1 ...7 8 9 11 12 13 ...33 «Baubeginn», erklärte der alte Herr, «so was müssen Sie gesehen haben, die Gewerke in ihren Trachten, die Reimsprüche auf gutes Gelingen, und hinterher der Tanz, nur Männer, junge natürlich und Musik. Es wurde auch gesoffen, aber alles ging doch nach den strengen Regeln des altehrwürdigen Handwerks zu. Sie dürfen nicht vergessen, daß die meisten Handwerker ja vom Lande kamen, na, die Traditionen verloren sich auch bald. Dieses Feiern vor Baubeginn war ganz gut, man lernte sich kennen, Betriebsklima sagt man heute ja wohl, morgen beginnt die schwere Arbeit, das strenge Bauregime, die Leute bekamen ja noch Lohnabzüge für jedes Vergehen, das hatte ich genau gestaffelt, ich habe uns manche Mark dadurch hereingeholt, Herr Doktor. Es kamen auch Tage, wo die tiefe Baugrube zum See wurde, wo jeder Handschlag eine Anstrengung bedeutete, wo die Rampen zu gefährlichen Rutschpartien für Mensch und Tier wurden. Gearbeitet mußte aber werden; und drei Kubikmeter Erde, von Hand bewegt, sind nicht viel, wie Sie sicherlich wissen. Hin und wieder kam nur ein Wagen mit einem Kubikmeter aus der aufgeweichten Grube, und das mit Ach und Krach.»
Dann fand Koblenz eine Menge Bilder von dem alten Herrn, ihm wurde manches klar. Hier formte sich die neue Generation Unternehmer, die harten Burschen, nicht die Unternehmer des rohen Kapitalismus mit verschwommenen patriarchalischen Vorstellungen, sondern die Leute, die den Kampf mit den Gewerkschaften aufnahmen, die ihn sogar suchten, die zäh um jeden Bruchteil eines Pfennigs zu kämpfen verstanden.
Der alte Herr war damals ein junger Bauleiter, die großen bäuerlichen Hände des ehemaligen Maurers, schon nicht mehr grob, waren kraftvoll, sensibel, hatten immer die dünne Brasil zwischen den Fingern. Bartkoteletten in dem braungelben hageren Gesicht, Haar stieß hinten auf den weißen umgelegten Kragen, lang aufgeschossen die Figur. Ein junger, energievoller Kerl, bereit, jede Strapaze auf sich zu nehmen, sich mit Gott und der Welt wegen eines Bankkontos zu schlagen.
Koblenz hätte diesem Bild gern zugestimmt, wäre nicht die Frage nach dem Wofür unbeantwortet geblieben. Es ging doch wohl um Profit. Dieser Straßburger und das Konsortium werden wahrscheinlich heilfroh gewesen sein, einen jungen Kerl gefunden zu haben, der ihnen die Kohlen aus dem Feuer holte, mehr Unternehmer als Architekt, der hoffte, ja worauf? Ein Ingenieur, ein Antibürger?
«Eine Frage hätte ich aber doch», sagte Koblenz, das Album zurückreichend.
«Ich wollte durch Arbeit frei werden», sagte der alte Herr, die Frage vorwegnehmend, «was glauben Sie, wie oft ich schon nach dem Warum gefragt wurde. Mir graute davor, nach Logau zurück zu müssen. Es ging mir wie so vielen damals, ich fühlte mich in dieser trostlosen Stadt mit ihrem großmäuligen Volk und seinem rohen, ätzenden Witz, in dieser Skepsis und Resignation wie zu Hause. Ich war ein Berliner geworden. Alle Städte haben eine Ausstrahlung, Berlin hatte keine, Berlin war Strich, bestenfalls. In streng abgeschlossenen Vierteln wohnten die besitzenden Klassen, aber mir war klar, daß sich diese Struktur nicht erhalten lassen würde. In diese vornehmen Viertel schoben sich jetzt unsere neuen Straßenzüge. Wissen Sie, Berlin glich einem öffentlichen Haus, in das gehen konnte, wer Lust hatte. Drinnen empfing einen schaler Dunst, erwartete einen die Freundschaft von Zuhältern, Dirnen, Junkern und Soldaten, Studenten und Dienstboten. Hier war immer Karneval, Berlin war so leicht zu erobern, daß sich die Eroberung gar nicht lohnte. Man blieb einfach kleben, Berlin machte frech und bequem. Ich kannte doch manche Stadt, aber keine, in der man so leicht Anschluß fand. Man durfte sich die Gesellschaft, in die man geraten war, allerdings nicht näher ansehen. Hier wollte ich nicht mehr weg.»
«Würden Sie Ihrem Enkel raten, nach Theerberg zu gehen», fragte Koblenz.
«Wem kann man schon raten», sagte der alte Herr, «ich kann Ihnen meine Meinung sagen. Lab kommt nach seinem Vater, aber ihm fehlt, was mein Sohn in hohem Maße besaß, Angriffslust. Lab wurde alles zu leicht gemacht. Sie wissen wohl, wovon ich rede. Die Baustellen dürften heute genauso chaotisch sein wie zu meiner Zeit, da kann Lab sich kaum behaupten. Darauf ist er nicht vorbereitet.»
Koblenz schüttelte den Kopf. «Waren Sie vorbereitet?»
«Nein, mit einem wichtigen Unterschied, ich kämpfte, um zu überleben, Lab kann immer zurück, gut bezahlte und leichte Arbeit ist ihm sicher. Verstehen Sie, er gehört zu einer Schicht, die nie dem Wind ausgesetzt worden ist. Fachlich könnte er wohl mitkommen. Soweit ich das noch beurteilen kann, hat er einen sicheren Blick für Architektur. Seine Arbeit kann er auch organisieren»
«Das würde mir erst mal genügen, ich habe Leute mit weniger guten Voraussetzungen auf verantwortungsvollen Stellen»
«Ich sagte seine Arbeit, nicht die anderer Leute, Herr Doktor. - Mein Enkel muß das selbst entscheiden.»
Und Lab entschied, als sie um den Schreibtisch des alten Herrn saßen, Kaffee tranken und Toastbrot mit Butter aßen, als die Frage gestellt wurde, wie seine Antwort denn nun ausfalle. Koblenz war sich bewußt, daß er einem bloßen Gefühl folgte, wenn er den jungen Pilgramer nach Theerberg holte, wenn er ihm mehr zutraute als dem Durchschnitt.
«Wie weit seid ihr denn», fragte der junge Pilgramer, «läuft die erste Turbine schon?» «Wir reisen in diesen Tagen an. Es geht los», sagte Koblenz. «Die Semperoper wird schon seit Jahren wiederaufgebaut, das Institut läuft dir nicht weg, zehn Jahre Praxis auf einer Baustelle, und du hast sicheren Grund unter den Füßen.»
«Das eben ist das Verrückte, nie kann man machen, was man will. Da wird jemand Zootechniker mit der Vorstellung, er werde einmal Elefanten in Afrika vermehren oder Löwen in der Kalahari. Zuletzt züchtet er Schweinen eine neue Rippe an oder erfindet Rinder mit zwei Eutern», Lab.
«Nicht übel», bemerkte Koblenz.
«Also gut, ich versuch es», sagte der junge Pilgramer, «aber nicht Hals über Kopf. Ich muß mich hier erst freimachen.»
«Über Termine können wir immer noch reden», sagte der hartnäckige Doktor erleichtert.
Der alte Herr Pilgramer lächelte skeptisch.
1
Im Aprillicht erweckte das Terrain die Vorstellung eines großen Buddelkastens, über den ein Panzerangriff hinweggerollt war.
Auf der gesamten Fläche standen weder Baum noch Strauch. Zwischen den von Planierraupen aufgehäuften Erdwällen ragten noch vereinzelt Hausruinen empor; sie erinnerten an das Dorf Theerberg, das sich mit seinen Ausbauten bis hierher erstreckt hatte. Der lehmgelbe Boden zeigte die Abdrücke von Ketten und die Reifenprofile hochachsiger Transportfahrzeuge. Über die Ebene verteilten sich Bagger, Raupen und Kräne.
Menschen gab es, verglichen mit diesem Aufwand an Maschinen, nur wenig, aber die Vorstellung drängte sich auf, daß der Angriff irgendwo strategisch geleitet wurde. Planlos lief das Unternehmen nicht ab. Das Fehlen von Menschen irritierte, ließ Fragen aufkommen. Wozu diente diese Flurbereinigung? Hinzu kamen die Stille und das Fehlen intensiven Sonnenlichtes. Das blasse Aprilwetter mit dem trügerisch glasigen Himmel verhieß Regen oder Graupelschauer. Die Atmosphäre schien wie elektrisch geladen, und es war schwer, die Temperatur zu bestimmen. Von Zeit zu Zeit strich ein eisiger Wind über das Land. Fehlte er, so herrschte eine ermüdende Schwüle.
Begrenzt wurde das Feld von einem flachen Streifen Wald; was sich an den Seiten befinden mochte, verbarg der Frühdunst. Eine Bahnlinie berührte die Ebene. Hin und wieder rollte ein Zug auf den Geleisen in diese oder in die andere Richtung.
Auf einer mit Schlaglöchern übersäten Straße arbeitete sich eine Lastwagenkolonne in Richtung der Ebene vor. Rechts des Weges fiel die Böschung steil ab. Sie gab den Blick auf eine große Geländesenke frei, die von einem breiten Wassergraben durchschnitten wurde. Er erweiterte sich an zwei Stellen seenartig. Längs der Straße standen schiefe Lichtmaste mit durchhängenden Leitungen; etwa auf der Mitte der Senke zweigte ein Fahrweg zur Mülldeponie ab. Diese schob sich zwanzig Meter hoch von der Böschung aus zum Graben vor, sie hatte den Graben fast erreicht.
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