Trotzdem lief ihnen das Wasser im Munde zusammen und so probierten sie Honig, Brot, Wurst und Käse. Nebenbei schlossen sie ein vorteilhaftes Geschäft mit einem Fischhändler ab, der sein Glück nicht fassen konnte, qualitativ so hochwertigen Stockfisch zu bekommen. Er beschnüffelte die Ware wie ein Zollhund. »Wie viele Fässer davon habt ihr mitgebracht? Und sind sie ebenso von dieser Qualität?«, fragte er gierig.
»Genug Fässer, um uns alle reich zu machen«, grunzte Hackbart mit vollem Mund, der sofort das Feilschen übernahm. Beiläufig verdrückte er quasi im Vorbeigehen ein halbes Spanferkel. Dieser Handel nahm beinahe lebensbedrohliche Formen an, weil der Dicke mit der angebissenen Schweinshaxe herumfuchtelte. Verbissen wollte jeder für sich einen größtmöglichen Vorteil herausholen. Endlich wurden sie sich einig, spuckten in die Hände und schlugen ein. Gutgelaunt begleitete Hackbart seinen neuen Geschäftspartner und dessen Karren zum Langschiff.
Skryrmir unterhielt sich derweil noch ein wenig mit Milan, dem Sohn des Fischhändlers, der die Aufsicht über den Stand während seines Vaters Abwesenheit übernehmen musste. Als der Nordmann ein paar Leute johlen und klatschen hörte, wurde er neugierig. »Was geht da vor? Warum ist da so ein Aufruhr? Sind das da hinten etwa Vaganten?«, fragte er.
»Nein, die Hunnen. Das musst du einfach gesehen haben!«
»Hör mal. Wenn der dicke Riese zurückkommt, richte ihm aus, ich sei dort drüben beim Platz«, sagte er dem Jungen.
»Sage ich ihm. Du bist ja nicht zu übersehen, er wird dich schon finden!«, grinste Milan.
»Kommt drauf an, wann er zurückkommt. Womöglich nötigt er deinen Vater noch dazu, mit ihm eine ordentliche Menge Met zu trinken. Danke, Milan, war nett, dich kennenzulernen!«, drückte er ihm einen Bernstein in die Hand.
»Danke! Das Vergnügen liegt ganz auf meiner Seite, Nordmann!«, freute sich der Junge.
Mit einem prickelnden Gefühl der Neugierde, machte sich Skryrmir auf, um zu sehen, was dort auf der Wiese vorging.
Auf der Lichtung, umringt von Publikum, ritt ein Junge auf einem ziemlich kleinen, wendigen Pferd und führte dabei seine atemberaubende Reitkunst vor. Er ritt völlig freihändig auf seinem trittsicheren Pferd, welches er allein durch den Druck seiner Schenkel lenkte. Nebenbei schoss er mit einem Bogen einen Pfeil in die Luft, den er mit einem weiteren Pfeil wieder herunterholte. Die Leute waren schier begeistert, jubelten und klatschten. Skryrmir war völlig von den Socken. Nie zuvor hatte er jemanden so schnell einen Pfeil nach dem anderen ziehen sehen. Pferd und Reiter bildeten eine perfekte Einheit. Nach diesem Kunststück ritt der junge Reiter in einen Parcours, in dem zwölf Zielscheiben kreisförmig aufgebaut waren. In hohem Tempo ritt er eine Volte, drehte sich im Sattel in die jeweilige Schussrichtung und zielte dabei auf die Zielscheiben. Jeder Pfeil traf ins Schwarze, kein einziger ging fehl. Das Publikum raste vor Begeisterung. Nur der Kerl, der vor Skryrmir stand, spuckte verächtlich in den Sand, zeigt auf den Jungen mit der Pelzkappe und knurrte: »Scheiß Hunnen. Sie sind wahre Teufel. Nicht umsonst heißt es, sie hätten die Pest im Schlepptau!«
Skryrmir grinste. Das Gleiche behauptete man auch von den Nordmännern, die mittlerweile als »Geißel der Menschheit« tituliert wurden. Jeder, der ihnen unterlegen war, konnte und wollte kein gutes Wort über sie verlieren.
Der junge Mongole ritt unterdessen weiter, ohne zu ermüden. Seinem wendigen braunen Pferd schien diese Tour de Force ebenso wenig auszumachen. Der Gaul hatte nicht einmal Schaum vor dem Maul. Skryrmir beschloss, dass sie unbedingt solche Pferde brauchten. Sie sahen zäh aus, nahmen gerade die Hälfte des Platzes ein, den ein Fjordpferd benötigte, und wahrscheinlich fraßen sie nur ein Viertel von deren Futter.
Der Hunne hielt mit einem Affenzahn auf eine Strohpuppe zu. Sie war mit einer Kettenrüstung bekleidet. Er preschte heran, schoss - und verschwand wie der Blitz. Das Publikum hielt den Atem an, als es gewahr wurde, wie der Pfeil das Kettenhemd durchbohrte, die Strohpuppe perforierte und auf der anderen Seite des Kettenhemdes mit der Spitze wieder heraus brach. Skryrmir bekam eine Kopfgänsehaut, als er begriff, welche Durchschlagskraft dieser Pfeil haben musste. Nur konnte es nicht allein am Pfeil liegen, so viel war ihm klar. Sofort warf er einen abschätzenden Blick auf den Bogen, mit dem der junge Reiter so meisterhaft umzugehen verstand. Ja, er musste das wahre Geheimnis sein! Der Bogen. Ungewöhnlich stark an den Enden nach außen gebogen, glich er nicht den Bögen der Nordmänner, oder dem Langbogen der Angeln. Zudem schien er nicht aus gewöhnlichem Holz gefertigt zu sein. Er unterschied sich in jeder Hinsicht von den Bögen, die sie selbst benutzten. Und sei der Schütze noch so stark; nie zuvor hatten sie damit ein Kettenhemd durchschlagen. In seinem Hirn formte sich plötzlich eine Idee: Wenn Odin ihn hierher geschickt hatte, dann waren diese Pferde und der geheimnisvolle Bogen der Grund.
»Du siehst aus, als hättest du einen Geist gesehen!«, brummte Hackbart, der hinter seinen Bruder getreten war. Es war Skryrmir stets ein Rätsel, wie so ein schwerer Kerl dermaßen lautlos gehen konnte.
»Da, der Junge auf dem Pferde, mit dem Bogen...«
»Geh da bloß nicht so nah ran! Man sagt, die Hunnen haben die Pest an sich!«, wiegelte Hackbart ab, der nicht den Sinn der Rede verstand. Er trug schon leicht einen Affen spazieren und verströmte wieder mal den Geruch von Met.
»Bist du schon wieder angesäuselt? Sei ruhig und sieh zu! Das Pferd, der Bogen! Sieh hin!«, befahl Skryrmir.
»Was denn? Mäuse die auf Ziegen reiten? Pah! Ich habe Wolfshunde gesehen, die größer sind als dieses Pferd. Und was ist denn so Besonderes an diesem Bogen?«
In genau diesem Moment durchschoss der junge Mongole ein Schild aus Holz.
»Sapperlot!«, bemerkte Hackbart verdattert. »Hast du das gesehen? Durch den Schild! Mir dünkt, wenn dieser junge Mann seine Vorstellung beendet hat, sollten wir unbedingt ein Gespräch mit ihm führen!«
»Und mir dünkt, es ist jetzt so weit!«, bemerkte Skryrmir.
Der Reiter blieb vor der Menge stehen, dann beugte er das Haupt und sein Pferd ebenfalls. Aber nicht nur das, es verbeugte sich so tief, dass es in die Knie ging. Die Menge klatschte und jeder, dem die Vorstellung gefiel, warf entweder eine Münze, Ringe, oder einen Bernstein. Der Junge verneigte sich ein zweites Mal: »Vielen Dank! Wer genauso ein fabelhaftes Pferd wie meines haben will, sollte unbedingt beim ehrwürdigen Pferdehändler Temudschin Badma vorbeischauen. Er ist nur noch einen letzten Tag vor Ort, also beeilt euch!«, stieg er vom Gaul und sammelte seinen Lohn auf, den er schleunigst in die Tasche steckte.
»He da, Junge mit den Schlitzaugen!«, rief Skryrmir.
Der Junge grinste. »Ja, Nordmann, mit der langen Nase?«
»Kannst du mir zeigen, wo es zu diesem Badma geht?«
»Klar, kannst mitkommen! Ich muss sowieso jetzt nach Hause«, bemerkte der freche Bengel und stieg wieder auf seinen Gaul.
Irgendetwas passte Hackbart offenbar gar nicht. »Hey, du kleine Rotznase! Das ist Skryrmir, Fürst der Haraldinger, also steig nicht auf deinen Gaul, sondern erweise uns Respekt. Sonst müssen wir die ganze Zeit mit einem Pferdearsch reden!«
»Hackbart, lass ihn, es ist doch egal!«, meinte Skryrmir.
»Nein, ist es nicht!«, erwiderte sein Bruder.
Der Junge rutschte vom Pferd, verneigte sich und sagte: *»Ямар ялгаа байна вэ? Би илжиг энэ агшинд ярих!«
»So ist es recht!«, bemerkte Hackbart zufrieden. Nur sah er nicht, wie der Junge seinem Bruder Skryrmir grinsend zuzwinkerte. Skryrmir wusste allerdings nicht weshalb. Trotzdem beschloss er spontan, diesen außergewöhnlichen Jungen zu mögen.
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