„Was trägt man denn zu einer mexikanischen Beerdigung?"
„Dezente Faustfeuerwaffen."
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Hernandez und ich waren vom Flughafen Benito Juárez in Mexico City mit drei schwarzen Lincoln Navigator abgeholt worden. In jedem der drei Gefährte saßen drei wenig vertrauenserweckende, nach Hernandez‘ Versicherung aber durchaus vertrauenswürdige Gestalten, die wie klassische B-Movie-Komparsen wirkten. Hernandez und ich wurden in den mittleren der Wagen gesetzt. Aus dem Umstand, dass unsere Koffer, bevor diese im letzten SUV landeten, zunächst einmal durchsucht wurden, schloss ich, dass wir auf die Herrschaften wohl auch wenig vertrauenserweckend wirkten – nur dass sich niemand hinreichend für unsere Vertrauenswürdigkeit verbürgt hatte. Was man in unseren Koffern zu finden hoffte oder fürchtete, erschloss sich mir nicht ohne weiteres.
„Hernandez, sag, wurde unser Gepäck nicht vom Sicherheitspersonal des Flughafens gecheckt?“
„Klar, Peaceman, aber was soll das unseren Gastgebern bringen, wenn die Airport-Security auf der Payroll eines anderen Kartells steht?“
Die Fahrt, etwa fünfundachtzig Kilometer bis Cuernavaca, und danach weitere annähernd zwanzig Kilometer nach Norden ins Gebirge zur Bergfestung der Familie, war ebenso langweilig wie angespannt. Das düstere Schweigen unserer Begleiter erstickte unsere Redelust im Keim. Das Interessanteste, was es auf der Fahrt zu sehen gab, war der Staub, den das vor uns fahrende Fahrzeug aufwirbelte. Wir waren froh, als die Wagen im Atrium eines schwer befestigten Gebäudekomplexes hielten und wir von einem Subalternen in Empfang genommen wurden, der nicht wie ein Bösewicht aussah – und Englisch sprach:
„Willkommen auf der Wolfsschanze, mein Name ist Stanley. Ich hoffe, Sie hatten eine gute Reise. Darf ich Sie auf Ihre Zimmer bringen?“
„Guten Tag, Stanley! Danke der Nachfrage. Ich denke, wir würden uns in der Tat gerne etwas frisch machen, nicht wahr, Hernandez.“
„Klar Mann. Hi Stanley!“
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Über der Eingangstür prangte eine quadratische Platte aus schwarzem Granit. In jede der Ecken war ein großes Fragezeichen aus massivem Gold eingelassen. Jede Seite wies einen ebenfalls in Gold (und spanisch) gehaltenen Text auf – wahrscheinlich die zu den Fragezeichen gehörenden Fragen. In der Mitte der Platte zeigte sich eine große goldene Vier, daneben, auch in Gold, die Buchstaben CCP. Hernandez nahm mein Interesse wahr und ließ mich wissen: „Das ist das Wappen des CCP, cartel cuatro preguntas, das Kartell der vier Fragen. Hat sich Jesus Diablo ausgedacht, ein echter Philosoph. Den lernst Du noch kennen.“
In der Tat fand sich das Wappen überall im Haus, sogar auf der Bettwäsche. Eine omnipräsente Geschmacklosigkeit.
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Wie sich herausstellte, hatte Stanley einen MBA gemacht. Da er es jedoch versäumt hatte, seine Alma Mater aus der Reihe der Ivy-League-Hochschulen zu wählen, stand er bald vor der Wahl, entweder bei Walmart Einkaufstüten zu packen oder sein Glück als Gastarbeiter zu suchen. Ihm kam zugute, dass es in der mexikanischen Upper Class als dernier cri gilt, sich diplomierte US-Amerikaner als Haushaltshilfen zu halten. Dabei erhöht es den Chic noch ungemein, wenn der Domestik nicht über eine gültige Aufenthaltsgenehmigung für Mexiko verfügt.
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„Nun“, vertraute uns Stanley an, „ich schätze, ich werde das hier noch ein paar Jahre durchziehen, bis ich genug beiseite gelegt habe. Dann werde ich zuhause in Dubuque ein Café aufmachen und eine Familie gründen.“
Stanley hatte Hernandez und mich in zwei nebeneinanderliegende Räume in der Bel Etage einquartiert und war, da er spürte, dass wir uns von den sonst einkehrenden Gästen sehr unterschieden, schnell zutraulich geworden. Den eigentlichen Gastgeber, den Schwager von Hernandez‘ Vater, Jesus Diablo, hatten wir noch nicht zu Gesicht bekommen. Er sollte gegen Abend eintreffen. Bis dahin waren wir auf uns gestellt und ließen uns von Stanley unterhalten. Nachdem wir eine Weile gescherzt und gelacht hatten, trübte sich Stanley’s All American Frohsinn plötzlich ein.
„Warum schauen Sie so bekümmert, Stanley?“
„Na, ich hoffe, dass Ihr beide wieder heil nach Hause kommt. Ihr wisst schon, Hotel California, und so.“
„Hotel California?“ fragte ich blöde.
„Eagles“, meinte Hernandez lässig.
„Genau“, bestätigte Stanley.
„Würde mich mal bitte jemand aufklären! Ich kann mit Adlern in einem Westküstenhotel nichts anfangen.“
„Na ja“, begann Stanley zögerlich, „nicht alle, die hierhinkommen, gehen auch wieder.“
„Sie verlassen das Haus nicht mehr?“
„Das schon. Aber sie werden dann eher getragen oder geschleift. Ich meine, Ihr wisst schon, bei wem Ihr hier zu Gast seid, nicht wahr?“
„Aber, Mann, ich bin doch nur hier, um meinem alten Herrn das letzte Geleit zu geben. Dann bin ich wieder weg.“
„Es wäre vielleicht klug, das klarzustellen. Denn morgen Abend nach der Beerdigung wird die ganze – Familie – hier sein, um die Nachfolge Deines Vaters zu regeln. Das wird gewiss kein Plauderabend. Ich bekomme über die anderen Angestellten so einiges mit. Man betrachtet Euer Kommen mit durchaus gemischten Gefühlen. Also, nicht dass Ihr mich falsch versteht. Ich kann mich über nichts beklagen. Aber dies hier ist nicht der Verwaltungssitz einer Kinderhilfsorganisation.“
Ich war verblüfft über diese Einlassung und hakte nach: „Aber was, Stanley, hat Sie dazu bewogen, hier anzuheuern?“
Stanley antwortete etwas indigniert: „Es ist ja nicht so, als hätte ich mir wie ein Au-pair Mädchen meine Gastfamilie im Internet aussuchen können. Die Schleuser haben mich für fünfhundert Dollars über die Grenze nach Mexiko gebracht, mich in einem Container bis nach Morelos gekarrt und dann in einem Schuppen abgeladen. Nebenan standen ein paar Wellblechhütten, in denen das Assessment-Center war. Ich habe die Tests gemacht, wurde klassifiziert und musste einen Vertrag unterschreiben. Schließlich wurde ich von einem schweigsamen Fahrer hierhin gebracht zu Deinem Vater, der mir sagte, er sei nun mein Arbeitgeber. Meine Stellung war irgendwie die eines Kammerdieners. Da die Isotopieebene der von Deinem Vater geführten beruflichen Gespräche eher atavistisch geprägt war, nutzte er mich, wenn ihm intellektuell zumute war, zum Ausgleich gerne als Konversationskatalysator. Ich habe mich mit Deinem Vater trotz seiner Profession ganz gut verstanden. Naja, wie das jetzt weiter geht, weiß ich auch nicht. Einstweilen ist meine Stellenbeschreibung eher amorph. Aber ich stehe jedenfalls nicht auf der niedrigsten Stufe der mexikanischen Gesellschaft. Das soziale Umfeld ist zwar gewöhnungsbedürftig, aber als blauäugiger blonder Ami mit MBA bin ich hier als Slankee finanziell in der Premier League.“
„Slankee?“
„So nennen die Mexikaner ihre US-amerikanischen Haussklaven.“
Ich war tief beeindruckt.
Hernandez hatte mittlerweile begonnen, sich Sorgen zu machen.
„Hör mal, Stanley“, sagte er, „ich habe keine Ambitionen, in die Fußstapfen meines alten Herrn zu treten. Er hat einen fetten Trust für mich eingerichtet, der mehr abwirft als ich je brauchen werde. Das ist absolut kein Thema für mich. Hast Du denn irgendwelche Tipps für uns, wie wir hier heile wieder rauskommen?“
„Na ja, dann solltest Du den Seniores schnellstens klar machen, dass Du vom Kuchen nichts willst. Und im Übrigen solltet Ihr die Leute nicht irritieren. Ihr beide, zumal Dein Freund, Ihr wirkt schon exotisch genug. Da die Herrschaften ohnehin recht nervös sein dürften, wäre eine gute Assimilation hilfreich.“
„Gibt es da besondere Gebräuche, die wir kennen sollten?“
„Jedenfalls ist die Sache mit dem Nachtisch nicht zu unterschätzen.“
„Was meinst Du?“
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