Vor dem Schlafen gehen lassen wir den Tag mit den vielen Eindrücken Revue passieren. Diese müssen erst verarbeitet werden, gerade weil wir Dinge nicht nur ansehen, sondern auch hinterfragen und verstehen wollen. Eines können wir an dieser Stelle schon behaupten. Havanna ist für uns nicht die viel besagte „Perle der Karibik“, auch nicht „Das Paris der Karibik“. Wir nennen sie die „Grand Dame der Karibik“. Sie ist schon etwas in die Jahre gekommen, besitzt Charakter, hat viel erlebt und braucht mehr und mehr Pflege.
Montag, 09.März 2015
Eigentlich habe ich mir vorgestellt, dass wir die Stadt heute mit dem Fahrrad erkunden. Doch nachdem wir gestern gesehen haben, wie lebhaft die Stadt ist, beschließen wir heute wieder zu Fuß durch Havanna zu marschieren. Einige Bereiche der Altstadt haben wir noch zu entdecken. Gerade den nördlichen Teil hatten wir gestern ausgelassen. Hier befindet sich das Revolutionsmuseum, der "Plaza de Armas", die berühmte Kathedrale und noch vieles mehr. Mit dem Fahrrad lässt sich das alles nicht so einfach abklappern, wie per Pedes. Auch wenn wir schon ganz heiß auf das Radfahren sind, werden wir uns noch gedulden, bis wir in Viñales, dem nächsten Ziel unserer Reise, sind.
Unser Frühstück haben die Hausherren im großen Wohnzimmer auf einem kleinen Tisch vorbereitet. Neben unserem sind noch zwei weitere Tische gedeckt. Gleich werden wir nach Kaffee gefragt und bekommen einen Früchteteller serviert. Er ist nicht so üppig ausgestattet wie der in Matanzas gestern. Es wird Zwieback und Kuchen gereicht. Außerdem stellt man uns ein kleines Stück Butter und Guavenmarmelade hin. Das Stück Marmelade reicht zwar nur für ein halbes Brötchen, obwohl für jeden von uns vier kleine, getoastete Scheiben vorhanden sind. Den Rest müssen wir also ohne Belag essen. Eigentlich passt alles. Doch die Hausherren scheinen etwas sparsam zu sein. Der Kaffee läuft relativ dünn aus der Kanne und die Milch ist durchsichtig. Genauso schmeckt es. Die Milch wurde mit Wasser stark gestreckt. Der Kaffee schmeckt wie schon zum dritten Mal durch den Filter gejagt.
Nach dem spärlichen Frühstück gehen wir erst mal zum Einkaufen. Da wir gestern neidvoll auf unsere 1,5 Liter Wasserflasche angesprochen wurden, vermuten wir, dass es gar nicht so leicht sein wird, immer und an jeder Ecke Wasser kaufen zu können. Wasser ist für unsere Radtouren aber das Wichtigste. Deswegen wollen wir einen Großeinkauf machen.
Gestern haben wir in einem Laden gleich um die Ecke eingekauft. Es gibt aber sicher noch einen größeren Supermarkt. Ein großes Kaufhaus ist uns gestern in der Neptuno aufgefallen. Es ist mehrere Stockwerke hoch. Die müssen sicher eine große Auswahl an Produkten haben, denken wir uns.
Mit Rucksack kommen wir schon mal nicht rein. Wie an einer Theatergarderobe bekomme ich eine Marke und mein Rucksack verschwindet hinter dem Tresen. Am Eingang steht ein Wachmann. Um den zentralen Raum in der Mitte des Gebäudes ranken sich allerlei Geschäfte. Schuhverkäufer, Modegeschäfte, Drogerien und weitere Läden haben kleine Verkaufsflächen. Das Warenangebot ist übersichtlich. Hier kann man auch nur in CUC bezahlen. Im ersten Stock ergibt sich das gleiche Bild. Wir wollen hauptsächlich Wasser besorgen. Es interessiert uns aber, was es in Kubas Hauptstadt sonst noch alles zu kaufen gibt. Im Kellergeschoss befindet sich ein Lebensmittelladen. Die Regale sind wie in den kleinen Läden nicht vollständig gefüllt. Oft beansprucht ein Produkt einen Meter Platz. Dass wir in einem besonderen Geschäft sind, bemerken wir am Vorhandensein von internationalen Waren. Es gibt unter anderem amerikanisches Coca-Cola, Nudeln von Barilla aus Italien und Schokolade aus Deutschland. Die Preise sind hoch, auch für unsere Verhältnisse. Das liegt am enormen Importzoll, den die kubanische Regierung verhängt hat. Viele der angebotenen Produkte eignen sich für die Bewirtung von Touristen. Diese zahlen mit CUC. Die privaten Vermieter können dann hier mit CUC einkaufen. Uns wird noch mehr bewusst, dass die zwei Währungen in Kuba auch zwei Welten für die Menschen bedeuten.
Wasser ist aus. Dafür gibt es jede Menge Softdrinks aus aller Welt. Damit wir nicht umsonst hier sind, wollen wir für die nächsten Tage noch Kekse einkaufen. Wir entscheiden uns für ein paar kubanische Produkte. Einfach aus dem Regal nehmen geht nicht. In einem Schaukasten unter dem Tresen liegen nur die Muster. Eine Angestellte fischt uns die gewünschten Artikel aus den Regalen hinter ihr heraus.
Beim Verlassen des Kaufhauses wird der Inhalt unserer Einkaufstüte akribisch mit dem Kassenzettel verglichen. Das wird bei jedem gemacht, der das Gebäude verlassen will. Ganz schön personalintensiv so ein Kaufhaus. Da es sich um staatliches Unternehmen handelt, werden die Angestellten allerdings nur mit einer Handvoll kubanischer Peso entlohnt.
Das war ja nichts mit dem Wassereinkauf. Wir suchen noch drei weitere, kleine Läden auf. Aber nirgendwo gibt es Wasser in 1,5-Liter-Flaschen. Also gehen wir zurück in das Geschäft, in dem wir gestern eingekauft haben. Der Bestand an großen Wasserflaschen ist schon sehr viel weniger geworden. Deswegen kaufen drei Sechserpacks. Sie sind ganz schön schwer, aber die 500 Meter zu unserer Unterkunft kann ich zwei Packen schon tragen. Elke nimmt den dritten „Sixpack“.
Die Kassiererin fragt uns, ob wir ein Auto vor der Tür stehen haben und winkt einen Angestellten herbei, der uns helfen soll, die 27 Kilo Wasser nach draußen zu bringen. Unser Auto steht aber nicht vor der Ladentüre. Alle schauen uns unverständlich an. Sie denken sicher: "Was machen diese Touristen bloß mit dem ganzen Wasser". Zum Kochen läuft es doch aus der Leitung und zum Trinken gibt es Bier, Cola, Limonaden und Fruchtsäfte.
Kaum sind wir auf der Straße werden wir alle 10 Meter von den Fahrern der Bici-Taxis angesprochen. Diese lauern immer auf Kunden, wenn sie gerade keine Gäste haben. Wir scheinen mit unserer Last die perfekte Kundschaft zu sein. Trotzdem lehnen wir alle Angebote dankend ab. Es ist wie ein Spießroutenlauf.
Die Bici-Taxis sind so etwas wie Asiens Rikschas. Sie haben ein bis zwei Fahrgastplätze und dürfen eigentlich laut Gesetz nur Kubaner befördern. Doch wo kein Kläger, da ist auch kein Richter. Touristen zahlen eben in CUC und das ist viel besser, als einen Einheimischen für ein paar lausige Pesos zu transportieren. Als Radfahrer habe ich schon gestern die Bici-Taxis bewundert. Statt Lenker haben sie meistens Lenkräder von Autos montiert. Die Ketten sind oft stark gelängt und hängen wie ein Seil durch. Die Sitzposition ist extrem. Der Sattel des Chauffeurs ist viel weiter hinten montiert, als bei einem normalen Fahrrad. Die Knie bewegen sich beim Fahren oft weit nach oben. Ich denke, denen muss es doch beim Treten die Kniescheibe sprengen. Tatsächlich haben wir gehört, dass einige, besonders langgediente Rad-Taxifahrer Probleme mit ihren Gelenken haben. Sollte man den Service der Radltaxis beanspruchen, ist es ratsam den Preis vor Antritt der Fahrt auszuhandeln. Touristen werden gerne Opfer überhöhter Rechnungen. Für einen Kilometer sollte es maximal ein CUC sein. Wir brauchen kein Taxi. Ein wenig Frühsport tut gut. Auch wenn die Bizepse ganz schön brennen, als wir die Haustür unserer Unterkunft erreichen. Die 18 Wasserflaschen landen gleich im Kofferraum unseres Mietwagens.
Nach der Arbeit kommt bekanntlich das Vergnügen. Wir können uns der Stadtbesichtigung widmen. Nur Geld müssen wir noch tauschen. Wieder streifen wir durch die Gassen des Stadtteils „Centro“ in Richtung Altstadt. Hier sieht man viel mehr vom wirklichen Leben in Havanna, als in der teils restaurierten Altstadt. Dort kommt man sich ein wenig vor wie in "Disney Land" für Kubaurlauber. Denn überall dort, wo schön renoviert ist, werden Busladungen von Touristen abgesetzt um Klischeebilder von Oldtimern und alten Gebäuden aus der spanischen Kolonialzeit zu knipsen. Wer vom Badeort Varadero nur einen Tagesausflug bucht, hat am Ende des Urlaubs sicher nicht das authentische Kuba gesehen.
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