„Feindfahrzeug 12 Uhr! Feuer!“
Nach einer Sekunde traf die Panzergranate 39 den T 34 an der 60 Grad geneigten Bugpanzerplatte, und prallte ab. Fast zeitglich hatte der russische Panzer geschossen und die Granate traf das linke Treibrad des Panzer IV. Die Kette lief ab, und die noch laufende rechte Kette zog das Fahrzeug herum. Jetzt stand der Panzer schräg auf der Straße und zeigte einen Teil seiner linken Seite. Der deutsche Richtschütze war schnell gewesen, denn die richtige Seite hatte er beim Zielen schon gehabt, er musste lediglich die Höhe korrigieren. Die nächste Granate schlug gegen die rechte Turmvorderseite des T 34 und ging durch. Im gleichen Augenblick explodierte die Bereitschaftsmunition in Inneren des Fahrzeugs.
„9 Uhr“ brüllte der deutsche Kommandant.
Zwischen zwei Häusern hatte sich ein T 34 hervorgeschoben. Der Richtschütze des Panzer IV musste den Turm des schräg auf der Straße stehenden Fahrzeuges jetzt nach links schwenken, aber er brauchte dafür zu lange. Bevor er die Seite beim Richten hatte, war die Bordkanone des T 34 abgefeuert worden. Die 30 Millimeter Seitenpanzerung des Panzer IV wurden mühelos durchschlagen. Heinz Hornig verspürte einen brutalen Schlag gegen seine linke Seite, hinter ihm schrie der Richtschütze wie ein Tier. Dann hatte Hornig den Eindruck, dass sich Flüssigkeit auf seinem Sitz sammeln würde. Als er nach links schaute sah er, dass seine Uniform aufgerissen worden war und ein Blutschwall aus seinem Körper trat. Erst jetzt nahm er einen wahnsinnigen Schmerz wahr, und ohne dass er es irgendwie beeinflussen konnte, brüllte er vor Qual und Entsetzen auf. Hinter ihm rutschte der Richtschütze bewusstlos von seinem Sitz, ihm waren beide Unterschenkel amputiert worden. Der Kommandant war gegen die Turmwand gesunken, ihm hatten Splitter den Kopf abgerissen. Auch der Ladeschütze war in den Splitterregen gekommen und tot. Der Funker war durch seine Position rechts vorn am besten davongekommen, und auch das zwischen ihm und dem Fahrer befindliche Schaltgetriebe hatte etwas Schutz geboten. Drei Splitter steckten in seinem Rücken, aber die Verwundung war nicht tödlich. Im Kampfraum hatte sich Rauch ausgebreitet und der Mann öffnete seine Luke und zog sich aus dem Panzer heraus. Er kam heraus, ließ sich zu Boden fallen und kroch in den Schutz eines Hauses. Heinz Hornig sah Kreise vor seinen Augen aber er war noch bei Bewusstsein. Der Rauch wurde immer dichter und er wusste, dass er sofort ausbooten musste. Als er versuchte seine Luke zu öffnen gelang ihm das nicht, sie hatte sich durch die heftige Erschütterung des Fahrzeugs beim Treffer verklemmt. Voller Verzweiflung drückte er gegen die Stahlplatten aber diese bewegten sich nicht. Einige Splitter hatten auch die Schottwand zum Motorraum durchschlagen und dort eine Benzinleitung gekappt. Ein kleines Feuer loderte schon. Die 220, 140 und 110 Liter fassenden Tanks wurden undicht, gerieten schlagartig in Brand und platzten auf. Die daraus resultierende mächtige Druckwelle wurde durch die schwere Motorraumabdeckung nach vorn, also auf die Schottwand zwischen Motor- und Kampfraum kanalisiert. Die dünne Schutzwand wurde durch die enorme Energie aus ihren Halterungen gerissen, in den Kampfraum hineingedrückt und damit konnte sich das brennende Benzin als rasend schnelle Flammenwolke direkt dorthin bewegen. Heinz Hornig war sofort dem Feuer ausgesetzt und innerhalb einer Sekunde stand seine Uniform in Flammen, seine Haare brannten und die Haut verschmorte. Er lebte noch drei Sekunden, dann sackte er als klumpiger schwarzer Gegenstand zusammen. Die Explosion der Munition erlebte er nicht mehr mit.
Im Ort war mittlerweile ein heftiges Gefecht entbrannt. Der zweite Panzer IV hatte den T 34 ausschalten können und dieser brannte auf der Straße stehend aus. Eine führende Hand war auf keiner der beiden Seiten zu erkennen und der Kampf artete zum Chaos auf. Die Straße war durch die abgeschossenen Panzer versperrt, so dass sich die anderen Kampfwagen jetzt rücksichtslos Wege neben dem Ort bahnten und die überwiegend aus Holz gebauten Häuser dort einfach wegwalzten. Die aus dem Osten kommenden Panzer waren jetzt in Schussweite der PAK und die Bedienungen feuerten in schneller Folge Granaten ab. Vier T 34 wurden zerstört, noch ungefähr 15 fuhren auf die deutschen Stellungen zu. Die Panzer schossen aus der Bewegung heraus Sprenggranaten ab, die erwartungsgemäß schlecht gezielt waren. Bei 200 Meter Entfernung gerieten nochmals drei T 34 in Brand, aber dann waren die Kampfwagen am Bahndamm angekommen und kletterten diesen herauf. Diesen Moment nutzten einige deutsche Soldaten und schleuderten geballte Ladungen auf die Panzer. Zwei weitere Fahrzeuge konnten ausgeschaltet werden. Mittlerweile waren drei Panzer IV an diesem Abschnitt angekommen und da sie aus der Flanke feuerten, gingen noch vier T 34 verloren. Die übrigen überwanden jetzt den Bahndamm und die Infanteristen waren in ihren Löchern abgetaucht. Einer der T 34 fuhr direkt auf dem Bahndamm entlang und überrollte einige PAK und MG-Stellungen, bis er durch einen Treffer in das Heck ausgeschaltet wurde. Weber sah, dass drei russische Panzersoldaten ausbooteten, vom Panzer sprangen und kriechend versuchten auf die andere Seite des Bahndamms zu kommen. In diesem Moment sprangen zwei Grenadiere hoch, beide hatten die Seitengewehre aufgepflanzt. Die Soldaten feuerten aus kurzer Entfernung auf die Russen, dann rammten sie den schon Toten oder Verwundeten die Bajonette tief in die Rücken.
5 russische Panzer waren in den Ort über den Bahndamm eingebrochen und walzten PAK und MG nieder. Etliche der auf den T 34 aufgesessenen russischen Infanteristen waren durch die hochgehenden Panzer getötet worden, aber ungefähr 60 Rotarmisten befanden sich jetzt auf dem Gefechtsfeld westlich des Bahndammes. Nun wurden sie von den noch in ihren Löchern am Bahndamm hockenden deutschen Soldaten von hinten beschossen. Einige der Russen gingen zu Boden, die anderen versuchten zwischen den Häusern Deckung zu finden. Aus dem Süden versuchten die T 34 in die Nähe der Ortsmitte zu kommen, aber einige Fahrzeuge wurden von Panzernahbekämpfern vernichtet. Als nur noch zwei Kampfwagen übrig waren drehten diese ab. In der Gegend des Bahndamms spielten sich jetzt unvorstellbare Szenen ab. Den durchgebrochenen russischen Panzern waren durch die auf der Straße stehenden abgeschossen eigenen und deutschen Fahrzeugen die Auswege nach Norden oder Süden versperrt. Auch die durchgehenden flachen Häuserfronten waren für sie ein nicht zu überwindendes Hindernis. Als die Panzersoldaten feststellten, dass ihnen jegliche Fluchtmöglichkeit fehlte drehten sie um, und versuchten wieder an den Bahndamm heranzukommen. Bis dorthin waren es nur 100 Meter. Die 5 T 34 fuhren auseinandergezogen auf einer Breite von 200 Metern auf den Bahndamm zu und überrollten noch einige deutsche Soldaten. Zwei T 34 wurden noch von den Panzern IV abgeschossen, die restlichen drei kamen über den Bahndamm hinweg und flüchteten nach Osten. Für die russische Infanterie war die Lage aussichtslos geworden. Sie war im Ort von den Deutschen eingeschlossen. Etwa 45 Rotarmisten warfen ihre Waffen weg und hoben die Hände. Sie wurden auf der Straße zusammengetrieben, dann mussten sie sich in einer Reihe an den Häuserwänden aufstellen. Fünf der russischen Soldaten wurden ein Stück zur Seite geführt. Vor den anderen etwa 40 Männern hatten sich deutsche Grenadiere aufgestellt, dann gab es den Feuerbefehl und die Gefangenen brachen im Gewehr und MPi-Feuer zusammen. An den Häuserwänden hatten sich große Blutflecken gebildet. Ein Offizier schritt die auf der Straße liegenden Körper ab. Ab und an hob er seine Pistole und gab noch einen Schuss ab. Dann wurde es ruhig.
Günther Weber sah von Bahndamm aus an vielen Stellen des Ortes öligen Qualm träge nach oben steigen, auch etliche Häuser waren in Brand geraten. Aus dem Norden war Geschützfeuer zu hören. Sanitäter untersuchten die auf dem Boden liegenden deutschen Soldaten, einige wurden auf Tragen gelegt und weggebracht. Der beißende Qualm der ausbrennenden Panzer zog über die Gegend und der aufgekommene Wind trug ihn nach Osten weg. Dort standen sowjetische Truppen bereit die gewillt waren den Deutschen all das heimzuzahlen, was sie an Tod, Leid und Elend über ihr Land gebracht hatten.
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