Reiner schwieg jetzt lieber, denn zum einen hatte Undine recht, zum anderen wollte er sich nicht um Kopf und Kragen reden.
„Glaubst du, so einer wie Andreas Öckertz könnte sich an Natalie vergriffen haben?“
„Ich weiß nicht. Kennen sie sich denn?“
Nun berichtete Reiner ganz offen von der Aktion der Mädchen, obwohl es zu den Ermittlungsergebnissen zählte. Er sah das als Entgegenkommen, weil Undine für ihn recherchiert hatte.
„Das ist gemein. Auch wenn er es vielleicht verdient hat. Denkst du, das hat womöglich Rachegedanken geweckt?“
„Wir werden ihn morgen befragen. Ich fahre mit Jennifer zu ihm auf die Arbeit, da kann er nicht abhauen, wenn er es war.“
„Mein lieber Herr Kommissar, das ist zu einfach. Dann hättet ihr den Fall in wenigen Tagen gelöst. Ganz tief in mir drin ahne ich, dass es viel mehr ist als die Rache eines Weiberhelden.“
„Wie schlau du bist. Wir werden sehen. Wenn wir den Fall schnell zu den Akten legen können, habe ich auch mehr Zeit für dich.“
Undine lehnte sich in Reiners Arme.
„In dem Fall würde ich dich sofort wieder arbeiten schicken. Allerdings, wie wäre es denn, wenn du hier bleibst? Dann können wir zusammen essen, spazieren gehen, noch eine Weile im Garten sitzen. Und du wärst morgen direkt in Nastätten.“
„Wie praktisch du doch manchmal denkst. Gerne bleibe ich bei dir.“
Grinsend beugte sich Reiner zu ihr hinüber und küsste sie lange.
In einem anderen Garten saßen Karla und Jennifer mit einer Flasche Wein zusammen und redeten über die neue Wohnung.
„Wenn du magst, kannst du auf meiner Terrasse eine Einweihungsparty geben. Du kannst dich auch so jederzeit hier aufhalten.“
„Ach, Karla, das ist lieb von dir. Das Sitzen im Garten nehme ich gerne an. Ich habe aber im Moment keine Zeit zum Feiern. Wir müssen den Täter finden, der Natalie getötet hat. Kannst du mir etwas über Laura und Juliano Nunnio berichten?“
„Du meinst, ich soll dir etwas über den netten Sportlehrer erzählen?“
Karla grinste.
„Nein“, sagte Jennifer ernst, „ich will nichts über ihn als Mann wissen. Er kannte Natalie und könnte somit ihren Tod verursacht haben.“
„Nein, das glaube ich nicht. Der Mann ist unglaublich. Erstmal ist er ein super Lehrer und jeder Schüler liebt ihn. Dann gibt er in seiner Freizeit Unterricht in Italienisch. Er trainiert außerdem die Kinder aus den Kitas in Akrobatik und das kostenlos. Solch ein Mensch tut niemandem etwas an.“
„Welche Kitas?“, fragte Jennifer mit einem merkwürdigen Gefühl in der Magengegend.
„Die drei in der Stadt und die neue hinten am Wald, wo ihr Natalie gefunden habt.“
Erst als Karla das ausgesprochen hatte, merkte sie, dass das keineswegs entlastend für Juliano war. Nein, ganz im Gegenteil, sie hatte ihn wohl damit in Schwierigkeiten gebracht. Das wusste sie, nachdem sie Jennifers Blick gesehen hatte.
„Das sieht jetzt vielleicht so aus, als wenn ihn das verdächtig macht, aber bitte, Jennifer, glaube mir, Juliano ist ein guter Mensch.“
„Ich möchte das gern glauben, wirklich, doch wir müssen nun mal allen Spuren nachgehen. Juliano Nunnio gehört zum Kreis der Verdächtigen und das bleibt so, bis wir etwas anderes beweisen.“
„Du findest ihn süß, oder?“, fragte Karla jetzt grinsend.
„Ja … nein … ja, schon. Ich will aber keinen neuen Mann. Basta. Ich genieße ab dem Wochenende meine neue Wohnung, das reicht an Veränderungen in meinem Leben. Außerdem habe ich viel zu tun.“
Plötzlich fiel ihr wieder ein, was sie Reiner versprochen hatte: mit Karla zu reden, um das Thema Johannes abzuschließen.
„Du hast recht. Juliano gefällt mir und ich ihm wahrscheinlich auch. Es ist nur …“
„Johannes? Das Thema liegt dir im Magen, oder? Ich kann dich sehr gut verstehen. Jeden Morgen sage ich mir: Du hast alles falsch gemacht. Aber dann wische ich den Gedanken schnell weg. Ich habe einen Fehler gemacht und nicht für meine Liebe gekämpft. Das habe ich teuer bezahlt. Im Nachhinein weiß ich, dass mein Leben anders verlaufen wäre ohne Henner und mit Jonas an meiner Seite, doch das kann ich nicht mehr ändern. Ich habe zwei tolle Kinder, gute Freunde und es geht mir gut. Das Gericht wird Henner für immer wegsperren und die Scheidung ist eingereicht. Ich schaue nach vorne. Das solltest du auch, damit du dich wieder auf eine neue Liebe einlassen kannst. Und wenn Juliano unschuldig ist, darfst du dich gern in ihn verlieben.“
„Ich hoffe es. Und danke für deine Worte. Ich werde versuchen, mein Leben hier neu zu ordnen.“
Weil Reiner die Vorstrafen von Andreas Öckertz im Sinn hatte, plante er eine Befragung auf die unangenehme Art. Jennifer war ihm in das Büro der Dachdeckerfirma gefolgt. Sie waren sehr früh aufgestanden, damit die Arbeiter nicht schon auf den Baustellen verschwunden waren. Andreas Öckertz sprach gerade mit dem Chef über den Tagesplan.
Reiner hielt seinen Dienstausweis hoch und fragte laut: „Guten Morgen, Herr Öckertz? Haben Sie einen Moment für uns?“
„Oh nein, was soll das denn? Sie tauchen hier auf meiner Arbeitsstelle auf und verhören mich?“
„Erstens ist es nötig und zweitens habe ich doch noch gar nichts gesagt. Außerdem ist das hier erstmal nur eine Befragung. Wenn es ein Verhör werden sollte, lasse ich Sie auf die Dienststelle bringen. Wo können wir reden?“
Der Chef hatte zwischen den dreien hin und her geschaut, winkte jetzt ab und bot ihnen sein Büro an. Er würde ins Lager gehen und so hätten sie Ruhe.
„Mann!“, fuhr Andreas gereizt fort. „Sie wollen mir wohl mein Leben versauen? Um was geht es denn?“
„Wo waren Sie Donnerstagabend?“
„Wissen Sie, wie lange das her ist?“
Der muskulöse, braungebrannte Mann Mitte dreißig, dessen blonde Haare zu einem Zopf gebunden waren, war wütend und ließ das die Kommissare deutlich spüren. Jennifer ahnte, dass er nur so laut wurde, um sich als knallharter Kerl zu zeigen. Aber wer so laut bellte, hatte wahrscheinlich niemanden gebissen.
„Herr Öckertz, Sie sehen, mein Kollege ist sehr ungehalten, denn wir hatten noch kein Frühstück. Es wäre besser, wenn Sie unsere Fragen nicht mit Gegenfragen beantworten würden, sondern klare Angaben machen. Also, wo waren Sie am Donnerstagabend?“
Der Mann sah plötzlich ganz brav aus, wie ein blonder Engel, und lächelte Jennifer an.
„Frau Kommissarin, es tut mir leid, aber da muss ich erst nachdenken. Ich wollte nicht so aufgebracht sein. Tut mir auch leid. Hm, am Donnerstag war ich zuhause. Meistens bin ich am Wochenende unterwegs, denn als Dachdecker muss ich früh raus. Ich habe sicher Fernsehen geguckt und habe dann geschlafen. Freitag war ich feiern. Worum geht es denn eigentlich?“
„Natalie Bresionner. Kennen Sie die junge Frau?“
Andreas lächelte wieder charmant und hatte wohl vollkommen ausgeblendet, dass Reiner auch mit im Raum war.
„Ach, Sie meinen die kleine Französin? Das Mädel ist nett und hübsch, aber viel zu jung für mich. Leider. Ich stehe da mehr auf erwachsene Frauen wie Sie eine sind. Solch eine hübsche Kommissarin habe ich aber auch noch nicht gesehen.
Jetzt reichte es Reiner und er bollerte: „Quatschen Sie meine Kollegin nicht voll, sondern sagen Sie mir lieber, ob es Zeugen für Ihre Angaben gibt!“
„Natürlich nicht. Ich bin ledig und damit kann ich mich mit so vielen Damen unterhalten, wie ich will.“
„Wann sind Sie nach Hause gekommen?“
„So gegen sieben.“
„Wann sind Sie ins Bett gegangen?“
„Keine Ahnung. Vielleicht halb elf.“
„Haben Sie einen Anruf bekommen oder Besuch?“
„Nein, ich kann Ihnen kein Alibi liefern, wofür auch immer.“
Jennifer fragte dazwischen: „Sie wissen es also noch nicht?“
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