste dann gern mit dem Zwiebelvergleich: Wie hinter jeder Schale ein neuer Sonnenschein hervorlugt, bis im Nukleus die Offenbarung tobt. Das ist nun aber das Problem: Im Bochumer Zwiebelkern wartet nämlich null Komma nichts. Sie ist und bleibt eine verdammte Zwiebel – rohe 100 Gramm, 88 Gramm Wasser. Und läufst du durch ein Zwiebelfeld, riechst du auch danach.
Zudem klingt „Verein für Leibesübungen“ beinahe so dämlich wie der Name meines ersten Jugendklubs DJK, Deutsche Jugendkraft, mit dem ich beim Auflaufen vor den Heimspielen als Einstimmungs-Gassenhauer irgendwie stets das Horst-Wessel-Lied erwartete.
So ist der potenzielle Fußballanhänger, wenn er irgendwann zu Bochum verführt wird, zur richtigen Zeit einfach am falschen Platz. Doch schließlich intrigiert die zukünftige Braut den Mann ja auch mit durchtriebenem Kalkül und farbenfrohen Versprechungen in die Ehe. Dort sind schweißtreibende Europapokal-Nächte flugs Vergangenheit, man spielt höchstens noch DFB-Pokal und macht nach der ersten Runde schlapp. Im Grunde müsste man als nobelste Instanz des freien und rechten Willens eigentlich umspringen können – auf Barcelona oder die Freundinnen der Frau, insbesondere deren beste Freundin! Größere Brüste und Trophäen. Aber nun bist du mittendrin und dabei, weit hinter der ersten Reihe, mit dem ganzen Sich-Durchschlängeln und den charmanten Erinnerungen für schlechtere Zeiten – bis am Ende der allerletzten Saison das Flutlicht für immer ausgeknipst wird.
Meine naive Bildungsreise führte mich als Köttel in Kutte durch die Ostkurve, entlockte mir die ersten animalischen Grunzer bei Siegen gegen die Stuttgarter Kickers oder Düsseldorf. Die Erkenntnis, dass man im Fußball auch Trophäen erringen kann, kam leider zu spät. Seit den Siebzigern bin ich VfL-Fan, lange verschworen mit Aspirin, bisweilen mit drei Punkten. Irgendwann blieb ich dabei aus Trotz, so wie man täglich zur Arbeit schlurft oder manche freitags Lotto spielen. Es ist die Hingabe in die resignierende Hoffnung, ein Cocktail aus Minderwertigkeitskomplex und transzendentaler Erwartung. „2010, ihr werdet es schon sehn.“ Schnell reimen sich zum Glück 2013 bis 2019 wieder auf „sehn“, dann müssen wir den Song bis 2110 archivieren.
Erdrückt zwischen Gazprom- und Signal-Iduna-Despoten will ich tapferer Realist bleiben. Wer an Bochum und Titel glaubt, glaubt auch, dass Hulk Hogan beim Wrestling wirklich den Finger in die linke Iris des Clowns im Indianerkostüm sticht. Mit dem Doppelpass machen wir stets Bielefeld, manchmal unsere eigene U19 nass.
Im Ausland kann nicht einmal jemand unfallfrei unseren Vereinsnamen aussprechen. Meine Ohren mussten sich jenseits der Republikgrenzen an Bokum, Butschum, Bojum, Boum, Raiiivairiipavirstadium und Revirpowirschitadion gewöhnen. Borussia und Schalke gehen verbal leider überall. Selbst Luzifers Gebräue DAB und Veltins sind im Gegensatz zu unserem Nektar Fiege Pils bizarrerweise in fremden Ländern zu erwerben.
Aber während die Sauerländer und Bueraner sich in diamantener Vergangenheit suhlen und von opulenter Zukunft palavern, bleiben sie ohne Gegenwart. Das haben wir ihnen voraus. Der Bochumer ist Allegorie des Alltags: gelegentlich schüchterne Zwischenhochs unter einer Mittelmaß-Front, ein fragiles Hier des Ernüchtertseins, ein tröstender, hängender, reifer Busen.
Nach dem Remis in Cottbus saufen ist eben vor der Heimniederlage gegen Leverkusen saufen, in unserem blau-weißen Dorado der Masochisten, die selbst bei einer 3:0-Führung zur Pause an der Pinkelrinne ihren Bierbecher warnend vor solidarisierte Gesichter strecken: „Ein schnellet Gegentor und dann is die Kacke aba gehörich am Dampfn!“, und nach dem 4:2-Endergebnis fluchen: „Wat für Stutenkerle! Nach sonne Leistung hättn die eigntlich verliern müssn!“ Wahrscheinlich sind wir die einzigen Fans, die nicht so recht wissen, was sie mit Siegen eigentlich anstellen sollen – wir lechzen nach Niederlagen, nur um vorausahnende Gewissheiten tumb abzunicken. Ja, im Grunde muss der VfL verlieren, um das eigene Weltbild im Gleichgewicht zu halten.
Doch wenn die Bayern sich uns deshalb als Notopfer-Verbündete auserkoren haben, sollen sie gefälligst nach anderen Strichjungen fahnden. Jackpots und Titel kommen nicht nach Bochum. Aber das macht uns noch lange nicht zu Prostituierten von Latzhosen. Die, die keine durchgeschnittene Currywurst kennen. Würde behalten wir auch nach 2110 für uns. Niemals Rot-Weiß, außer bei Currywurst-Pommes. Natürlich durchgeschnitten und von Dönninghaus – dem Mythos, der uns mit einem Fiege selbst nach einem 1:4 gegen die Bayern richtig scharf macht.
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