PRIWas ist mit dem Fernseher?
ZAPATADen Fernseher kennt sie jetzt schon. Der ist immer an. Sie guckt da immer rein. Das ist so ein Blick, als würde sie durch den Fernseher durchgucken oder als würde der Fernseher durch meine Mutter durchgucken.
PRIDann schenk ihr doch eine Playstation. Da hat sie was zu tun. Da muss sie aktiv werden. Außerdem ist Playstation gut gegen Alzheimer. Habe ich gelesen. Oder gehört.
CONHIELOIch denke, du solltest mit deiner Mutter zusammen nach Mexiko zurückkehren. Du wirst sehen, sobald ihr in Mexiko seid, ist ihr Rücken wieder kerzengerade.
ZAPATAPri, was willst du haben für eine Playstation?
PRIFür eine Playstation? Das ist schwer zu sagen. Ich habe keine auf Lager. Ich müsste erst losziehen, eine besorgen. Der Preis ist vom Aufwand abhängig.
ZAPATAUngefähr.
PRIDas kann ich dir wirklich nicht sagen. Wenn ich zum Beispiel eine Wache ausknocken muss, dann ist es natürlich teurer, als wenn ich nur eine Tür aufbrechen muss. Das ist ja wohl logisch oder?
ZAPATAAber billiger als im Laden wird es noch sein oder nicht?
PRIWillst du mich verarschen? Du glaubst wohl, einen Laden ausrauben, ist ein Spaziergang.
ZAPATANa und, du raubst doch nicht den Laden aus, nur um mir eine Playstation zu besorgen. Den ganzen anderen Kram, den du mitgehen lässt, den verhökerst du auch noch. Und? Macht das meine Playstation billiger?
PRINatürlich nicht, weil für alles, was ich klaue, derselbe Gefahrenzuschlag bezahlt werden muss.
CONHIELOZapata, das ist genau das, was ich dir gesagt habe. Du hast einfach keine Ideen.
PRINCESA DEL BRONXWas willst du haben für ein iPhone?
ZAPATAPrincesa, Schöne, wir haben kein Geld für so was.
PRINCESA DEL BRONXWieso wir? Ich dachte, du wolltest nach Mexiko zurück. Also wie viel?
PRIEinen Benji.
ZAPATAHundert? Das ist zu viel. Wie viel hast du dem Idioten gegeben, dem du es geklaut hast?
PRIDem Idioten, dem ich es geklaut habe, dem habe ich sein Leben gegeben.
ZAPATADu darfst es ihr nicht verkaufen. Wir haben kein Geld. Wir brauchen das Geld für unser Baby.
PRINCESA DEL BRONXOK. Pass auf Pri. 50 Dollar. Sofort. Jetzt. Hier.
PRIAbgemacht.
ZAPATAWas ist mit dem Baby? Was ist mit Mexiko?
PRINCESA DEL BRONXZapata, es gibt kein Baby. Es gibt kein Mexiko.
ZAPATAWas hast du mit dem Baby gemacht?
PRINCESA DEL BRONXAbgetrieben. Ich habe abgetrieben. Grade eben.
ZAPATADu hast abgetrieben? Das Baby? Wieso?
PRINCESA DEL BRONXDas Baby wäre unser Ende gewesen. Das hätte uns ruiniert. Wir haben kein Geld für ein Kind. Du gehst nicht einmal jetzt arbeiten. Du verdienst nicht einmal für dich selbst Geld. Wie willst du dann für dein Kind sorgen?
ZAPATAUnd das iPhone? Ist das iPhone jetzt dein Kindersatz?
CONHIELOJetzt hat Zapata ja doch noch was verstanden. Das iPhone ist Princesas Kindersatz.
PRIWas ist jetzt, Zapata? Soll ich dir eine Playstation besorgen?
ZAPATAIch will dich heiraten. Ich will mit dir zusammenleben, dort wo wir herkommen. Geh mit mir nach Mexiko zurück. Lass uns ein Haus bauen, ein bisschen Land bewirtschaften und ein neues Kind machen.
PRINCESA DEL BRONXIch will die Zukunft. Ich will nicht zurück. Mexiko, das ist wie totes Land. Hier in New York ist die Zukunft, die Stadt ist die Zukunft. Wir brauchen nur eine Idee, und schon geht es los.
Die Gruppe um Conhielo, Zapata, Pri und Princesa del Bronx rückt in den Hintergrund. Steve Melzow schiebt sich in den Vordergrund. Er sitzt an einem für amerikanische Diner typischen Tisch. (Sitzbank mit rotem Lederimitat. Der Tisch aus Chrom oder zumindest mit Chrom umrandet.) Er hat Pommes und Burger gegessen. Ein Becher Coca-Cola steht auf dem Tisch. Er schreibt einen Brief auf seinem Smartphone.
Datum:Freitag, 16. März 2012 12:43:31
An:Janine Baade janinebaade@web.de
Betreff:NYPD Matchbox
Liebste Janine,
es ist nicht so leicht, nachhause zu kommen, nicht so leicht, hier zu bleiben. Irgendwie ist alles schwierig. Ich denke manchmal, es ist egal, wo ich bin, die Probleme bleiben. Ich finde keine Antwort. Ich habe mich auch auf Joshua gefreut. Ich bin auch glücklich, dass ich sein Vater bin oder das ich überhaupt Vater geworden bin. Ich will nichts mehr, als bei euch sein. Es fällt mir so schwer, zurückzukommen. New York, da habe ich schon als kleiner Junge von geträumt. New York, das war wie ein anderer Planet in meiner Vorstellung. Früher dachte ich, die Hochhäuser in Stendal-Süd sind die höchsten Häuser der Welt. Ich dachte auch, dass ich in den Wolken wohnen würde, als wir nach Stendal-Süd gezogen sind. Seitdem ich von den Wolkenkratzern in New York erfahren hatte, wollte ich hierher. Irgendwie wollte ich immer nach oben zu den Wolken, oder nach oben überhaupt. Ich weiß nicht warum. Manchmal denke ich, ich will die Erde verlassen und steige deshalb so viele Stufen wie möglich hinauf. Ich kann mir, glaube ich, auch vorstellen, in einem Flugzeug zu leben. Mein ganzes Leben in einem Flugzeug verbringen. Die Erde nicht mehr berühren. Kann Joshua schon sprechen? Er wird bald zwei Jahre alt. Da kann er bestimmt schon ein paar Wörter sprechen. Kann er Papa sagen? Ich habe mir immer einen Jungen gewünscht. Jetzt, da ich einen Jungen habe, bin ich nicht bei ihm. Findest du das nicht merkwürdig? Ich wäre gerne bei meinem Sohn, aber irgendwie geht es nicht. An dir liegt es auch nicht. Du bist schön. Ich liebe dich. Irgendwie geht es nicht. Ich habe ein Geschenk für Joshua. Ich habe ihm ein Polizeiauto vom New York Police Department gekauft, kein echtes Polizeiauto, ein Matchbox. Auf der Fahrertür steht NYPD geschrieben. Das heißt New York Police Department. Der Wagen ist schwarz und hat eine blau rote Signalsäule auf dem Dach wie in den Filmen nur kleiner. Früher, wenn mein Opa mit mir in den Intershop gegangen ist und ich mir was aussuchen durfte, da habe ich mir immer ein Polizeiauto von Matchbox ausgesucht. Als die Mauer fiel, da hatte ich bestimmt 30 oder 40 Polizeiautos im Regal stehen. Das war ein richtiger Polizeistaat in meinem Kinderzimmer. Jedenfalls habe ich Joshua auch ein Polizeiauto gekauft. Es würde ihm bestimmt gefallen. Was kann ich dir noch schreiben. Ich habe dir schon so viele Briefe geschrieben und manchmal denke ich, ich habe noch nichts gesagt, was dich trösten kann. Ich vermisse dich. Ich vermisse Joshua. Ich würde ihn so gern einmal sehen wollen. Kannst du mir doch ein Foto schicken? Janine, was soll ich anderes sagen, als dass ich bald zu euch zurückkommen werde. Ich denke den ganzen Tag an euch. Auf meinen Spaziergängen durch New York höre ich viel Musik, traurige Musik, und denke dabei an dich und Joshua, daran, wie schön alles wäre, wenn ich zurückkommen könnte. Janine, meine schönste Schöne, das Briefeschreiben hilft mir, bei euch zu sein, euch nicht zu sehr zu vermissen. Als ich ging, sagtest du, du kommst nicht mehr zurück, ich kann es in deinen Augen sehen. Janine, das ist nicht wahr. Ich werde zurückkommen. Stevie.
Lieutenant P. Rodriguez Vásquez und Sergeant N. Milestone kommen mit Schwung in den Diner. Die Tür schlägt dermaßen laut an, dass die Gäste aufschrecken.
LIEUTENANT P. RODRIGUEZ VÁSQUEZNa, ihr Schwachköpfe. Was treibt euch Bohnenfresser in dieses amerikanische Feinschmeckerlokal? Habt ihr im Lotto gewonnen?
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