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Damit komme ich zum Vierten unseres Freundeskreises: Traugott.
Der leptosome Hannoveraner, dreihundertvierundsiebzigster in der englischen Thronfolge, entstammt einem verarmten Adelsgeschlecht. Seine Eltern konnten ihm nichts anderes geben, als den Titel und bemerkenswerte Erbanlagen. Nicht nur, dass sein Kopf zweimal so groß ist, wie sein Hintern. Es geht dort auch doppelt so viel vor – was, von mir zu behaupten, ich nur nach Einnahme einer Überdosis Aktivkohle-Compretten wagen würde.
Traugott, glänzender Schüler, begnadeter Student, weltberühmter Anglophilist, traf an dem Tag, da er die Doktorwürde empfing, seine Lebensentscheidung:
Er würde, sich seines Standes bewusst und würdig, keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Nicht, dass seinerzeit der Arbeitsmarkt nach Spezialisten für die kulturgeschichtliche Bedeutung postptolemäischer Töpferwaren im Tigris Delta gelechzt hätte.
Der Umstand, dass Traugott einerseits nicht bereit ist, sich seine Erwartungen an das Leben abkaufen zu lassen, andererseits den Rückgriff auf staatliche oder private Almosen als eines arbeitsfähigen Menschen unwürdig ablehnt, machte seine Lage sehr bald sehr schwierig.
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Zur Zeit des Unfalls lag das Rigorosum etwa eine Woche hinter ihm, und er musste schon ziemlich entkräftet gewesen sein, als er mir vors Auto lief. Ich hatte etwas getrunken und war nicht in der Stimmung, mich mit irgendwelchen Staatsbediensteten über die Details meiner Getränkefolge auszutauschen – zumal das Opfer meines Leichtsinns, wenn auch willenlos stöhnend, ganz reparabel schien. Da er im Gegensatz zu mir auch sehr angenehm roch, bugsierte ich ihn in den Wagen und ließ ihn auf dem Hotelzimmer von meinem Hamburger Vertrauensarzt versorgen.
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Maman hat mir eine Liste vertrauenswürdiger Helfer für alle von mir bevorzugt frequentierten Städte anlegen lassen. Ärzte, Anwälte und Gastromomen. Maman sagte: „Genauso wenig gehst Du mir ohne die Liste aus dem Haus, wie ich Dich als Baby ohne Windel auf den Schoß genommen habe.“
Was soll ich sagen – ob Sie mich in eine Stadt schickten, die auf der Liste nicht verzeichnet ist, oder mich über dem Dschungel von Borneo aus dem Flugzeug würfen: Ich wäre gleichermaßen beunruhigt.
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Mein Vertrauensarzt bestätigte, was mich sehr erleichterte, dass der etwas desolate Zustand meines unfreiwilligen Gastes weniger auf die Begegnung mit meinem Automobil zurückzuführen war als auf akute Kreislaufschwäche: Folge einer allzu asketischen Woche.
Nach einigen Stunden am Tropf nahm der Mann in gelassener Stimmung die Genesungswünsche des sich verabschiedenden Arztes entgegen und begann, sich vorsichtig über die Ausstattung seines Krankenzimmers zu wundern. Mich schien der arme Kerl zunächst für einen Krankenpfleger in Zivil zu halten.
Als klar wurde, dass er nicht die geringste Erinnerung daran hatte, was ihm widerfahren war, beließ ich es dabei, ihn wissen zu lassen, er habe mitten in Hamburg bewusstlos vor meinem Bentley gelegen.
Sehr gleich und sehr gerne erkannte er die Noblesse meines Handelns. Von Edelmann zu edlem Mann stellte er sich vor und schilderte ohne Umschweife seinen Lebensweg. Dies endend gelobte er, mir, seinem Retter, bis auf weiteres sein Leben zu weihen. So in der Art. Ich möge frei über ihn verfügen. Nachdem ich sicher war, dem Angebot jedwede sexuelle Konnotation absprechen zu können, sagte ich leichthin: "Sehr schön, doch bitte ich Sie, nennen Sie mich Friedemann. Nur meine Mutter ruft mich so und dem Klang meines Namens wohnt ein so beruhigender Appell inne."
„Sehr gerne, Friedemann. Und so, wie Sie mich nennen, werde ich auf die höchste Macht bauen“, erwiderte Traugott.
Seitdem sind Traugott und ich quasi unzertrennlich. Was uns schnell verband, war, dass wir beide wussten, wessen Teddybär Aloysius hieß und dass uns die kuhäugige Göttin vertraut war. In besonderem Maße behagte mir bei Traugott das Primat der Ästhetik.
Nachdem Traugott mein nichtsnutziges Leben eine Weile mit angesehen hatte, fragte ich Ihn: „Sagen Sie, Traugott, verurteilen Sie mich, weil ich alles tue, was mir gefällt?“ Er entgegnete: „Wichtig ist, Sie tun nicht alles, was Ihnen g e f ä l l t, sondern alles, was I h n e n gefällt.“
Auch Hernandez und Olivier haben Traugott schnell kennen und schätzen gelernt.
Nicht, dass wir anderen nicht auch Lesen und Schreiben könnten. Aber wann immer Dinge nicht einfach durch Geld geregelt werden können, was selten vorkommt, dann schlägt Traugotts Stunde.
So nach Mamans Tod:
Ich musste eine Frau finden.
Die Frau.
Damit alles gut werde.
Hernandez, Olivier, Traugott und ich trafen uns zu einer ersten Lagebesprechung in Porto Cervo.
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Wissen Sie, unsereins ist irgendwie getrieben. Es ist ja nicht so, dass wir jahraus, jahrein auf irgendwelchen Schlössern oder in Megacity-Penthouses hocken und das Leben genießen. So ein Dasein ist unerträglich. Luxusyachten hält man noch weniger aus. Denken Sie zum Beispiel an Herrn Abramowitsch, der von seiner Yacht Eclipse dermaßen gelangweilt ist, dass er sich immer erst kurz bevor er einen Hafen anläuft, per Helikopter auf seine schwimmende Festung bringen lässt.
Wir sind eine Legion superreicher Zugvögel, die auf recht festgelegten Routen im Rhythmus der Jahreszeiten um die Welt ziehen: Cannes, Acapulco, Kitzbühel, Porto Cervo und so weiter – jeweils gefolgt von den neuesten Auslagen von Prada und Bulgari sowie einem Tross von Stylisten, Starköchen und Celebrities.
Da der weltweite sogenannte Wohlstand seit Dekaden beängstigend zunimmt, gibt es natürlich kaum noch Orte, die von, nun ja, Wohlstehenden verschont bleiben. Unsere Biotope schwinden. Ein paar Superschlaue hielten es für eine gute Idee, auf andere Orte auszuweichen: Dubai, Qingdao und so. Traugott hat uns klargemacht, dass solche Refugien zwangsläufig ephemer sind und dass solches Fluchtverhalten letztlich nur dazu führen würde, dass wir irgendwann in Hagen oder Albuquerque enden würden, um unter uns zu bleiben. Dann sei es doch besser, den wirklich schönen Orten treu zu bleiben. Zu denen gehört für uns vier halt Porto Cervo. Hernandez besitzt dort eine hübsche, in die Felsküste gesprengte Unterkunft.
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Wir waren ohnehin auf einer Abramowitsch-Yacht-Party vor Porto Cervo eingeladen und hatten ausgemacht, uns danach bei Hernandez einzuquartieren, um strategisch zu arbeiten.
Ich glaube nicht, dass Sie auch auf der Party waren, – sonst würden wir uns vielleicht kennen, nicht wahr? Also, für alle Fälle: Ich war der Herr im Smoking und der weinroten Fliege auf dem zweiten Achterdeck, der vielleicht ein wenig overdressed wirkte, inmitten all der Damen und Herren die quasi undressed waren. Bei den A-Y-P ist es gemeinhin so, dass natürlich nicht nur Leute eingeladen sind, die Abramowitsch persönlich kennt. Die Eclipse ist so unglaublich groß, dass sich eine Partygesellschaft von wenigen Hundert derart verloren fühlen würde, dass einfach keine Stimmung aufkäme. Mithin sorgt der Eventmanager von Abramowitsch dafür, dass immer etwa eintausend Gäste an Bord sind. Um eine Einladung zu bekommen, muss man entweder halbberühmt sein oder hübsch oder in der A-Y-P-L gewonnen haben. Diese Abramowitsch-Yacht-Party-Lotterie ist ein ebenso großartiger wie ekelerregender Einfall jenes Eventmanagers. Der Mann ging davon aus, dass der typische Neureiche einfach jeden Blödsinn mitmacht, um gesellschaftlich anerkannt zu werden. Er hatte Recht. Die bedauernswerten Deppen zahlen für ein Los schlanke einhunderttausend Dollars. Gewinnchance zehn zu eins. Wer gewinnt, bekommt eine Einladung mit originalem Unterschriftsfaksimile von Abramowitsch. Damit hat er dann ab 16 Uhr Zutritt auf einem der unteren drei Achterdecks. Dort steht er mit den Halbberühmten und Hübschen und ist hoffentlich glücklich. Natürlich ist er nicht glücklich, dort zu sein. Denn die Situation und die Gesellschaft, in die er geraten ist, behagen ihm gar nicht. Aber wahrscheinlich ist er glücklich darüber, dass er dort gewesen sein wird und jedem, der es nicht wissen will, von der sagenhaften A-Y-P vorschwärmen kann. Sinnvoller Weise wird er, da die sardischen Sommernachmittage heiß sind, leicht geschürzt auf einem der drei Achterdecks stehen. Deswegen wird er es auch nicht wirklich bedauern, keinen Zugang zu den klimatisierten Innenräumen zu haben, die dem Inner Circle, also den echten Gästen, vorbehalten sind. Er ahnt, dass er sich dort mindestens eine fiese Erkältung zuziehen würde, im Inner Circle.
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