Das Wasser hatte lediglich einen leicht sandigen Beigeschmack, deutete aber darauf hin, dass hier eine unterirdische Wasserader nahe an die Oberfläche kam. Sie würde heute an diesem Ort bleiben und morgen in Ruhe ihre Schläuche auffüllen können.
Der Schlaf fand in dieser Nacht leicht zu ihr, mit Träumen von lachenden Gesichtern und Kindern, die genug Wasser hatten, um es in ihre Gesichter zu spritzen.
Gegen Morgen weckte sie ein schleifend schabendes Geräusch ganz in ihrer Nähe. Sie blinzelte. Vor ihren Augen bewegte sich ein schimmerndes Prachtexemplar einer Dornschwanzagame.
Instinktiv reagierte Shanas Körper. Jede Faser ihrer Muskulatur machte sich bereit. Bei einer solchen Gelegenheit, gab es nur einen Versuch. Sie war eindeutig noch nicht wach genug. Es war besser zu warten und das Tier zu beobachten. Daher entspannte sie sich mit einem tiefen Atemzug wieder. Sie musste eine andere Haltung einnehmen, damit sie eine Chance hatte, die Agame wirklich zu erwischen. Ihre Muskeln waren von der nächtlichen Kälte noch zu steif. Vor Erregung kribbelte es unter ihrer Haut. Ein wenig später würde die Situation günstiger sein.
Die Agame entfernte sich eine kleine Strecke. Sie fraß genüsslich an einem niedrigen Gestrüpp in der Nähe. Mit sehr geschmeidigen, geräuschlosen, langsamen Bewegungen erhob sich Shana in eine kauernde Stellung, näherte sich der Echse und sprang.
Die Gegenwehr des Tieres war unerwartet stark und Shana musste zweimal nachsetzen, um den sich windenden Körper sicher auf den Boden drücken zu können. Sie griff nach ihrem Dolch, schickte ihren Dank an das Leben und die Ahnen, schnitt rasch und sicher die Kehle ihres Opfers durch.
Bei dem Kampf blieb ihr Überwurf im Gestrüpp hängen und zerriss. Unwichtig, angesichts des Fangs! Das Fleisch des beinah armlangen Tieres reichte sicher für die gesamte Suche. Shana konnte ihr Glück kaum fassen. Mit einem Hochgefühl, Wasser und Nahrung für mehrere Tage, setzte sie kurze Zeit später ihren Weg fort.
Zum ersten Mal seit längerem veränderte sie ihre Richtung während des Marsches grundlegend. Sie hatte eine Spur. In den nächsten Tagen folgte sie den winzigen Hinweisen auf die Wasserader. Beflügelt von der Hoffnung entging ihr kein Detail. Selbst wenn sie diesmal die eigentliche Wasserstelle noch nicht finden würde, so viele gute Zeichen hatte sie lange nicht gesehen.
Nach vier Tagen begegnete sie ihm.
Gerade als sie beschloss, von nun an nur noch zurückzugehen, erregte eine wehende Staubfahne am oberen Teil der großen Düne ihre Aufmerksamkeit. Instinktiv kauerte sie sich so nah wie möglich auf den Boden und beobachtete die Szene.
Ein einsamer Reiter preschte den Dünenhang herunter, als ob der Teufel hinter ihm her sei. Er schien die Gefahrenstelle der Düne genau zu kennen, denn er ritt trotz des Tempos sehr geschickt um sie herum. In der Talsenke zügelte er sein Pferd und sprang ab, dabei gab er dem Tier einen leichten Schlag auf die Flanke, so dass es in westlicher Richtung davonlief. Sich selbst warf er flach auf den Boden und bedeckte sich mit einer großen, sandfarbenen Decke. Nun war er nicht mehr wirklich zu erkennen.
Während sie sein Tun weiter beobachtete, zog Shana ihren Umhang und den Gesichtsschleier fest zu, folgte seinem Beispiel und presste ihren Körper flach auf den Boden. Ihren Kopf hielt sie weiterhin ganz leicht angehoben und spähte in die Richtung, aus der der Reiter gekommen war. Dann sah sie erschaudernd die eigentliche Gefahr. Die Gefahr, vor der wohl auch der Reiter floh.
Männer mit einer dunklen Fahrmaschine, größer als ein Kamel, erschienen am oberen Rand der Düne. Sie hielten an und verließen das Fahrzeug. Mit mehreren Waffen behangen, trugen sie auch noch eine merkwürdige Kleidung. Das mussten Sklavenjäger sein.
Unbeweglich blieb Shana liegen, alle Stoßgebete Yambis schossen ihr durch den Kopf. Wäre sie nicht durch das Verhalten des Reiters gewarnt und jetzt noch aufrecht gewesen, wäre es um sie geschehen.
Die Sklavenjäger schienen vollkommen auf ihre ausgewählte Beute fixiert zu sein. Sie hatten ihn zwar aus den Augen verloren, aber seine Richtung gut eingeschätzt. Einer von ihnen wollte der Pferdespur folgen, rutschte aus, schlitterte haltlos die Düne herab. Er geriet in den Treibsand. Nach den stürmischen Winden der letzten Tage war dieser ohnehin gefährliche Boden zu einer tödlichen Gefahr geworden. Sein Gefährte beobachtete den Fehltritt. Er schien die Lage richtig einzuschätzen, denn er versuchte nicht einmal zu helfen. Stattdessen drehte er sich um, warf einen langen, dunklen Gegenstand in das Fahrzeug und stieg selbst wieder hinein. Er ließ den Motor aufheulen. Das Geräusch dröhnte bis in Shanas Ohren. Doch er fuhr nicht vorwärts, sondern ließ das Fahrzeug rückwärts rollen und war verschwunden.
Shana bewegte sich trotzdem nicht, genauso verhielt sich der unbekannte Reiter. Beide blieben reglos unter ihrer Tarnung. Vielleicht versuchte der Sklavenjäger sein Opfer zu täuschen und tauchte unvermutet wieder auf. Lange harrte Shana wie erstarrt aus. Dann sah sie das Pferd zurückkehren. Von den Sklavenjägern aber war keine Spur mehr zu sehen, weder von dem Mann im Treibsand noch von dem Fahrer. Zögernd richtete sie sich wieder auf und wartete hockend, für eine kurze Dauer, bevor sie den Abstieg wagte. Mit ruhigen, bedachten Schritten tastete sie sich in die Nähe der Stelle, wo sie den Reiter noch immer vermutete. Der leichte Wind hatte hier in der Talsenke den Mann mit einer dünnen Schicht Sand bedeckt und gänzlich unsichtbar werden lassen. Tatsächlich stieß sie auf ihn, bevor sein Pferd zwei Pferdelängen von ihm entfernt stehen blieb. Erst jetzt hob er den Kopf.
Im Gegensatz zu den Sklavenjägern war er schon von seiner Kleidung her ein Angehöriger des Wüstenvolkes. Er gehörte zum Stamm der Hathai. Die vielen Lagen seiner Gewänder und die Art wie er seinen Kopfschleier gebunden hatte, waren in dieser Beziehung eindeutig. Yambi hatte Shana die feinen Unterscheidungsmerkmale der Wüstenstämme erklärt.
Sie begrüßten einander mit dem gebührenden Respekt, wissend, dass sie nichts voneinander zu befürchten hatten. Shana verneigte sich mit ihrem ganzen Oberkörper und sagte deutlich: „Meinen Gruß – Fremder.“
Der Hathai hob dagegen die Hand bis zum Herz und dann zur Stirn: „Sei gegrüßt, Searcher.“
Wie Shana rasch bemerkte, unterschied sich der Dialekt ihrer Sippe anscheinend nur wenig von der Hathaisprache, so dass sie sich mit ein wenig Mühe verständigen konnten. Sorgfältig und langsam formulierte sie ihre Frage: „Wer waren deine Verfolger?“
Der Hathai starrte zum Treibsand hinüber und sagte: „Ortsunkundige!“, wobei sein Blick auf den ruhigen Treibsand fiel. Sie hörte, dass er bei den nachfolgenden Worten grinste: „Sonst hätten sie mich längst erwischt.“
„Sklavenjäger aus dem Osten?“
„Ja und sie haben mich heute Morgen zu ihrer Beute erklärt.“
„Respekt! Nur wenige schaffen es so lange, nicht erlegt zu werden.“
„Dir meinen Respekt, Searcher. Du scheinst sehr jung zu sein und ich habe gesehen, dass du sehr erfahren bist.“
Er ließ seinen Blick über die Dünen und den Horizont schweifen: „Die Nacht kommt. Willst du noch weiter?“
Shana folgte mit den Augen seinem Blick und meinte, es würde sich nicht mehr lohnen. Es war die Zeit kurz nach Neumond und damit viel zu dunkel, um bei Nacht sinnvoll unterwegs zu sein. Der Fremde schien dies ebenso zu sehen. Bei aller Vorsicht, die geboten war, fühlte sie sich von ihm nicht bedroht. Dabei wusste sie genau, wie leichtsinnig eine solche Haltung sein konnte. Denn, traf man jemanden hier draußen, so war es nie klar, ob man eine Nacht in seiner Nähe verbringen konnte, ohne befürchten zu müssen, am nächsten Morgen ausgeraubt oder gar tot zu sein. Daher mieden Searcher selbst solche Begegnungen.
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