Plötzlich hatte er eine Idee und griff zum Telefon.
„Hallo Undine. Ich wollte mal deine Stimme hören.“
Es wurde gesprochen und Jennifer, die zugehört hatte, konnte sich Undines spöttischen Tonfall ausmalen.
„Ja, du hast wie immer recht. Ich habe Hintergedanken. Ich bräuchte deine detektivischen Fähigkeiten. Kannst du etwas über einen Andreas Öckertz in Erfahrung bringen?“
Reiner hörte zu.
„Ja, der bei Bea im Haus wohnt. Es könnte sein, dass er mit unserem Fall zu tun hat.“
Jetzt lachte er.
„Ich weiß, dass ich dir gesagt hatte, du sollst dich aus allem heraushalten, aber kannst du mal freundlichst eine Ausnahme machen?“
Dann wurde er wieder ernst.
„Danke, bis später. Ich vermisse dich.“
Den letzten Satz hatte er nur geflüstert, aber als er hochsah, grinste ihn Jennifer amüsiert an.
„Na und?“, knurrte er aggressiv.
„Ich habe ja gar nichts gesagt.“
Reiner kniff die Augen zusammen, aber dann lachte er. Er wusste, dass diese Undine einige ungewöhnliche Dinge mit ihm angestellt hatte. Früher hätte er sich gewehrt, aber heute war ihm herzlich egal, was andere Menschen dachten.
Ihr Weg führte sie nun nach Wiesbaden in ein riesiges Bürogebäude, denn sie wollten heute unbedingt noch mit Marita Mecken reden. Jennifer hatte vorher angerufen, denn sie wollten auf keinen Fall umsonst nach Wiesbaden fahren.
Unterwegs aßen sie in der Wambacher Mühle zu Mittag und Reiner hätte am liebsten einen verspäteten Mittagsschlaf gemacht. Mit vollen Magen in der Wärme im Auto zu sitzen war nicht gemütlich.
Im Wiesbaden angekommen wurden sie in einen klimatisierten Konferenzraum geführt und einen Moment später kam eine junge Frau mit einem Tablett hinein. Sie lud Gläser und Wasserflaschen auf dem Tisch ab und stellte sich als Marita Mecken vor.
„Mein Chef weiß Bescheid und darum können wir hier reden. Ich könnte schon wieder heulen. Meine arme Natalie. Wer tut so etwas?“
„Frau Mecken“, begann Jennifer, „wann haben Sie Natalie zuletzt gesehen?“
„Ich denke, es war Dienstag. Ja, ich bin mir sicher. Wir waren Eis essen, weil ich am Nachmittag zuhause war. Linda musste arbeiten, Frederick hatte auch zu tun, sonst wären sie mitgekommen.“
„Wie schätzen Sie die Beziehung zwischen Natalie und Frederick ein?“
„Wenn Sie jetzt denken, dass Freddi ihr etwas angetan hat, dann muss ich Sie enttäuschen. Er ist der netteste Mensch, den man sich vorstellen kann, dazu klug und höflich. Sie haben …“
Jetzt liefen Marita, die sich zusammenreißen wollte, doch die Tränen herunter. Ihre Schultern zuckten und Jennifer legte eine Hand auf den Arm der jungen Frau.
„Es tut uns sehr leid, aber wir geben alles, um den Mörder zu finden. Wenn es Freddi nicht war, wer könnte denn ein Motiv haben, Natalie zu töten?“
„Niemand! Kein Mensch hat einen Grund einen anderen zu töten. Das ist so krank! Vielleicht …“
Sie stockte.
Reiner hakte nach und bekam genau die Antwort, die er erwartet hatte.
„Es war womöglich dieser perverse Andy. Andreas Öckertz. Der ist so widerlich und stellt jungen Frauen nach, dabei ist der uralt. Wir … wir haben ihn …“
„Ich weiß, Sie haben ihn verarscht, das hat uns Linda schon erzählt. Warum sollte er sich rächen wollen?“
„Der ist anzüglich, wenn er den Mund aufmacht. Ich glaube, er hätte uns alle drei … na, Sie wissen schon. Mir war von Anfang an unwohl bei der Idee, ihn auszunehmen.“
„Ich verstehe, hatte Natalie Angst vor ihm?“
Marita schüttelte den Kopf.
Reiner fuhr fort: „Und wie war das mit ihrem Italienisch-Lehrer?“
„Juliano? Sie hat nur die Sprache gelernt. Schließlich war sie mit Frederick zusammen. Obwohl, der ist schon ein toller Mann. Aber auch viel zu alt. Denken Sie, die hatten was miteinander?“
Marita hatte große Augen bekommen und man sah, dass es in ihrem Kopf ratterte. Jennifer wurde unbehaglich bei dem Gedanken, dass ihre nette neue Bekanntschaft womöglich ein falsches Spiel spielte.
Aber würde das nicht auch heißen, dass Natalie nicht die super Person gewesen war, die man ihnen beschrieben hatte?
„Ich habe ein bisschen herumgefragt, mein Lieber“, sagte Undine am Abend.
Reiner war nach Feierabend sofort zu Undine gefahren, denn einerseits wollte er keine Sekunde mit ihr verlieren, andererseits wollte er wissen, was sie über Andreas Öckertz berichten konnte. Er war sicher, dass Undine etwas Interessantes herausgefunden hatte.
Der Kommissar war zu Undine auf die Bank gesunken, hatte gestöhnt und seinen Kopf auf ihre Schulter gelegt.
„Was für ein Tag.“
„Erzähl! Du hast jetzt jemanden, der dir zuhört und Kaffee kocht.“
„Dann koch mir bitte einen Kaffee. Aber ich denke, du willst mir etwas erzählen.
Undine ging ins Haus und kam einen Moment später mit einer vollen Kaffeetasse heraus, die sie auf einem Tablett balancierte. Neben der Tasse standen eine Schale mit Plätzchen und ein Teller mit Obst.
„Du bist so gut zu mir“, sagte Reiner und küsste Undine auf die Wange.
Sie setzte sich wieder zu ihm, er trank Kaffee und sie begann mit ihrem Bericht.
„Ich habe meine Freundin Bea besucht und sie nach ihrem Nachbarn befragt. Er war eigentlich immer ein hilfsbereiter Mann, wenn mal etwas Schweres zu tragen war, aber Bea ist nicht sehr glücklich über seine nächtlichen Aktivitäten. Außerdem ist er meistens mürrisch und unhöflich. Sie hat ihn mal gebeten, den Müll sorgfältiger zu trennen. Das hat ihm anscheinend nicht gefallen, denn am nächsten Morgen lag der Müll auf ihrer Terrasse verstreut. Sie hat ihn darauf angesprochen, doch er hat alles abgestritten. Seitdem ist die Stimmung ein wenig eisig.“
„Welche nächtlichen Aktivitäten?“
„Damenbesuche.“
„Er ist doch ledig, oder?“
„Ja, das schon, aber Bea berichtete von wechselnden Bekanntschaften. Sie mag es halt nicht, dass ständig Fremde im Haus sind.“
„Was sind das für Damen?“
„Eigentlich nur sehr junge Damen. Viel zu jung.“
„Minderjährige?“
„Das kann man heutzutage gar nicht mehr einschätzen. Die Dreizehnjährigen putzen sich doch oft schon so raus, dass sie aussehen wie zwanzig. Erst wollen sie älter aussehen und wenn sie dann mal erwachsen sind, versuchen sie wieder jünger zu wirken. Also, Andreas Öckertz scheint eine Vorliebe für junge Mädchen zu haben.“
„Ich frage mich immer, warum Eltern so jungen Dingern erlauben, mit irgendwelchen Kerlen mitzugehen. Und dann sind sie halbnackt unterwegs. Da kommen Männer schon mal auf dumme Gedanken.“
„Du liegst völlig falsch! Wir Frauen müssen uns doch wohl nicht in Sack und Asche hüllen, nur damit sich niemand an uns vergreift. Und wenn ich nackt rumlaufe, das ist noch lange keine Aufforderung zum Anfassen oder mehr. Es ist zwar geschmacklos und eine Zumutung für die Mitmenschen, aber theoretisch ist es meine Sache und keine Entschuldigung für übergriffige Männer.“
„Ich habe gerade böses Kopfkino, wie du nackt durch Nastätten läufst. Was nicht heißen soll, dass du es dir nicht leisten könntest.“
„Da hast du aber gerade nochmal die Kurve gekriegt, mein Lieber. Aber ich meine es durchaus ernst. Nur weil die jungen Frauen heute zeigen, wie gut sie aussehen und auch mal ein bisschen Haut zur Schau stellen, ist das kein JA zum Sex.“
„Sei nicht sauer, ich verstehe doch, was du meinst. Ich frage mich nur manchmal, ob die Eltern heutzutage nichts mehr zur Kleidung ihrer Kinder sagen. Beziehungsweise ob sie überhaupt noch in der Lage sind, ihre Kinder zu erziehen. Also meine Tochter würde nicht mit einem alten Sack mitgehen.“
„Du hast aber keine Tochter und somit auch nicht das Recht, alle Eltern über einen Kamm zu scheren.“
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