Unsere Vermieterin fragt noch, wann wir frühstücken wollen und macht uns auf die in dieser Nacht beginnende Sommerzeit aufmerksam. Normalerweise beträgt der Zeitunterschied zwischen Deutschland und Kuba 6 Stunden. Die Sommerzeit beginnt hier aber schon in den ersten Märzwochen. Dann ist der Zeitunterschied zur Heimat nur 5 Stunden. Wir sagen, dass wir es in der Früh nicht eilig haben. Wir wollen nur noch ins Bett. Räder zusammenbauen und das Gepäck sortieren kann bis morgen warten. Nur für eine heiße Dusche nehmen wir uns die Zeit. Es ist knapp 1 Uhr nachts. Zusammen mit der Zeitverschiebung von 6 Stunden sind wir jetzt 26 Stunden auf den Beinen. Deswegen dauert es nur Sekunden bis wir eingeschlafen sind. Vielleicht träume ich wieder von unserer ereignisreichen Anreise nach Kuba.
2. Tag - Die Grande Dame der Karibik
Sonntag, 08.März 2015
Murmeltiere schlafen auch nicht besser, aber sie stehen bestimmt zeitiger auf als wir nach der langen Anreise. Gut, dass wir Frühstück erst für halb zehn bestellt haben. Jede Stunde Schlaf können wir gut gebrauchen. Noch vor dem Frühstück baue ich die Räder zusammen. Den Lenker habe ich zu Hause abmontiert, in Luftpolsterfolie eingewickelt und senkrecht an das Rad mit Packband geklebt. Jetzt wird er wieder an den Vorbau geschraubt. Sattel, Pedale und das abmontierte Schaltwerk werden angebracht. Zuletzt noch Luft in die Reifen und schon stehen die zwei Drahtesel fahrbereit vor uns. Langsam realisieren wir, dass wir wirklich da sind. Jetzt beginnt unsere langersehnte Reise durch Kuba.
Auf der Terrasse ist das Frühstück gedeckt. Wir setzen uns auf alte Stühle aus Metall. Auch der Tisch besteht aus filigranen Metallarbeiten. Es wird Kaffee mit Milch serviert. Das scheint auf Kuba genauso üblich zu sein, wie in Europa. Dann wird es exotischer. Als erstes gibt es für jeden von uns einen Teller mit frischen Früchten. Darauf sind Papayastücke, eine große Scheibe frische Ananas, aufgeschnittene Bananen und ein paar Stücke Guave. Diese Frucht ist bei uns weniger bekannt. Eine Guavenschorle findet man hin und wieder in einem Asiarestaurant auf der Karte. Als rohe Frucht sieht man sie in Deutschland nur selten. Sie stammt aus den tropischen Gebieten Amerikas. Aber auch im Mittelmeerraum, Südafrika oder in Westindien werden sie heute angebaut. Sie schmecken süß-säuerlich, fast wie ein Mix aus Erdbeere, Stachelbeere und Birne. Beim Essen spürt man viele kleine Kerne, so dass man nicht einfach drauf los kauen kann. Guaven sind sehr gesund. Ihr Anteil an Vitamin C ist viermal höher als der einer Kiwi. Hier bekommen wir die Früchte reif auf den Tisch. Wenn wir sie bei uns im Supermarkt fänden, wären sie unreif geerntet und mit dem Flieger verschickt worden. Das macht sie sehr teuer und der Vitamingehalt ist aufgrund der frühen Ernte sicher nicht so hoch. Als wir noch einen Krug mit Guavenschorle von Alma vorgesetzt bekommen, kann gar nichts mehr schiefgehen. Das Frühstück deckt den Vitamin-C-Gehalt einer Woche.
Zum Frühstück gibt es aber noch mehr. Wir bekommen getrocknetes Weißbrot, gelben Zwieback, Marmeladen und Honig serviert. Dazu noch ein Stück Kuchen. Nach dem üppigen Frühstück ist mir klar, dass ich erst am Abend wieder etwas zu Essen brauche. Zur Verdauung steige ich noch die steilen Stufen einer Metalltreppe auf das Dach des Hauses empor. Hier habe ich einen guten Blick über die Stadt. Es ist der erste Blick in die Ferne auf Kuba bei Tageslicht. Im Hintergrund erkenne ich ein paar kleinere Hügel. Die Stadt ist groß. Sie besteht aus vielen kleineren Häusern, alten Kolonialbauten und ein paar Plattenbauten am Stadtrand. Dazwischen wachsen Palmen. Die meisten Häuser könnten einen neuen Anstrich vertragen. Auffällig sind die vielen, blauen Wassertanks auf den Dächern.
Wir zahlen unsere Rechnung und deponieren die zwei Radkartons und eine Reisetasche bei Alma. So müssen wir sie auf unserem langen Weg nicht dauernd mitnehmen. Das haben wir bereits im Vorfeld vereinbart und geben der netten Dame noch etwas extra für den nicht selbstverständlichen Dienst.
Jetzt holen wir das Auto vom Plaza, damit wir unsere Sachen einladen können. Als wir unseren Wagen besteigen, fegt ein alter Mann Blätter vom Autodach und hofft auf ein Trinkgeld. Wir geben ihm ein paar Groschen. Er scheint unzufrieden, zumindest verrät uns dies sein Gesichtsausdruck. Wir müssen erst noch rauskriegen, wer überhaupt und wie viel Trinkgeld für was bekommen soll.
100 Kilometer Autofahrt nach Havanna liegen vor uns. Die Räder und das Gepäck sind schnell verstaut und wir auf dem Weg raus aus Matanzas. Elke lotst mich mit der Landkarte perfekt auf die Hauptstraße. Jetzt am Tag ist das Fahren ein Kinderspiel. Im Vergleich zu Deutschland geht es auf den Straßen gemütlich zu. Auf der Strecke nach Havanna kommen uns viele amerikanische Oldtimer entgegen. Man denkt sofort an das Kuba der 40er und 50er Jahre.
Die Straße von Matanzas nach Havanna ist über weite Strecken zweispurig. Es fahren nur wenig Autos. Dafür sehen wir viele Pferdewagen. Sie sind meist einspännig und besitzen nur eine Achse wie ein Sulky. Auf dem einfachen Bock haben zwei bis drei Personen Platz. Man sieht vorwiegend kleinere Pferderassen. Sehr oft stehen Menschen an der Straße und wollen als Anhalter mitgenommen werden. Sie winken schon von weitem mit Pesoscheinen in der Hand. Das ist üblich auf Kuba. Da die Leute des Öfteren ein bis zwei Stunden zur Arbeit fahren müssen, der öffentliche Verkehr bei weitem nicht ausreicht, die wenigsten aber ein Auto besitzen, warten sie am Straßenrand, um mitgenommen zu werden. Wir haben leider keinen Platz. Unser Auto ist bis unter das Dach mit Rädern und Taschen aufgefüllt. Sonst würden wir den einen oder anderen mitnehmen.
Es gibt auf der Fahrt viel zu sehen. So haben wir schnell die 100 Kilometer bis Havanna geschafft. Jetzt müssen wir ins Zentrum. Im gleichnamigen Stadtteil „Centro“ liegt unsere Unterkunft. Es ist ein privates Haus. Ich hoffe, dass es heute bei Tageslicht einfacher ist, es ausfindig zu machen. Jetzt müssten wir schon wissen, wo die Straßennamen zu finden sind und wie die Hausnummern aussehen. Von Osten kommend fahren wir erst unter der Naturbucht von „La Habana“ hindurch. Dies ist möglich, weil zwischen 1955 und 1958 ein aufwändiger Straßentunnel gebaut wurde.
Die Anzahl der Fahrzeuge und der Trubel auf den Straßen steigt zunehmend, je weiter wir uns dem Zentrum von Havanna nähern. Dank Karte können wir uns gut orientieren. Wir fahren gemütlich. Trotzdem drängelt fast keiner der anderen Verkehrsteilnehmer. Es scheint im Verkehr so etwas wie eine kubanische Gelassenheit zu geben. Die vielen alten Autos stinken ganz schön, wenn man hinter ihnen herfährt. Kein Wunder, denn wenn die alten Karossen mal Gas geben, kommt eine schwarze Wolke aus ihrem Auspuff. Gehupt wird andauernd und das von allen Verkehrsteilnehmern, außer natürlich von den Fußgängern und den Reitern. Letztere sind in der Stadt aber selten. Gehupt wird nicht um zu Drängeln, sondern nur, um freundlich auf sich aufmerksam zu machen.
Unsere Unterkunft ist schnell gefunden. Eine schmale Tür an einer etwas heruntergekommenen Fassade ist es. Ein kleines Schild mit dem Namen des Eigentümers zeigt uns, dass wir richtig sind. Wir läuten und der Türsummer ertönt. Das Auto haben wir auf der recht breiten Straße einfach vor der Haustüre geparkt. Wir gehen eine Treppe nach oben in den ersten Stock. Die Vermieter, ein älteres Ehepaar, begrüßen uns freundlich. Wir finden gepflegte Räume eines circa 100 bis 150 Jahre alten Gebäudes vor. Die Zimmer sind hoch. Die Einrichtung ist alt, aber gut erhalten und gepflegt. Die Kubaner achten sehr auf ihr Hab und Gut. Eine Wiederbeschaffung ist eben nicht so einfach möglich. Man kann nicht in den nächsten Laden gehen und sich zum Beispiel neues Geschirr besorgen. Zum einen ist nicht alles verfügbar, zum anderen sind die finanziellen Mittel begrenzt. Also hütet man seinen Besitz, auch wenn er alt geworden ist. Antiquitätenhändler hätten auf Kuba vermutlich ihre wahre Freude.
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