Danie Novak - Sin.n.e
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Vielleicht bildest du dir irgendwann ein, dass es nicht richtig ist, was du tust und dass du nicht verdienst, was du erhältst. Wie auch immer du dich in derselben Situation entschieden hättest, dies ist die Geschichte von Cord, der es gewagt hat.
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SIN.N.E
Danie Novak
Text und Cover Copyright © 2017 Danie Novak
Alle in diesem Buch geschilderten Handlungen und Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen wären zufällig und nicht beabsichtigt.
Cord
1.
Die dunklen Flecken an der Decke waren gewachsen. Morgen würde er sich endlich dazu aufraffen müssen, dem ungewaschenen Arschloch von Stock vier die Leviten zu lesen.
Cord schälte sich aus seiner dünnen Bettdecke und setzte Kaffee auf. Bis die kleine, silberne Espressokanne das erwünschte Blubbern von sich geben würde, war Zeit genug die Zeitung von der Fußmatte aufzuklauben. Routine. Tür öffnen, bücken, Tür schließen. Im Stiegenhaus war es eiskalt. Irgendjemand hatte einmal mehr vergessen, über Nacht das riesige Fenster im Gang zu schließen. Cord überflog die erste Seite der offiziell unpolitischen Tagespresse und beförderte das Teil auf die Kommode im Vorzimmer. Er schlüpfte in ein frisches Paar schwarzblauer Jeans und zog sich das Hemd über, das er sich letzte Woche für genau diesen Tag besorgt hatte.
Das behagliche Glucksen der Kaffeekanne hatte sich längst in ein warnendes Brodeln und Fauchen verwandelt, als er in die Küche zurückkehrte, um in der Brotbox nach etwas Essbarem zu suchen. Fehlanzeige. Eine schimmeltreibende Toastscheibe und ein nicht weniger unappetitlicher Kornwecken waren alles, was der Inhalt der emaillierten Box zu bieten hatte. Warum hatte er Samstagnachmittag, nach der Extratrainingseinheit, nicht mehr daran gedacht, seine Vorräte aufzufüllen? Stattdessen war er schnurstracks auf seinen Privatparkplatz in der Tiefgarage zurückgekehrt und hatte sich die wenig einfallsreiche DVD eines Freundes reingezogen.
Die Uhr in der Küche zeigte achtzehn Minuten nach Acht. Zweiundvierzig Minuten und Cord würde dem Scharfrichters jener schwerprogressiven Firma mit dem eingängigen Namen »Deep Space« gegenübertreten. Würde in den verstaubten Winkeln seines ins Abseits geratenen Selbstbewusstseins nach Argumenten suchen, die ihn allein als den einzig wahren Kandidaten für die Position des Webdesigners auszeichneten. Auszeichneten. Cord hatte denkbar wenig Lust dazu, das Ganztagshakeln in der Firma des besten Freundes seines Onkels anzutreten. Es war Pflicht, keine Kür. Und hätte seine Freundin ihn nicht bekniet, seine Eltern ihn in ihre sanfte Mangel genommen und sein ältesten Kumpel so beiläufig mit den Schultern gezuckt, hätte die Welt ihn vielleicht an einer anderen Stelle verschluckt.
Doch noch einmal würde man ihm das nicht gestatten. Und das, obwohl es doch gerademal drei Monate gewesen waren. Drei Monate, in denen er durch das südliche Amerika getrampt war, eine Idee für eine eigene Firma geboren hatte und sie sogleich wieder verworfen hatte. Drei Monate, in denen er die Freiheit des freien Denkens erfahren hatte und süchtig geworden war. Monate, die wie ein einziger Wimpernschlag in sich zusammengefallen waren und sein Selbstwertgefühl in der Luft zerrissen zurückgelassen hatten.
Cord goss den schwarzen Kaffee in die angeschlagene Tasse und stürzte die bittere Flüssigkeit in einem einzigen Schluck hinunter. Noch ein kurzer Abstecher ins Bad, wo er gerade mal das Nötigste über sich ergehen lassen würde und er hatte es geschafft.
Cord warf einen kritischen Blick in den Spiegel und sah zu, wie die dunkelblonden Strähnen so beiläufig hinter den langweiligen Ohren landeten. Sein mittelmäßiges Gesicht starrte ihm teilnahmslos aus dem Jenseits entgegen, bis es sich auf einmal selbst zuzwinkerte und die graublauen Augen für einen Moment dem Rest der Visage die Show stahlen.
Laut klirrend zog Cord den Autoschlüssel über die Glasplatte des Vorzimmertisches und klemmte sich seine Jacke unter den Arm. Etwas in seiner linken Brusttasche gab einen dezenten Ton von sich, unterstützt von einem verstimmten Brummen.
Memo an dich selbst: Du hast nur noch knappe dreißig Minuten!! Ich hoffe, du bist schon auf dem Weg!!
Das war er nicht. Ungehalten steckte Cord das kantige Ding zurück in seine Brusttasche. Eine Brusttasche. Daran könnte er sich gewöhnen. Nicht jedoch an den Kragen, die kleinen Knöpfe und die Tatsache, dass er sich wie das letzte Stück Fleisch fühlte, das in einem Hemd dieser Art Platz finden sollte.
Zwei Stiegen auf einmal nehmend eilte Cord die Treppe hinab ins Untergeschoß und öffnete die schwere Eisentür zur Tiefgarage. Der eiskalte Geruch von Treibstoff und frischer Farbe bezog augenblicklich Stellung im Bereich seiner Nasenwurzel und automatisch tastete Cord nach dem rechteckigen Päckchen in seiner rechten Gesäßtasche.
Fehlanzeige, die zweite. Kurz hatte er verdrängt, dass sein Ich von gestern dem Ich von heute dieser, wie auch immer, schlechten Angewohnheit einen Riegel vorgeschoben hatte. Aus dem zäh tropfenden Sumpf seiner Erinnerungen tauchte die eine Szene, die zu dieser Restriktion geführt hatte, vor seinem geistigen Auge auf. Es war auf der letzten Familienfeier gewesen, als sein Onkel Herby ihn kurz zur Seite genommen und vor dem pedantischen Nichtrauchertum des Personalchefs gewarnt hatte. Diana hatte still neben ihm gestanden und immer wieder zustimmend mit dem Kopf genickt. Übelkeit und der Wunsch nach einer Zigarette in genau diesem Moment hatten sich wie ein grauer Schleier zwischen ihn und seinen Onkel gelegt. Selbst seine Freundin war zum Teil dahinter verschwunden. Aus keinem besonderen Grund erinnerte Cord sich nicht mehr an den Rest des Abends, aber irgendwann in den Tagen darauf war es dann passiert. Diana hatte ihn einen planlosen Phlegmatiker genannt und überstürzt seine Wohnung verlassen.
Cord öffnete die Tür zu seinem Wagen und schloss für eine Sekunde die Augen. Noch zwanzig Minuten. Er würde mindestens fünfundzwanzig brauchen. Um diese Tageszeit vielleicht mehr. Cord legte den Gang ein und trat etwas flott den Weg zur Auffahrt an. Ein grüner Fiat kam ihm aus dem Nichts entgegen und Cord stieg abrupt in die Bremsen. Na klar. Gerade heute musste die sonst so verlassene Tiefgarage aus dem Dornröschenschlaf erwachen. Seelenruhig hatte sich auch noch ein grauer BMW vor ihn gesetzt und tuckerte nun langsam die Ausfahrt empor. Oben angekommen hielt der Fahrer für eine geschlagene Minute am Gehsteigrand, bevor er das riesige Loch nutzte, das sich vor ihm im Straßenverkehr aufgetan hatte. Cord fluchte und dachte angestrengt über eine flottere Route nach. ‚Eventuell wenn er,...‘ Seine Hand ging auf dem abgegriffenen Leder seines Lenkrads nieder. Es hatte keinen Zweck hatte. Die direkte Route war nun mal auch die schnellste und er hatte denkbar wenig Spielraum für Experimente. Unermüdlich schob ihn die Viskosität des städtischen Verkehrs vor sich her durch dichtverbaute Flächen bis an sein Ziel.
Fünf Minuten nach neun fuhr Cord auf dem kleinen Firmenparkplatz ein und parkte seinen Wagen direkt beim Eingang über dem in zukunftsweisendem Design die dunkelblauen Lettern »Deep Space« prangten. Eilig lief er die wenigen Stufen in den ersten Stock hinauf und nahm vor der Tür des Personalchefs Platz.
Auf einem kleinen Tisch lagen ordentlich aneinandergereiht einige Computerfachzeitschriften. Schräg neben ihm hatte ein rothaariger Blickfang mit übereinandergeschlagenen Gazellenbeinen Platz genommen und saß in eines der Magazine versunken da. Cord warf einen Blick auf den Titel und blieb an den bordeauxfarbenen Fingernägeln seiner Konkurrentin hängen. Für einen Moment hatte er Mühe, seine Aufmerksamkeit irgendeiner anderen Sache, als ihrer markanten Person und den außerordentlichen Attributen, die sie dazu nominierten, zuzuwenden. Der Raum, der sie beide umgab, enthielt wenig dekorativen Inhalt. Die Wände der kleinen Nische im Gang waren in Weiß gehalten und nur ein einzelner, orangefarbener Farbstrich führte, unterbrochen von grauen Türstöcken, zu beiden Seiten in die Unendlichkeit. Die gummiartigen Blätter der Pflanze zwischen ihnen schimmerten wie aus einem Wohnhauskatalog in einheitlichem Dunkelgrün und wurden allem Anschein nach einwandfrei versorgt.
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