Anders als in Cords womöglich zukünftiger Firma stellte sich die Frage nach Raucher- oder Nichtrauchertum hier nicht. Hatte man ein Problem mit der dicken Luft, wurde man von dem brummigen Betreiber auf das pinklastige Szenetreff gegenüber verwiesen. Aktuellen Gesetzeseinfälle hin oder her.
Cords rechte Hand verschwand in seiner Jeanstasche, noch ehe sich das weiche Polstermaterial an seinen Hintern zu schmiegen begann. Auch der nächste Handgriff saß. Routine. Erneut. Diese allesvereinnahmende, überall lauernde Eintönigkeit.
„Darf ich mir eine schnorren.“
„Du schuldest mir noch mindestens zwei Packerl.“
„Cord..?“
„Sicher. Hier.“
Er reichte ihr eine und sie lächelte ihn dankbar an. Nicht schüchtern. Nicht frech. Ein aufrichtiges Lächeln ohne Geschmacksverstärker. Leila schlüpfte aus ihrer Sportjacke und setzte sich zu ihm.
„Habe Diana vorhin beim Shoppen getroffen. Läuft nicht so, mh?“
„Nicht wirklich.“
„Hast du ne neue?“
Cord konnte nur hoffen, dass sie Diana dieselbe Frage gestellt hatte.
„Nein.“
Leila nickte stumm.
„Einfach auseinandergelebt.“
Wie langweilig das klang. Wie alltäglich. Cord nahm einen tiefen Zug und drehte das eiskalte Bierglas zwischen den Fingern.
„Das wird schon wieder!“
Cord warf ihr einen ungläubigen Blick zu und sie zwinkerte ihn an.
„Sonst machst du’s einfach wie die Finnen.“
„Und was machen die Finnen so?“
„Naja, Sauna und dann raus ins Eisloch. Soll Wunder wirken gegen jede Art von Beziehungsengpass.“
Cord bezweifelte das stark und hielt sich lieber an Lateinamerika. Tanzen, Trinken und ab und zu an ortsansässigen Substanzen kauen.
„Leila?! Dori hat sich gerade gefragt...“
Leila war abgetaucht. Wie ein Delfin war sie den Rufen auf der anderen Seite des Tisches gefolgt und in die Wogen des neuen Gesprächs eingetaucht. Cord lehnte sich zurück und sah zu Leo hinüber.
„Wie war’s heute? Irgendwelche Chancen?“
„Vielleicht, wenn’s nach den Insiderkanälen meines Onkels geht.“
„Tatsache? Nicht schlecht! Wieviel würde da denn so rausspringen?“
„Anfangs an die zweitausend Netto.“
„Zweittausend haben oder nichthaben!“
Cord musste ihm Recht geben. Er konnte das Geld gut gebrauchen. Die Ersparnisse in seinem Geldbunker zierten, wenn überhaupt, nur noch den spiegelglatten Metallboden und funkelten ihm verächtlich entgegen.
Dennoch. Etwas fehlte. Etwas Großes. Etwas Farbiges. Etwas Unfassbares.
Cord schlief schlecht in dieser Nacht. Im Schlaf wand er sich durch einen Strudel aus durchwachsenen Träumen, vorbei an starren, unbekannten Gesichtern und fremden Orten. Sein Kopf war zum Bersten gefüllt mit mehr als einem Informationsstrang, den sein Körper in die Ewigkeit zu verbannen versucht hatte.
Der Rasierer kratzte und malte ihm blutige Sterne ins Gesicht. Im Badezimmerspiegel folgte er den Bewegungen seiner Hand, die hoffnungslos versuchte, dem Jammerspiel ein Ende zu bereiten. Als er fertig war, sah Cord nach der etwa fünf Zentimeter großen Brandblase, die er sich tags zuvor auf dem Handrücken zugezogen hatte. Aber sie war verschwunden. Seine Hände waren makellos, nur ein winziger Kratzer, als er in seinem Kasten nach einer Hose gekramt hatte und dabei an eine hervorstehende Schraube geschrammt war. Keine unschöne Rötung, die dünnwandige Blasen geschlagen hatte.
Cord suchte in seiner Erinnerung nach einer Erklärung. Er hatte die Szene vor sich. Wie er ohne Handschuhe das Backrohr geöffnet hatte, den Nudelauflauf mit einer Gabel getestet und dabei zu nah an die heiße Kante des Backrohrs geraten war. Nudelauflauf? Gestern Abend hatte er mit Sicherheit nichts Derartiges mehr zustande gebracht. Er hatte um Punkt 23 Uhr die Tür zu seiner Wohnung aufgeschlossen und im selben Moment auf das Display seines Handys gesehen. Ein Anruf in Abwesenheit.
Verwirrt blickte er sich in der Küche um. Der Anruf! Natürlich hatte er sein Versprechen, Diana nach dem Training zurückzurufen, nicht eingehalten. Zweifelsohne würde sie stocksauer sein. Cord suchte nach seinem Telefon, das sich im Badezimmer auf der weichen Duschmatte unter seiner Hose aalte.
Ein Anruf. Eine Nachricht.
Der Anruf war wie erwartet von Diana gekommen. Er öffnete die Nachricht. Die Nummer direkt darüber war ihm unbekannt.
„Findest du das lustig? Wer bist du?“
Sonst nichts. Cord starrte auf die wenigen Buchstaben der kurzen Nachricht. Die Versuchung, darauf zu antworten, war groß. Doch noch größer war die Leere in seinem Hirn, was den diesbezüglichen Text anbelangte. Cord tat das erste, das ihm in den Sinn kam. Er tippte die Nummer in ein Onlinetelefonbuch und klickte die stilisierte Lupe rechts davon an.
»Ihre Suche lieferte 0Ergebnisse.«
War ja klar.
In diesem Augenblick läutete Cords Telefon erneut. Geistesabwesend hob er ab.
„Ja?“
„Guten Morgen Cord.“
Ihre Stimme klang wie das Packeis, das sich an die Eisbrecher Sibiriens heftete.
„Diana! Es tut mir leid...“
„Spar’s dir. Ich rufe nur an, weil ich von Schlussmache per SMS noch viel weniger halte...“ Im Grunde hielt sie nicht viel vom SMS-Schreiben im Allgemeinen. „...also, so wie ich das sehe, sind wir Geschichte.“
Cord atmete möglichst unauffällig aus und stierte zu der Kaffeekanne, die immer noch ungewaschen auf dem Herd auf ihren neuerlichen Einsatz wartete. Er war sich ziemlich sicher, dass er sie ausgewaschen hatte.
„Wow, mehr kommt da nicht?!“
Cord riss sich zusammen und dachte angestrengt über eine Antwort nach.
„Wie gesagt, Diana, es tut mir leid. Vielleicht sollte es einfach nicht sein.“
Ein Klicken und die Leitung war tot.
Cord warf das Handy auf sein Bett, schlüpfte in T-Shirt und Hose und reinigte die Kaffeekanne ein weiteres Mal. Dabei verfing sich sein Blick an seinen Fingernägeln. Seine Fingernägel waren dunkelblau gewesen. Er wusste das so genau, weil ihn etwas an dem Bild an einen Schwarzindianer der Metal-Szene erinnert hatte oder auch an einen dieser, aus der Mode gekommenen Emotionalen. Cord betrachtete seine Nägel. Keine Spur von Nagellack, egal welcher Farbe.
Auf dem Tisch lagen die Bewerbungsunterlagen von gestern. Er fischte sich einen Stift aus der Küchenschublade und notierte die Worte «Brandwunde, Nagellack und Nudelauflauf» darauf.
Das Telefon meldete sich erneut. Es war Magister Gunther, der Personalchef von gestern.
»Eine gewisse Frau Scarlett Wyss und er werden gebeten, sich morgen um zehn in der Firma einzufinden. Der Firmenchef und sein Adjutant möchten sich gerne höchstpersönlich von ihren Fähigkeiten überzeugen.«
Scarlett. War das wirklich ihr Name? Sie hatte ihn jedenfalls zum Programm gemacht. Das weißlich glühende Actionmännchen wechselte in die rotleuchtende Hand einer Inderin. Cord schüttelte den Kopf. Was sollte das? Er hatte das Bild dieser Ampel schon einmal irgendwo gesehen Aber wo war das gewesen?
Diesmal zog er für seine Recherche die Suchmaschine auf seinem Laptop dazu heran. Don’t Walk. Walk. Cord betrachtete die unterschiedlichen Fotos US-amerikanischer Leuchtsymbole, die der Computer für ihn ausgespuckt hatte. Ein Sammelsurium aus bunten Verkehrsreglern und ebenso farbenfrohen Gehäusen. Er klickte eines der Bilder an, das exakt dasselbe zeigte, wie es ihm zuvor vor seinem inneren Auge erschienen war. New Jersey.
Cord kaute die Spitze des Kugelschreibers in seiner Hand. Er brauchte eine Zigarette. Und er brauchte endlich seinen Kaffee. Fahrig öffnete Cord den Kasten über der Spüle und griff nach der Metalldose, die er seit Wohnungsgedenken an dieser Stelle aufbewahrte. Es herrschte elende Leere. Verdammt! Auch das noch.
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