von
Rüdiger Klein
ISBN 978-3-7375-0782-0
Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de
Copyright: ©2014 Rüdiger Klein, mail@sopholog.net
„Wenn Katzen kotzen, kotzen Katzen Katzenkotze. Töricht, Friedemann, wer anderes erwartet.“
Glauben Sie mir, Maman wusste Bescheid.
Ich bin nicht schön.
Ich bin nicht klug.
Aber, ich will mich nicht beschweren.
Ich bin reich.
So richtig scheißenreich, mit allem, was dazugehört.
Irgendeiner meiner Vorfahren hat so viel Wasauchimmer besessen, dass die ehrenwerte Familie Nedellamm-Moenten, deren bislang letzter Spross ich bin, noch Generationen ausschließlich damit wird verbringen können, herauszufinden, wie ein von materiellen Sorgen freier Mensch die Krone der Schöpfung würdig repräsentiert.
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Meine liebe Maman scheint spätestens auf dem Sterbebett von der Gewissheit beseelt gewesen zu sein, dass ihr einziges Kind auf diese Frage keine angemessene Antwort findet.
Dass mit dem Aussterben der Familie Nedellamm-Moenten ein Zacken aus der Schöpfung Krone fiele, war jedoch für Maman ausgemachte Sache. Ihr letzter Wille war daher, ich möge fruchtbar sein und mich vermehren. Wenigstens in dieser Hinsicht, so wünschte sie mit fast schon gebrochenem, aber immer noch strengem Blick, solle ich sie nicht enttäuschen: „Friedemann, mein Junge, Du musst nur die richtige Frau finden. Den Rest überlass ihr. Dann wird alles gut.“
„Gewiss, Maman, sobald ich so weit bin.“
„Du bist fünfunddreißig, mein Junge.“
„Eben.“
Maman seufzte und starb.
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Sie müssen wissen, ich habe Maman sehr geliebt und ihre Urteilskraft als nahezu unfehlbar geschätzt. Doch ihr letzter Wunsch gründete vielleicht mehr auf Verzweiflung denn auf Hellsichtigkeit. War doch mein Vater, obschon er fraglos die Richtige gefunden und dieser dann alles andere überlassen hatte, in die Gruft gefahren, ohne dass alles gut geworden war.
Maman sagte, ich sei ihm sehr ähnlich.
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Alt wurde Papa leider nicht. Meine Erinnerungen an ihn sind vage. Ich entsinne mich vor allem seiner schattenspendenden Ohren.
Sein Glück wie auch sein Ende verdankte er dem Umstand, nicht schwimmen zu können. Papa soll ein leidenschaftlicher Fliegenfischer gewesen sein. Überhaupt war alles an Leidenschaft, das in ihm steckte, dem Fliegenfischen geschuldet. Jeder, der auch nur eine vage Vorstellung von dieser Extremsportart hat, mag ermessen, welchen Grad ekstatischer Verzückung das kontemplative Ruteinswasserhalten zulässt.
Jedenfalls stand Papa eines frühen Morgens mit seinem Gummistrampler hüfthoch in dem an seinem französischen Wasserschlösschen vorbeilaufenden Flüsschen und schaute in stiller Erregung auf die Spitze seiner Angelrute, als Maman, damals Küchenhilfe im Schloss, ihn davon in Kenntnis setzen wollte, dass das Frühstück angerichtet sei. Von Papa unbemerkt war sie hinter ihm ans Ufer getreten und rief: „Monsieur, le petit dejeuner c‘est prèparè!“
Erschrocken drehte er sich um, verlor das Gleichgewicht und schickte sich an, zu ertrinken. Maman, schon damals überaus besonnen, widerstand dem Impuls, sofort ins Wasser zu springen und ihn zu retten. In aller Ruhe entledigte sie sich ihrer Kleider, wartete bis Papa hinreichend frisches Flusswasser in den Lungen hatte und Anstalten machte, ohnmächtig flussabwärts zu treiben. Dann sprang sie beherzt hinzu, zog ihn an Land, sprang noch einmal zurück, um auch seine Angel zu retten und entledigte Papa aller meine Zeugung hemmenden Kleidungsstücke. Lehrbuchmäßig holte sie ihn sodann mit vollem Körpereinsatz zurück ins Leben. Dafür war er ihr durchaus dankbar. Als aber Papa sah, dass Maman auch seine Lieblingsrute gerettet hatte, kannte seine Dankbarkeit keine Grenzen. Dieses eine Mal begeisterte er sich für etwas anders als Fliegenfischen. Maman verstand es, ihn davon zu überzeugen, die Frau zu heiraten, welche der Frucht dieser Begeisterung das Leben schenken würde.
Für Papa fiel mit dieser Heirat eine große Last von seinen Schultern. Mein Zeugungsakt war das Produktivste, was ihm je gelungen war. Er war zufrieden damit, Maman alles weitere zu überlassen.
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Später, als ich in dem nun mir gehörenden Wasserschlösschen – ich komme später darauf zurück – einen einsamen Sommer verbrachte, fand ich im Osttürmchen eine seltsame Hinterlassenschaft von Papa. Ich war, wie so oft in diesen mußevollen Wochen, den ganzen Tag durchs Schloss gebummelt und irgendwann in Papas Allerheiligstes gelangt. Das Dachzimmerchen des Osttürmchens dieses Schlösschens, des Château Boi de Forêt, war Papas Angelzimmer gewesen. Hierhin hatte er sich gerne zurückgezogen. Hier hatte er die von Maman gehassten Zigarren geraucht. Hier hatte ihm frühmorgens das erste Anglerlicht ins Fenster geleuchtet. Hier bewahrte er seine Angelruten, seine Fliegen, kurz – seine Schätze auf.
Als ich nun so gedankenlos in den Fliegenboxen stöberte, zwischen den Trockenfliegen, Nymphen und Tubenfliegen, stieß ich auf ein ledernes Etui, dessen angelspezifischer Zweck sich mir nicht erschloss. Neugierig öffnete ich den schon brüchigen Umschlag und fand darin einen vergilbten Zettel mit den kaum noch sichtbaren Resten eines Kussmundes, eine schwarze Locke und ein farbverschossenes kleines Lichtbild, das eine junge Frau zeigte, die nicht meine Mutter war.
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Ach ja, aus unerklärlichen Gründen scheint Papa einige Jahre nach meiner Geburt an genau der Stelle, an der Maman ihn gerettet hatte, wiederum aus dem Gleichgewicht gekommen zu sein. Jedenfalls wurde er dieses Mal nicht reanimiert. Wie das Leben so spielt.
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Aber ich hatte ja Maman. Sie liebte mich so wohlwollend, wie eine Mutter ihren großohrigen Sohn lieben kann.
Ihre Liebe zu mir hatte einen, wie soll ich sagen, dynastisch-protektiven Charakter. Ich erinnere mich insbesondere an Situationen, in denen es um sportlichen Wettstreit ging. Maman dachte damals noch, dass die anderen Jungen einfach besser waren als ich. Mir war schon damals klar, dass in Wahrheit ich schlechter war als die anderen Jungen. Jedenfalls hat sich Maman damals noch rührend darum bemüht, sportliche Leistungsvergleiche zu meinen Gunsten etwas komplexer zu gestalten. Ein in Mamans Augen zu Unrecht guter Skiläufer wurde somit bisweilen nicht nur von einem anspruchsvollen Parcours, sondern außerdem von seiner defekten Skibindung gefordert. Maman war sich nie zu schade, für den Erfolg ihres einzigen Kindes persönlich in aller Herrgottsfrühe aufzustehen, um Sauerstoff aus Tauchflaschen abzulassen oder Fallschirmseile zu verknoten. Traditionelle Werte wie die Familie waren Maman immer heilig.
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Ihnen wird bekannt sein, dass einer der unschätzbaren Vorteile unermesslichen Reichtums ist, dass man so viele Freunde haben kann. Mehr als man braucht.
Maman lehrte mich früh, dass die richtigen Freunde nicht unter den Bedürftigen zu finden sind: Entweder sie haben es nur auf mein Geld abgesehen oder sie sind von der Knatter so verunsichert, dass man mit ihnen nichts anfangen kann. Also umgebe ich mich mit Menschen, deren Sozialisierung der meinen nicht unähnlich ist. Die Gruppe dieser Zeitgenossen ist recht überschaubar. Dennoch ist die Bandbreite enorm.
Ich, Hernandez, Olivier, Traugott
Hernandez beispielsweise ist legitimer Erbe eines höchst illegitimen Drogenbarons aus Cuernavaca. Er wuchs in schweizerischen und englischen Bildungsanstalten auf und hat seinen Vater nicht öfter gesehen als ich:
Ich lernte den alten Herrn letztes Jahr kennen, als er hübsch geschminkt in einer glänzenden Mahagonikiste lag.
„Peaceman, Alter, bitte komm mit. Ich weiß nicht, wie ich es unter diesen Barbaren allein aushalten soll."
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