»Ja, indem ich kotze!«, seufzte Skryrmir herzzerreißend.
Doch Hackbart beachtete ihn nicht weiter. Er schien ein wenig abgelenkt. Stattdessen starrte er zu einer jungen Dame, die mal wieder gewisse Gelüste in ihm wachrief. »Sag mal, wer ist das da?«, zeigte er auf die Dame mit seltsamer Kopfbedeckung.
»Sie, ist das Inkrafttreten meines Erlasses! Sie heißt Mathilda und ist die neue Kinderfrau. Eigentlich sollte sie Hildburga zur Hand gehen, und insgeheim hoffte ich, sie könne sie vielleicht heilen. Egal, sie spricht drei Sprachen. Sie ist eine… wie heißt das? Klingt so ähnlich wie Norne… Ach ja, eine Nonne. Sie ist unantastbar, da sie mit ihrem Gott verheiratet ist. Langsam habe ich das Gefühl, dieser Christengott findet immer mehr Anhänger. Irgendwie beunruhigend, findest du nicht?«, fragte Skryrmir.
»Beunruhigender fände ich es, wenn er auch noch des Nachts bei ihr erscheint, um es ihr zu besorgen!«, erwiderte Hackbart, der ein paar Männer heranwinkte, um das Langschiff zu entladen. Einen wies er an: »Geleite diese Dame in die Burg!«
»Guck sie nicht an, als wäre sie das Dessert!«, knurrte Skryrmir. »Versorgt die Sklaven und ladet den Wein und die Äpfel für die Burg aus. Den Proviant stocke ich morgen für die Knorr auf!«, befahl er den Männern.
»Wieso?«, wollte Hackbart wissen. Er musterte den Blick seines Bruders, der nichts Gutes verhieß. »Du bist gerade erst angekommen. Sag nicht, du willst wieder fort!?«
»Und ob! Odin sandte mir eine Vision. Und du, lieber Bruder, wurdest ebenfalls auserwählt. Ich weiß nicht, was das zu bedeuten hat. Aber wenn es Odins Wille ist, dass du mitkommst, wirst du deinem Gott wohl diese Bitte erfüllen, oder nicht?«
*
Wenn die Pferde rar werden, werden Mäuse gesattelt.
(Sprichwort der Beduinen)
Agnir lachte amüsiert.
»Warum kicherst du so? Hat ein Karpfen in deinen Zeh gebissen?«, fragte ich interessiert.
»Nein, ich stelle mir gerade vor, was Nana wohl zum Verhalten deines Onkels Hackbart gesagt hätte. Ich mag ihn irgendwie. Nur schade, dass er nicht mehr lebt. Manchmal vermisse ich einen Onkel, der ein paar derbe Zoten von sich gibt.«
»Ja, manchmal wünsche ich mir auch meinen dicken Onkel zurück, dann würde deine Oma Fergus nicht immer ihren ganzen Frust an mir auslassen. Sei froh, du hast doch Cornelius, der ist klug nicht so verfressen.«
»Sag mal, wieso weißt du eigentlich, wer genau was gesagt hat und wie alles wirklich war. Du warst doch gar nicht dabei«, wollte mein Sohn wissen.
»Tja, bei uns hoch im Norden, waren die Winter verdammt lang und dunkel. Fernsehen gab es nicht, niemand von uns konnte lesen und überhaupt waren Bücher teuer und selten. Sie wurden damals nicht gedruckt, sondern aufwendig von Mönchen kopiert und kostbar mit Marginalien und Bildern verziert. Also saßen wir in der großen Halle und quengelten so lange auf die Erwachsenen ein, bis sie irgendwelche Geschichten von sich gaben. Meistens die Nordischen Sagen, oder eben selbst erlebte Abenteuer. Sowohl mein Vater, als auch Onkel Hackbart waren hervorragende Erzähler, deren Geschichten dich so packten, als seist du selbst dabei gewesen«, wusste ich zu berichten.
»Stimmt, mir ergeht es genauso. Ach ja… Eine Frage habe ich noch… Was ist eigentlich ein Bankert?«
»Das ist ein veralteter Begriff für ein illegitimes Kind. Bankert bedeutet soviel wie: ›Mit einer Magd auf der Schlafbank gezeugt‹, eben ein anderer Ausdruck für Bastard.«
»Oh, ach so. Aber bitte, erzähle weiter, denn ich bin wirklich gespannt darauf, was als Nächstes passiert.«
Dass mein Onkel Hackbart von Skryrmirs Visionen alles andere als begeistert war, kann sich jeder bildhaft ausmalen. Er liebte den behaglichen Komfort eines geordneten Haushalts. Darum muss die lange Bootsreise für ihn den Eindruck eines Höllenritts hinterlassen haben. Vermutlich dachte er, wenn mein Vater von der Plünderfahrt zurückkäme, gäbe es ein großes Fest mit vielen Spezereien. Stattdessen musste er mit ihm zwei Tage später Richtung Bergen auslaufen. Skryrmir brauchte gerade bei den jungen Männern keine großartige Überzeugungsarbeit leisten. Jedenfalls nicht, als er erklärte, wie die Reiseroute verlaufen sollte. Denn diesmal stach er nicht in die weite See, sondern verlud mit seiner Mannschaft die erbeuteten Sklaven, dazu reichlich von unserem berühmt-berüchtigten Stockfisch, und steckte noch etwas Kleingeld ein. Die Fahrtroute verlief gen Süden, immer an der Nordischen Küste entlang, bis vorerst Bergen. Zwischendurch machten sie dann und wann halt. Nicht nur, weil Hackbart ständig allen in den Ohren lag, die Reise sei unbequem. Er verabscheute es, entweder an Bord oder aber unter dem freien Himmel schlafen zu müssen. Überhaupt, ohne Bett bekäme er gar kein Auge zu; dabei brauche er seinen Schönheitsschlaf. Das behauptete er zumindest, obwohl er derjenige war, der dermaßen von der Fahrt gelangweilt wurde, dass ihm die Augen zu fielen. Jedenfalls musste er keinesfalls auf den Luxus einer Bettstatt verzichten, denn sie legten abends stets einen Zwischenstopp ein und übernachteten bei Verwandten, bei denen sie zugleich nach dem Rechten schauten. Im besagten Bergen verkauften sie einen Teil der erbeuteten Sklaven, besuchten nebenbei wieder mal Verwandtschaft, denen Skryrmir folgendes von seiner Vision erzählte: »Odin ist mir im Traum erschienen. Er deutete nach Süden und sagte, dort würde etwas auf uns warten, das uns Haraldinger bei unseren Fahrten unbesiegbar macht. Nach Heiðabýr sollen wir fahren, um ein gutes Geschäft abzuschließen. Anschließend geht die Reise weiter östlich nach Hólmgarðr. Und ebendort wird sich uns der Sinn der Reise erschließen.« Der junge Stammesfürst glaubte seinen Traumgesichten. Genauso fest glaubte er an Odin. Und so folgte er seinem Gott bedingungslos, wenn dieser etwas von ihm forderte. Seit Harald tat das jeder Stammesführer. Schließlich musste etwas dran sein, denn die Haraldinger wären dadurch sonst nicht so einflussreich geworden.
Bei den Landgängen wurde Skryrmir das Beileid ausgesprochen, aber sie begrüßten auch neue Familienmitglieder, schmiedeten Pläne für die nächsten, im Frühjahr anliegenden Kaperfahrten, betrieben Tauschhandel, und natürlich wurde getrunken und geschmaust. Nachdem die Vettern und Brüder erfuhren, wohin die Reise gehen sollte, steuerte jeder etwas dazu bei, womit sie selbst ein wenig von der Fahrt profitieren konnten. Beim Abschied versprach Skryrmir, wiederzukommen, nicht nur, um den Gewinn vorbeizubringen, sondern auch, um ihnen mitzuteilen, wie die Prophezeiung in Erfüllung gegangen sei. Schätzungsweise waren die Verwandten zusehends erleichtert, den gefräßigen Hackbart wieder losgeworden zu sein. Wären sie nicht wieder zügig abgereist, hätte er ihnen sonst möglicherweise sämtliche Haare vom Kopf gefressen und alle Frauen im gebärfähigen Alter geschwängert.
Von der Skandinavischen Küste aus, ging die Fahrt weiter in das Kattegat. Sie schifften sich durch den langen Arm der Schlei ein und erreichten bald darauf Heiðabýr, auch Haithabu genannt, nahe Schleswigs. Übersetzt bedeutet es soviel wie Heidehof. Dort verkauften sie den Rest der Sklaven und stockten ihren Bedarf an Proviant auf, da weiter östlich das Einflussgebiet der Haraldinger endete und somit nicht mit weiterer Verwandtschaft gerechnet werden konnte.
Heiðabýr war damals ein lebhaftes Handelszentrum der Dänen. Dort konnte man nicht nur Tauschhandel betreiben, sondern weitere Kontakte zu anderen Stämmen knüpfen. Und ganz wichtig, Informationen austauschen. Später residierte dort sogar der König Gøtrik von Dänemark. Damals gab es noch kein vereinigtes Dänemark, so wie es in der heutigen Form existiert. Der König war lediglich Herrscher über Värmland, Westerfold, Hedemarken, Hedeland, Schleswig, Westmare und ein paar weiteren Inseln. Doch zu der Zeit, als Skryrmir und Hackbart dort verweilten, regierte gerade Gøtriks Vater, König Sigurd.
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