Yal schüttelte den Kopf. Es brachte nichts, sich das Gehirn zu zermartern. Das einzige Ergebnis waren bohrende Kopfschmerzen und auf die konnte er verzichten, gerade jetzt, wo er dem Weisenrat gegenübertreten musste. Er würde wohl warten müssen, bis die Erinnerung von selbst wiederauftauchte oder derjenige, der seine Gedanken gelöscht hatte, es für richtig befand, sie ihm wieder zu schenken.
Ein leises Geräusch holte ihn aus seinen Überlegungen. Sie kamen.
Schemen, die sich nach und nach verfestigten, zu Gestalten aus Fleisch und Blut wurden.
Alle waren sie da, bis auf einen.
Madryl Ardolan, der Feuermagier, war tot.
Er war vor sieben Monden gestorben, sein Körper war gefunden worden, fast bis zur Unkenntlichkeit verkohlt. Schwarze Schlieren tanzten vor Yals Augen und hinter seinen Schläfen begann es leise zu pochen. Er atmete tief durch, versuchte das flaue Gefühl in seinem Magen zu ignorieren.
Die sieben Magier setzten sich. Varruk Erasant, der Älteste, wie immer prunkvoll herausgeputzt in seiner goldfarbenen Robe, warf ihm einen langen, scharfen Blick zu. Yal zuckte unwillkürlich zusammen, aber sein letzter Lehrmeister lächelte nur, wollte wohl seine Gedanken nicht lesen.
Zu seiner Rechten hatte Irisana Reguvil Platz genommen, die Lichtmagierin und Herrin über die Inseln des Lichts. Sie musterte ihn unbewegt.
Neben ihr saß ein weiterer Lichtmagier, Yal kannte ihn nicht.
Dann war da noch Sel Dragmon, sein Mentor und Freund von Kindheit an. In den dunkelgrünen Augen des Erdmagiers lag ein warmes Lächeln. Aber Yal bemerkte auch die Besorgnis in seiner Miene.
Der Stuhl zu Varruks Linken blieb frei. Yals Blick schweifte zum Sitzplatz daneben. Kurz stockte ihm der Atem, als er in die Augen der schönen Wassermagierin sah. Sie starrte ihn mit unverhohlenem Erstaunen an. Leichte Röte flog über ihr ebenmäßiges Gesicht. Sie setzte sich, ohne ihn aus den Augen zu lassen. Yal lächelte unverbindlich. Er konnte sich ihr Interesse nicht erklären.
Die Erdmagierin Syluva Karamon nickte ihm zu. Er kannte die zierliche Frau von den Besuchen, die sie Sel Dragmon abgestattet hatte.
Als der Letzte des Weisen Rates, ein Yal ebenfalls unbekannter Lichtmagier, Platz genommen hatte, bedeutete Varruk ihm mit einer Handbewegung, vorzutreten.
Yal Rasmon folgte seinem unausgesprochenen Befehl, blieb in gebührendem Respektabstand stehen und neigte den Kopf.
Sieben Augenpaare starrten ihn an. Manche mit Wohlwollen, andere mit Neugier oder vielleicht sogar ein wenig Mitleid. Er schauderte, fühlte Gefahr, ein Prickeln zwischen den Schulterblättern. Was konnten sie nur von ihm wollen?
Schließlich sprach ihn der Älteste mit tiefer, volltönender Stimme an, die in Yals Innerem vibrierte.
„Nun, Yal Rasmon“, sagte der große, weißhaarige Magier. „Sei gegrüßt. Du wirst dich bestimmt fragen, warum wir dich gerufen haben.“ Varruk machte eine kleine Pause und legte die Fingerspitzen aneinander. „Wir haben dich gerufen, weil wir eine Aufgabe für dich haben.“
Yal starrte Varruk Erasant überrascht an. „Eine Aufgabe? Ich bin nur ein geringer Diener der Elemente. Was könnte ich schon für die Herrinnen und Herren des Weisen Rates tun?“
Er biss sich auf die Lippen. Zu viele Worte, zu wenig Vorsicht.
Varruk Erasant lächelte. Aber das kalte Funkeln in seinen gelben Augen jagte Yal einen Schauer über den Rücken.
„Deine Bescheidenheit ehrt dich, Yal Rasmon. Aber sie ist fehl am Platz.“ Varruk schlenkerte lässig mit der Hand. Der große Rubin, den er an seinem Ringfinger trug, blitzte kurz auf.
„Doch einerlei. Du magst über deine Stärke denken, wie du willst. Wie gesagt, du wirst diese Aufgabe übernehmen und sie würdig erfüllen.“
Yal seufzte innerlich. Varruk hatte ein Talent für Dramatik. Wann kam er endlich auf den Punkt?
„Wie du ja sicher weißt, haben wir ein wertvolles Mitglied unseres Rates verloren. Madryl Ardolans Hinscheiden hat uns mit Trauer und Zorn erfüllt. Und noch immer ist die Ursache seines Todes nicht geklärt und der feige Mörder nicht gefasst.“
Yal hörte unterdrückte Seufzer aus den Reihen der Magier.
Varruks schneidende Stimme ließ ihn zusammenzucken.
„Wir müssen ein neues Mitglied berufen, damit der Rat wieder vollständig ist. Und wir haben dich auserkoren, Yal Rasmon.“
Yals Atem stockte. Er glaubte, sich verhört zu haben. „Mich? Aber … warum?“
In den Augen der anderen sechs Magier las er seine eigene Überraschung. Auch sie hatten wahrscheinlich bis zu diesem Zeitpunkt nicht gewusst, was Varruk geplant hatte.
Varruk lachte. Ja, das musste ein Spiel genau nach seinem Geschmack sein! Er liebte es über alles, seine Umgebung zu verblüffen.
„Warum nicht, Yal Rasmon? Ich sagte schon, dass du stark bist. Und du bist ein Feuermagier. Wir können niemanden wählen, der einem anderen Element angehört, sonst wäre das Gleichgewicht nicht gegeben.“
„Ja, das leuchtet mir ein. Aber eigentlich …“ Yal war noch immer benommen. Es stimmte nicht, was Varruk sagte. Er war kein Feuermagier, trug auch Anteile von Wasser und Erde in sich. Eine Ungewöhnlichkeit, die ihm bisher nicht zum Vorteil gereicht hatte. Erst die Lehrzeit bei Varruk Erasant hatte seinen feuermagischen Anteil gestärkt. Und was hatte er schon getan, um diese Ehre zu verdienen? Gar nichts. Im Gegenteil. Seit er sich in Findward niedergelassen hatte, vernachlässigte er seine neu gewonnenen Kräfte und widmete sich Aufgaben, die eigentlich ein Erdmagier erfüllte. Heiltränke aller Art herzustellen war eine wenig ehrenvolle Tätigkeit für einen Feuermagier.
„Woher willst du wissen, dass Yal Rasmon wirklich für diese Aufgabe geeignet ist? Er scheint mir etwas sehr jung zu sein.“ Die dunkle Stimme der schönen Wassermagierin ließ sein Inneres erbeben.
Varruk hob die Augenbrauen. „Liebste Lalana - natürlich wird er zuvor noch einen besonderen Auftrag erfüllen müssen, um sich wirklich würdig zu erweisen.“
Lalana. Lalana Yallasir, die Gefährtin Madryls. Das war sie also. Yal hatte von dieser außergewöhnlichen Verbindung gehört. Es kam sehr selten vor, dass sich Magier verschiedener Elemente fanden.
Der Älteste erhob sich mit einer eleganten Bewegung. Instinktiv wich Yal einen Schritt zurück, als der alte Magier auf ihn zukam.
Varruk tat, als würde er es nicht bemerken und wandte sich an die anderen Ratsmitglieder.
„Ihr wisst alle, mit welcher Aufgabe Madryl Ardolan beschäftigt war.“
„Er versuchte, die Elementsteine zu finden, mit denen die magischen Welten wieder geöffnet werden können“, sagte Lalana Yallasir. „Und er war auf der Suche nach dem Tor zu Myn Fantrix, dem Ort, der Unsterblichkeit gewährt.“
„Und – hatte er Erfolg?“ Der zweite Wassermagier beugte sich interessiert vor. „Wir haben ja nie etwas darüber erfahren. Es wurde ein großes Geheimnis aus den Nachforschungen Madryls gemacht.“
Varruk nickte. „Natürlich. Es wäre auch jetzt noch zu früh, etwas zu offenbaren. Nur so viel – er war auf dem besten Weg, sein Ziel zu erreichen.“
Varruk holte einen Beutel aus seiner Robe und übergab ihn Yal. „Öffne ihn!“
Yal tat, wie ihm geheißen und leerte den Inhalt auf seine Handfläche. Vier Steine, klein und bunt wie Kinderspielzeug. Weiß, rot, braun und blau. Die Farben der Elemente. Für einen Moment wurde ihm schwarz vor den Augen und hinter seiner Stirn begann es dumpf zu klopfen. Er blinzelte und es war vorbei.
Lalana Yallasir sprang auf, starrte auf die ausgestreckte Hand Yals und sog mit einem scharfen Geräusch die Luft ein. „Die – die Abbilder der Elementsteine! Du hast sie! Woher …?“
Der Älteste brachte sie mit einer energischen Handbewegung zum Schweigen. „Das ist einerlei. Es ist nur wichtig, dass sie in Sicherheit sind.“
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