Horst Fesseler - Das Böse wartet schon

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Die Bürokauffrau Carmen Strewe wird nach dem Tod ihres Gatten Heiko mit obskuren Spukgestalten konfrontiert. Geister von Verstorbenen tauchen in ihrem Leben auf, fremdartige Wesen erscheinen in ihren Träumen.
Heiko Strewe versucht, Kontakt mit seiner geliebten Frau aufzunehmen. Doch sie reagiert nicht auf seine übersinnlichen Botschaften, stürzt stattdessen noch tiefer in den Strudel unerklärlicher und gefährlicher Phänomene. Die dramatischen Ereignisse ziehen Carmen in einen magischen Bann, in dessen Verlauf sie eine völlig abstrakte Realität erlebt. Sie beginnt an ihrem Verstand zu zweifeln und vertraut sich einem Bekannten an, der ihr einen erfahrenen Psychologen empfiehlt. Dieser erkennt, dass ihre Schilderungen nicht auf Einbildung oder Halluzination beruhen, sondern real sind. Gemeinsam versuchen alle drei, den Ursachen auf den Grund zu gehen und setzen sich lebensbedrohlichen Situationen aus.
Sind all diese ominösen Willenslenkungen nur als Folge durch den unerwarteten Tod ihres Gatten entstanden oder steckt mehr dahinter?
Am Ende kommt es zu verblüffenden Ergebnissen.

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Carmen blickte nervös auf die Uhr, es war langsam an der Zeit, aufzubrechen. Wenn doch nur endlich Sabine Ullmann käme. Sie wollte sie abholen. Angespannt schaute Carmen zum Fenster hinaus. Der Regen hatte ein wenig nachgelassen. Von Sabine jedoch war weit und breit nichts zu sehen.

Plötzlich läutete es an der Tür, und Carmen fuhr erschrocken zusammen. Ihre Hände zitterten, im Magen kam ein mulmiger Druck auf. Sie verspürte ein unsicheres Gefühl, obwohl sie genau wusste, dass nur Sabine vor der Tür stehen konnte. Dennoch fürchtete sie sich vor diesem Augenblick, denn er bedeutete ein unaufhaltsames Aufwallen der Emotionen. Carmen öffnete, und Sabine trat ein, wortlos folgte die Umarmung. Die Trauer um Heikos Verlust ließ den Schmerz bei beiden Frauen mit aller Macht emporquellen, schlimmer noch bei Carmen. Hemmungslos fing sie an zu heulen. Und trotz des großen Leides tat es ihr unermesslich gut.

Sie sprachen einige Minuten keinen Ton, traten vors Fenster und starrten wortlos hinaus auf die regennasse Straße. Sabine legte ihre rechte Hand auf die Schulter der Freundin.

Dann sagte sie nur: „Es wird Zeit, wir müssen gehen.“

Sabine atmete tief durch. Carmen nickte stumm und wischte sich die Tränen von den Wangen, versuchte tapfer zu sein. Niemand sollte ihr verweintes Gesicht sehen, nicht die unsagbare Leere in ihren Augen, nicht die erlittenen Qualen.

Die beiden Frauen brachen voller Schwermut auf, überschritten die Straße, bestiegen den Wagen von Sabine und fuhren in Richtung Friedhof davon. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto unruhiger und bedrückter wurde Carmen. Sie spürte das heftige Pochen ihres Herzens und die Angst vor dem bevorstehenden Geschehen, der Situation, in die sie sich in den vergangenen Tagen immer wieder gedanklich hineinversetzt hatte. Ununterbrochen hatte sie gehofft, es würde alles nur ein Traum sein. Ein böser Alptraum, aus dem sie unbedingt jeden Moment erwachen müsste. Sie fürchtete sich jetzt vor der letzten Begegnung und der Erinnerung an Heiko.

Ihr schlotterten die Beine, sie verspürte ein Kribbeln in beiden Armen, heiß und unangenehm. Carmen musste schlucken, als die eiserne und rostbehangene Pforte des Friedhofs vor ihren Augen auftauchte. Und in diesem Moment spürte sie diesen dicken Kloß in ihrem Hals, der ihr die Luft abdrehen wollte. Das Dröhnen in ihrem Kopf und der furchtbare Schmerz ihres Herzens lähmten sie. Die Angst, gleich aussteigen zu müssen, hemmte sie und raubte ihr jeden klaren Gedanken. Dass es so schlimm sein würde, hatte sie nicht geahnt. Aber Carmen riss sich zusammen.

Auf unsicheren Beinen torkelte sie wie in Trance den schmalen Weg zur Friedhofskapelle entlang, fest geklammert an den stützenden Arm von Sabine, der es ebenfalls unbehaglich zumute wurde, je näher sie der Kapelle kamen. Drohend ragte sie kalt und starr vor ihnen auf. Wie ein Mahnmal erhob sie sich im strömenden Regen, eine mystische, dämonenhafte Warnung ausstrahlend. Für einen Moment zögerte Carmen und wäre am liebsten davongerannt, weg von hier, weg vom Ort der Trauer und des Schmerzes, fort von den schrecklichen Erinnerungen, um die lähmende Angst loszuwerden.

Dann traten die beiden Frauen zögernd durch die Pforte ins Innere der kleinen Kapelle mit ihren nackten Backsteinwänden. Viele Menschen hockten bereits in tiefer Anteilnahme versunken auf den hölzernen Sitzbänken. Sie starrten Carmen betroffen, pietätvoll verhalten, an. Gesenkten Hauptes schritt sie an ihren durchdringenden Blicken vorbei, nahm gleich vorne in der ersten Reihe Platz.

Da stand der Sarg auf einer Bahre, bedeckt mit einer Unzahl von Kränzen und Blumen, als ein letzter Gruß für den toten Heiko. All der Glanz konnte aber nicht das ausdrücken, was Carmen je für den geliebten Gatten empfunden hatte.

Der vor ihr ruhende Totenschrein der sie anzustarren schien, wirkte fast bedrohlich und löste ein beklemmendes Unbehagen in ihr aus. Nervös spielte Carmen mit ihren Fingern. In dieser Holzkiste lag Heiko, ihr geliebter Mann. Manchmal glaubte sie, der Deckel müsse sich jeden Moment heben und er wieder heraussteigen, so als sei nichts geschehen.

Dann kam der Pfarrer, er fand trostreiche Worte in seiner Predigt. Carmen nahm gar nicht so richtig auf, was er eigentlich sagte. Ihre Gedanken galten einzig und allein ihrem toten Mann, der hier vor ihr ruhte und von allem nichts mehr mitbekam.

Die kleine Kapelle war gefüllt bis auf den letzten Platz. Alle waren gekommen, um Heiko auf seinem letzten Weg zu begleiten. Alle, die ihn gekannt hatten und mochten: die Arbeitskollegen, Freunde, Verwandte, Nachbarn. Eben alle, die ihn in Erinnerung behalten wollten. Sie wollten ihm so die letzte Ehre erweisen.

Es regnete in Strömen, als ein langer Trauerzug aufbrach und schweigend durch die gepflegten Gräberreihen des Friedhofs von Dassow schritt. Unter dem schwerfälligen Gang der Trauergäste knirschte fast störend der ausgewaschene Kies des leicht abfallenden Weges. Vor einer ausgehobenen Grube machte die Gruppe Halt. Bedrückendes Schweigen lastete auf der versammelten Trauergemeinde. Das monotone Prasseln des Regens auf den aufgespannten Schirmen wirkte in dieser angespannten Situation wie lautes Hämmern.

Mit stummen Mienen senkten die vier Totengräber den eichenen Sarg vorsichtig hinunter. Von ihrer gleichmäßigen täglichen Arbeit hatten sie Schwielen an den Handflächen. Ihr Job war Routine. Was aber mochten sie in ihrem Innersten empfinden? Litten sie den gleichen Schmerz wie die Trauernden? Waren ihre Gedanken bei den Toten und den Leidenden? Das Schicksal eines Einzelnen berührte sie wenig, Gefühle konnten sie sich in ihrem Beruf nicht erlauben.

Der furchtbare Dauerregen wollte überhaupt nicht mehr aufhören, er wurde immer schlimmer, peitschte hart gegen den hölzernen Sarg, so als wäre er gegen diese Zeremonie. In kleinen Rinnsalen tropfte das Wasser an den durchnässten Seiten des Sarges herunter.

Mit zitternden Händen umklammerte die ganz in Schwarz gekleidete Carmen Strewe den Regenschirm, damit ihn der Wind nicht davonblies. Noch immer bekam sie gar nicht so richtig mit, was hier eigentlich geschah. Fast mechanisch und geschockt starrte sie dem hinabgleitenden Sarg nach, der allmählich in dem abweisenden und bedrohlich wirkenden Loch verschwand. Hin und wieder stieß er gegen das Erdreich und polterte dumpf. Carmen registrierte den hohlen Klang unbewusst wie aus weiter Ferne, so als sei das alles nicht wirklich wahr. Die Situation erschien ihr wie ein böser Traum, ein Traum, aus dem sie gleich erwachen musste. Aber es war die nackte Realität, eine erschreckende Wirklichkeit, die sie nicht verdrängen konnte.

Ihr langes blondes Haar hatte Carmen zu einem Knoten zusammengebunden und hinter einem dunklen Schleier aus Seide verborgen. Er verbarg dezent ihr Gesicht. Niemand sollte ihre Tränen in ihren geröteten Augen sehen, nicht ihre unsagbare Trauer und die grenzenlose Verzweiflung. Sie wollte den stechenden Schmerz in ihrem Herzen verbergen.

Einen letzten kleinen Blumengruß warf sie auf den braunen Eichensarg hinab. Carmen beugte sich weit vor und konnte ihre Tränen nicht mehr unterdrücken, sie weinte unaufhaltsam. Zwei Männer an ihrer Seite mussten sie stützen.

„Heiko, mein Liebling. Mein guter lieber Mann. Warum so früh? Warum hast du mich alleine gelassen? Ich brauche dich doch so sehr!“, schluchzte Carmen mit gebrochener Stimme. Es klang flehend und anklagend. Ihr ganzer Körper bebte.

Doch Heiko konnte sie nicht hören. Oder stand sein Geist, seine Seele, neben ihr und beobachtete das qualvolle Treiben? Schaute er zu, wie sie alle um ihn trauerten, und musterte er jeden Einzelnen kritisch mit prüfenden Blicken, hauchte ihnen womöglich seinen Atem ins Genick? Oder war es nur ein Windstoß, den mancher von ihnen verspürte?

Mitunter glaubte Carmen ganz fest, er würde ihr wie ein guter Geist erscheinen und unsichtbar neben ihr stehen: zu Hause in der Wohnung, bei der Arbeit im Büro oder hier am Grabe, und bei all ihren Tätigkeiten schützend seine Hände über sie halten. Rief er gar nach ihr? Hörte Carmen nicht seine Worte, sein Flehen?

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