1 ...6 7 8 10 11 12 ...20 Der Tätowierer nannte den Betrag, den er für seine Arbeit verlangte. Sie schrak kurz zusammen. Es war wirklich nicht billig. Aber das spielte keine Rolle.
„Ich danke Ihnen“, meinte sie leise, lächelte ihm abwesend zu und wandte sich zur Tür.
„Warten Sie. Ich habe noch etwas für Sie.“
Er hob einen Korb auf. Unmengen von bunten Steinen befanden sich darin. „Tigerauge, Bergkristall, Rosenquarz, Lapislazuli, Malachit, Jade“, sagte der Mann. „Suchen Sie sich einen aus. Lassen Sie sich einfach von Ihrem Gefühl leiten, dann werden Sie den richtigen von selbst finden.“
Überrascht lächelte sie. „Ich fürchte, für so etwas habe ich kein Gefühl.“
„Oh, doch. Versuchen Sie es nur. Es kann ja nichts schiefgehen.“
Zögernd berührte Catherine die Steine. Dann schloss sie die Augen und überließ die Wahl ihrem Tastsinn. Sie grub ein wenig tiefer und dann rutschte ein glattes, warmes Etwas in ihre Hand.
Sie öffnete die Augen, betrachtete den Fund. Etwa vier Zentimeter groß, mit matt glänzender Oberfläche, tiefschwarz, mit weißen Linien. Sie kniff die Augen zusammen, sah ihn genauer an. Tatsächlich, die Linien sahen wie ein Labyrinth aus! Das Muster begann sie wohl neuerdings zu verfolgen. Das Ding wirkte nicht wie ein Stein, nicht wie etwas Natürliches. Eher wie billiger Firlefanz aus einem Kaugummiautomaten. Es fühlte sich tatsächlich warm an und hatte fast kein Gewicht.
Der Ladeninhaber starrte sichtlich verblüfft auf den kleinen Gegenstand. „Merkwürdig. War mir nicht bekannt, dass ich so etwas hatte. Ich sehe die Lieferungen normalerweise immer genau durch. Ich weiß nicht einmal, was das für einer ist. Sonst hätte ich Ihnen gesagt, wofür er gut ist.“ Mit einem Schulterzucken meinte er: „Aber einerlei. Behalten Sie ihn. Vielleicht bringt er Ihnen ja Glück.“
Catherine lächelte leicht und wandte sich zum Gehen. „Danke. Eigentlich glaube ich nicht …“
„Das macht nichts. Dann nehmen Sie ihn als Andenken.“ Er hob grüßend die Hand. „Passen Sie gut auf sich auf.“
Sie nickte und steckte den Stein in die Münztasche ihrer Jeans.
Die kleinen Glocken bimmelten schrill, als sie die Tür öffnete. Der Mann sah ihr nach. Eine grazile Gestalt in engen Jeans und heller Bluse, die mit schnellen Schritten die Straße überquerte und zwischen den Häusern aus Schiefersteinen verschwand, welche die Hauptstraße säumten.
„Amathi! Würdest du die Güte haben, zu mir zu kommen?“ Yal bemühte sich, seiner Stimme einen freundlichen Klang zu geben. Doch die Feuerkatze hatte ihn bereits durchschaut. Seine Begleiterin, ein Geschenk Varruk Erasants, hob den Kopf, sah ihn gelangweilt aus goldenen Augen an und gähnte. Er konnte die nadelspitzen Zähne in ihrem Mäulchen sehen. Dann rollte sie sich zusammen, um weiterzuschlafen.
Yal bedachte das riesige Tier mit einem ärgerlichen Blick. Launisch war sie, wie eine Magierin! Aber es war kein Wunder, wenn ihr die Lust vergangen war, ihm zu helfen. Er hatte ihre Kraft in den letzten Mondumläufen über Gebühr beansprucht. Ihre Energie half ihm, das magische Zeichen herzustellen, das die Abbilder der Elementsteine verbinden sollte. Nur wenn dieses Zeichen intakt war und die magischen Ströme ungehindert durchfließen konnten, tat sich das Portal auf, der Zugang zu anderen Sphären, in denen er nach dem Abbild von Myn Fantrix suchen konnte.
Mit einer ärgerlichen Handbewegung wischte er die vier Elementsteine vom Tisch zurück in den Lederbeutel. Es hatte keinen Sinn. Wenn Amathi ihm ihre Energie nicht zur Verfügung stellen konnte, brauchte er sich nicht weiter zu bemühen. Er hatte erst vor kurzem herausgefunden, dass seine Kraft alleine nicht mehr reichte, um das Zeichen herzustellen. Zu sehr hatte er sich bereits verausgabt, im Bemühen, Varruk zufrieden zu stellen. Eine Tatsache, die den großen Feuermagier wenig kümmerte. Yal wusste nur zu gut, wie unbarmherzig Varruk sein konnte, wenn es um seine Interessen ging.
Geistesabwesend rieb er über das Mal auf seiner Schulter und erhob sich mit einem tiefen Seufzer.
Vielleicht sollte er Xarga einen Besuch abstatten, um sich ein wenig abzulenken. Sie hatte am Ende Neuigkeiten, die ihn interessierten. Und die alte Erdmagierin machte das beste Konfekt, das er jemals hatte kosten dürfen.
Vorsichtig verstaute er den Beutel mit den Elementsteinen in einer der unzähligen Schubladen seines Arbeitstisches. Yal nahm den Umhang vom Haken neben der Tür, legte ihn um die Schultern und warf Amathi noch einen forschenden Blick zu. Sie schien keine Notiz von seinem Weggang zu nehmen. Vielleicht war es wirklich besser, ihr ein wenig Erholung zu gönnen.
Er öffnete die Tür und trat ins Freie. Es dämmerte schon. Ein kalter Luftzug brachte die letzten Erinnerungen an den Winter und den scharfen, salzigen Geruch des Meeres mit.
Yal sog ihn tief ein, um seinen Geist von all den dunklen Gedanken zu reinigen und stülpte hastig die Kapuze über den Kopf. Er wandte sich um und blickte zurück auf sein kleines Haus. Seine Zuflucht.
Weit lagen die vom Winter ausgebleichten Hügel vor ihm, ein welliges Auf und Ab, wie das Meer, nur sanfter. Er starrte auf den Horizont, spürte eine Ahnung von Gefahr.
Noch immer gab es das Loch in seinen Erinnerungen. Manchmal, in diesem Zustand zwischen Wachen und Schlafen, bevor sein Geist losließ, blitzten Gedankenfetzen durch sein Bewusstsein. Aber er konnte sie nicht einordnen. Und noch immer glaubte er, ein schneidendes Messer jage durch seinen Kopf, wenn er versuchte, diese vagen Eindrücke festzuhalten.
Jemand hatte gründliche Arbeit geleistet. Derjenige musste ein Meister der Magie gewesen sein, denn es war kaum möglich, die Erinnerung an nur ein bestimmtes Ereignis zu löschen. Meist verschwanden große Teile von Wissen und das Opfer fiel nicht selten zurück in die Phase der Kindheit.
Aber Yal erinnerte sich an alles. Nur nicht daran, was nach Beendigung seiner Lehrzeit bei Varruk geschehen und wie er nach Findward gekommen war.
Das Mal auf seiner Schulter begann leise zu pochen, wie immer, seit er es erhalten hatte, wenn er seine Gedanken dem alten Magier widmete.
Sofort hielt er inne.
Nein, ich bin noch nicht so weit. Ich habe gerade erst gelernt, das magische Zeichen zu schaffen. Es ist schwierig.
Varruks Stimme erklang in seinem Kopf. Ich weiß. Ich dränge dich nicht. Lass dir Zeit. Du machst deine Sache gut.
Yal atmete tief durch. Er musste lernen, seine Gedanken in die richtige Richtung zu lenken. Varruk durfte nicht ganz die Kontrolle über ihn bekommen. Solange er nicht an den alten Magier dachte, war alles in Ordnung.
Mit raschen Schritten eilte er über das dürre Gras den Abhang auf den Wald zu, der Dunkelheit entgegen. Ein Windstoß fauchte ihm entgegen und Yal wickelte sich fester in seinen Umhang. Er spürte Feuchtigkeit auf seiner Haut und roch den Geruch von Fäulnis und Moder. Es wurde schlagartig dunkel, pechschwarze Finsternis umgab ihn. Er schauderte und ein leichtes Prickeln lief über seinen Rücken. Der Anflug von Panik, der ihn zu ergreifen drohte, ließ sich kaum bekämpfen.
Ganz ruhig. Eine Vision. Es ist nur eine Vision.
Er hastete weiter, versuchte, seine Gedanken auf etwas Helles, Freundliches zu lenken. Doch es wollte ihm nicht so richtig gelingen.
Yal spähte durch die Dunkelheit, durchdrang sie mit seinen Augen, scharfsichtig wie eine Katze.
Nichts.
Er lauschte.
Es war windstill und bis auf das Flüstern der Kobolde in den Sträuchern und das Tapsen von Mäusepfoten auf dem Waldboden war nichts zu hören. Trotzdem war Yal froh, als er die Hütte der Erdmagierin erreichte.
Er klopfte kurz und leicht an ihre Tür. Ohne eine Antwort abzuwarten, öffnete er sie und zog den Kopf ein, um ihn sich nicht am Türrahmen zu stoßen.
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