Natürlich war es eine andere Frau. Sonja verzog den Mund. »Uns ist strikt untersagt, mit den Gästen persönlichen Kontakt aufzubauen. Freundlichkeit ja – aber nicht mehr. Ein Gast ist tabu. Aber keiner hat uns je gesagt, was wir machen sollen, wenn der Gast uns anmacht. Und vor einem Monat hatten wir eine Frau zu Gast, die von Lars betreut wurde.«
Sie seufzte tief auf. »Sehr reich, sehr attraktiv und sehr unkonventionell. Die hat ihm völlig den Kopf verdreht und nach ein paar Tagen hat er ihr sozusagen aus der Hand gefressen. Wenn die gepfiffen hat, war er sofort zur Stelle und ich hab für ihn überhaupt nicht mehr existiert.«
Sonja starrte auf ihr inzwischen leeres Cocktailglas und Hetty gab dem Ober einen Wink und deutete an, er sollte für Nachschub sorgen. »Kollegen haben mir erzählt, dass da tatsächlich etwas zwischen den beiden lief. Und so, wie die redeten, ging da anscheinend die Post ab, zumindest waren alle ganz neidisch, weil Lars so ein heißes Eisen im Bett hatte.«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Sie wussten natürlich nicht, dass zwischen uns auch etwas gewesen war, sonst hätten sie das sicher nicht in meiner Gegenwart gesagt. Aber diese Frau verstand sich offenbar sehr gut darauf, sich einen Mann hörig zu machen. Ich hätte nie geglaubt, dass einer so das Denken aufhören kann.«
Hetty sparte sich den Kommentar. Dieser Lars hatte, so wie er aussah und sich gab, mit Sicherheit noch nicht die große Erfahrung in Sachen Frauen. Und die hatte ihm eben richtig eingeheizt und damit war ihm das Gehirn in die untere Region gerutscht und wenn nur noch die Hormone anschafften, dann kam meistens nichts Gutes dabei heraus. Vor allem nicht die Einsicht, dass man vielleicht nur benutzt wurde. Etwas in ihrem Kopf regte sich. Doch was immer das gewesen war – es war gleich wieder weg.
Hetty versuchte Sonja zu trösten. »Na ja, Gast ist Gast und auch die reist ja irgendwann wieder ab. Und dann können sie da weitermachen, wo sie aufgehört haben. Es schadet ja nicht unbedingt, wenn er mal ein bisschen Erfahrung gesammelt hat. Und schätzungsweise wird er ganz schön dumm gucken, wenn er feststellt, dass er nur zur Urlaubsunterhaltung gedient hat.«
Sonja lachte leise auf. »Oh, sie ist schon wieder weg. Und sie haben vollkommen recht – sie hat sich noch nicht mal von ihm verabschiedet. Seitdem hängt er aber völlig durch und kommt überhaupt nicht mehr aus seinem Loch.«
Sie zuckte mit den Schultern. »Das hat natürlich auch damit zu tun, dass wir ja vor Kurzem diese Diebstähle hier bei uns hatten. Und Lars ist derjenige, der den Zentralschlüssel für alle Safes besitzt und wurde von der Polizei ganz schön in die Mangel genommen. Sogar seine Konten wurden kontrolliert – aber es war natürlich völliger Unsinn – er ist der ehrlichste Mensch auf Erden.«
„Heute kommt der Eiermann, der hat so schöne Glocken dran!“ Hetty konnte keine andere Entsprechung für das Klingeling finden, das der Groschen von sich gab, als er endlich fiel. Am liebsten wäre sie sofort aufgesprungen und zu Kai gerannt. Aber das gehörte sich nicht und schließlich brauchte Sonja auch noch ein paar ermunternde Weisheiten, damit sie sich nicht zurückhielt, um sich ihren Lars doch noch zu angeln.
»Also ich an ihrer Stelle, würde das jetzt zu meinem Vorteil ausnutzen. Machen sie einen auf nette Arbeitskollegin und tun sie so, als ob nie etwas zwischen ihnen vorgefallen wäre. Und wenn er ihnen sein Leid klagt, einfach an etwas anderes denken und verständnisvolle Laute von sich geben. Es gibt nichts, das Männer mehr lieben, als dass man ihnen zuhört.«
»Tja, wir wissen da etwas – aber da müsstest du ihr wohl erst mal ein paar Tricks verraten.«
Hetty ignorierte diese Einwände der Sarkasmusabteilung – das war nur etwas für Fortgeschrittene und Sonja befand sich definitiv noch im Lehrlingsstadium.
»Und diese Klatsche, die er da bekommen hat, ist nur gut für seine Persönlichkeitsbildung. Sie müssen nur dafür sorgen, dass sozusagen große Neonpfeile auf sie zeigen, wenn er jemanden sucht, dem er vertrauen und glauben kann.«
Sonja lachte laut auf. »Sie haben eine sehr bildhafte Ausdrucksweise. Aber ich verstehe, was sie mir sagen wollen. Also werde ich mal die geschundene Kreatur trösten und warten, was die Zukunft bringt.«
Hetty grinste. »Genau. Je weniger sie erwarten, desto mehr werden sie kriegen.«
Ihre Gläser waren leer und sie stand auf. »Ich wünsche ihnen viel Glück.«
Nach diesen huldvollen Worten, ging sie, mit den gebotenen, langsamen Schritten aus der Bar, um gleich nach der Türe in einen schnellen Spurt zu verfallen. Verflucht nochmal, wo steckte Kai?
Ihr Freund schmunzelte, als er sah, wie ihre grünen Augen funkelten. Aha – die Spürnase hatte etwas erschnüffelt. »Und jetzt erzähl – was hast du herausgefunden?«
Hetty schilderte ihr Gespräch mit Sonja und Kai zog daraufhin sofort die gleichen Schlussfolgerungen wie sie. »Was wollen wir wetten, dass die Lady diese Tour bei jedem Hotel abgezogen hat und immer der Bewacher des Zentralschlüssels bei ihr im Bett landete?«
Hetty grinste. »Das können wir gleich beim nächsten Hotel endgültig überprüfen – das ist sowieso das letzte auf unserer Liste und ich werde das zuständige Kerlchen einem peinlichen Verhör unterziehen.«
Kai gönnte sich einen kurzen Gedanken des Mitleids. Der Ärmste würde zumindest keine Angst mehr vor der Hölle haben, denn schlimmer konnte es nicht mehr kommen.
Kapitel 9
Da auf Kais Fahnen, genauso wie bei Hetty mit großen Lettern das Wort „Perfektionist“ gestickt war, wich er trotzdem nicht von dem Schema der allgemeinen Befragung ab. Gründlichkeit zahlte sich immer aus und es konnte ja sein, dass sie sich in ihrer Annahme geirrt hatten und nochmal umdenken mussten.
Hetty hatte sich denjenigen, der für den Zentralschlüssel zuständig war, für den krönenden Abschluss aufgehoben und deutete freundlich auf den Stuhl ihr gegenüber, als der Mann eintrat.
Innerlich lächelnd, schlussfolgerte sie, das für die Hoteldiebin Lars wohl die absolute Erholung gewesen sein musste, und sie wahrscheinlich dabei tatsächlich ihren Spaß gehabt hatte. Denn ihr jetziges Gegenüber verführte einen wirklich nicht dazu, sich mit dem Gedanken zu beschäftigen, wie eine Nacht in seinem Bett ablaufen würde.
Bei der Vergabe von männlicher Schönheit hatte er eindeutig nicht den Finger gehoben und die Idee, dass man dann zumindest für eine ansprechende Figur sorgen sollte, war ihm anscheinend noch nie gekommen. Allerdings musste er trotzdem über Qualitäten verfügen, denn seinen rechten Ringfinger zierte ein goldener Reif, was einen deutlichen Hinweis lieferte, dass er verheiratet war.
Hetty unterdrückte ein Grinsen. Wenn ihre Vermutung zutraf, würden die nächsten Minuten für diesen Herrn absolut unangenehm werden und er damit schon bei Lebzeiten für alle seine Sünden büßen.
»Wie sie wissen, sind wir von ihrem Direktor engagiert worden, die Diebstahlserie aufzuklären. Hier in diesem Hotel ist das noch gar nicht lange her. Bitte lassen sie sich durch den Kopf gehen, ob ihnen in dieser Zeit irgendetwas aufgefallen ist, das anders war, als sonst. Egal, um was es geht, alles ist wichtig.«
Diese Einleitung brachte sie jedes Mal vor, und wie jedes Mal bekam sie auch jetzt die Antwort. »Nein, alles war wie immer. Ganz normal.«
Hetty nickte und sah ihn dann fragend an. »Irgendwelche besonderen Gäste in der Zeit? Etwas Außergewöhnliches?«
Eigentlich sollten doch alle Leute spätestens seit der Affäre Lewinsky – Clinton wissen, dass man sich mit gewissen Verhaltensweisen selbst aufbrachte. Schließlich hatten die Fernsehstationen damals bis zum Erbrechen die Szene wiederholt, als der amerikanische Präsident „ganz ehrlich“ behauptete, es wäre nichts zwischen ihnen gewesen. Und hunderte Fachleute hatten darauf hingewiesen, dass man an seinen Augenbewegungen ablesen konnte, dass er log.
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