Wir sind heute ohne Eskorte unterwegs, was sicher leichtsinnig ist. Ich habe von Überfällen auf Landhäuser gehört, von Attacken auf Kutschen, Reitern und sogar auf Gottesdienstbesucher. Es sei zu Morden und Brandstiftungen gekommen. Auch an den Stränden und in den Wäldern soll es neuerdings Gesindel geben, das dort sein Unwesen treibt. Das Parlament verschärfte inzwischen die Gesetze, doch die Angst geht um im Reich. Ich selbst habe eine Aufstockung der Patrouillen angeordnet, um unsere Häfen besser zu schützen, denn auch dort hat es schon Gewalttaten gegeben. Vor zwei Monaten wurde eines unserer Schiffe durch gezielte Brandpfeile zerstört. Wir konnten zwei spanische Matrosen fangen und hinrichten, die in der Folter gestanden hatten, im Auftrage eines spanischen Admirals gehandelt zu haben. Zurzeit scheint es etwas ruhiger geworden zu sein, doch das kann täuschen. Das Böse ist immer und überall! Eine große Anzahl von Wegelagern, Dieben, Mördern und Betrügern wurde inzwischen hingerichtet oder zu grausamen Strafen im Schnellverfahren verurteilt: unter anderem zur Schwerstarbeit in Steinbrüchen und in den walisischen Zinn-Bergwerken.
Fernando packt den Inhalt seines Korbes aus, den er in unserer Küche hat bestücken lassen: Kaltes Huhn, ein Stück Schweinebraten, Brot, Obst, Küchlein, eine Flasche Wein: „Was darf es sein, Kapitän“, fragt er fröhlich. Ich antworte streng: „Nach der Arbeit kommt das Essen!“
Die geplante Strandwanderung verschieben wir erst einmal und beginnen bei herrlichem Sonnenschein mit dem Training: Fernando wirft mir in regelmäßigen Abständen mit seinem rechten Arm mittelgroße Kiesel zu, die ich auffange und mit all meiner Kraft weit von mir werfe. Diese Übung ist für mich einfach und effektiv, sie stärkt meine Muskeln und meine Reaktionsfähigkeit. Nach einer halben Stunde schwitze ich kräftig. Ich ziehe mich nackt aus und gehe in die Wellen, dann schwimme ich einige Meter entlang des Strandes und wir beginnen mit der Steinaktion von neuem. Dreimal Wurfübungen, dreimal schwimmen – dann fallen wir über die Köstlichkeiten aus unserer Küche her. Wir lagern uns in den Schatten eines mächtigen Granitfelsens, um uns zu laben.
Fernando fragt vorsichtig: „Ich habe von John gehört, dass die Spanier uns bedrohen. Sollte ich selbst in England keine Sicherheit vor diesen Ausbeutern finden? Ich kann es nicht glauben, Kapitän.“
Ich habe eigentlich keine Lust auf ein Gespräch, weil ich nachdenken möchte, nur in die Wellen starren will, was ich gerne tue. Doch das sorgenvolle Gesicht meines treuen Mestizen veranlasst mich zu antworten: „Ja, Fernando, es wird Krieg geben müssen. Spanien will tatsächlich unser Inselreich erobern. Wir werden Arbeit bekommen, Fernando. Ja, es stimmt, was John Dir erzählt hat. Wir sind bereits mitten in den Vorbereitungen für einen großen Seekrieg mit den Spaniern. Wann das sein wird, steht noch in den Sternen.“
Fernando zeichnet mit seinem linken Hakenarm ein Symbol in den Sand: einen Totenkopf mit zwei Knochen. „Sind sie stark genug . . . die Spanier, um England gefährlich zu werden? Stärker als wir?“
„Sie sind sehr stark, Fernando. Es wird schwer . . .“
„Aber wir haben Kapitän, pardon, Admiral Drake. Sie haben keinen Dragon. Ihre stolzen Nasen werden bluten.“
Ich muss lachen, denn Fernandos Formulierungen sind eigenwillig. „Sie werden sich ihre Hintern verbrennen. Das weiß ich.“
Ich muss wohl eingeschlafen sein, denn plötzlich bemerke ich, wie mich jemand an den Schultern schüttelt. Fernando flüstert leise: „Wir werden beobachtet. Zwei Männer, dort drüben in den Dünen.“
Langsam ziehe ich meine Toledo-Klinge aus der Scheide. Fernando hat bereits zwei seiner gefürchteten Wurfmesser neben sich in den Sand gesteckt und seine Pistole bereit gelegt. Dann höre ich Stimmen, verstehe aber nichts. „Sie liegen jetzt dort hinter den Felsen, die Brandung übertönt alle Geräusche . . . gut für uns.“ Ich gebe Fernando ein Zeichen. Der treue Mestize nickt grinsend. Er will links, ich rechts um den Felsen herum unseren Angriff starten. Leise sage ich: „Klar zum Entern . . .“
Fernando nickt mir zu. Dann stürmen wir beide los. Unsere Überraschung gelingt, die Wegelagerer blicken entsetzt auf. Etwa zehn Meter vom Felsen entfernt stellen wir die beiden etwa 30 Jahre alten Banditen. Einer von ihnen hebt seine Pistole, bevor er aber abdrücken kann, trifft ihn der Wurfdolch Fernandos in den Hals. Stark blutend bricht der Angreifer zusammen. Der zweite Mann stürmt mit einem großen Säbel auf mich zu, doch nach einem kurzen Gefecht trifft ihn die Spitze meiner Klinge in sein linkes Auge: Sie fährt in seinen Schädel und ragt am Hinterkopf heraus. Seine letzten Worte verstehe ich: „Madre mia!“ Fernando sagt gelassen: „Keine Gegner für uns, Kapitän.“
Ich untersuche die beiden Leichen und stelle fest, dass dies keine armen Schlucker waren – ihre Kleidung ist aus wertvollem Material und die zwei Geldbeutel der beiden sind prall gefüllt. Sie müssen es auf uns abgesehen haben! Dies war also ein gezielter Auftragsüberfall, denke ich. Fernando säubert seinen Dolch und meint: „Wurden sie geschickt?“ Ich zucke mit der Schulter: „Sehr gut möglich. Einer der beiden sprach sicher Spanisch. Es wird schwer sein, die Hintermänner zu entlarven und ihre Identität festzustellen. Lass sie uns begraben.“
Später, als wir in dem Zweisitzer den Heimweg antreten, meint Fernando: „Es waren die verhassten Spanier!“
Ich antworte: „Es waren Spanier, mein Freund. Doch kein Wort zu meiner Frau. John McFinn unterrichte ich selbst.“
Noch am gleichen Tag organisiere ich den Wachdienst auf meinem Landsitz neu. Außerdem heuere ich vier neue Wachsoldaten an, was meiner Frau natürlich sofort auffällt: „Gibt es einen Anlass, dass Du die Wachen verstärkst?“
„Sicher“, antworte ich, „die Überfälle in England nehmen zu. Also müssen auch wir auf der Hut sein. Ich möchte nichts unterlassen, um unsere Sicherheit möglichst perfekt zu machen. Ich habe heute eine Depesche erhalten, die vor weiteren Überfällen auf die Güter und Wohnsitze der britischen Elite hinweisen. Die Lage wird langsam ernst.“
„Was bedeutet das für uns, Francis?“
Ich sehe die Angst im Gesicht meiner Frau. Ich antworte: „Es wird ernst Liebling. Die Lage mit Spanien entwickelt sich zu einer kaum noch zu überbrückenden Lage: Es wird Krieg geben. Nun bin auch ich davon überzeugt.“
Wir hatten mehrfach diese Möglichkeit diskutiert, doch noch nie sind die Anzeichen so klar zu erkennen wie jetzt. Einen Tag später erhalte ich Order, mich unverzüglich in den Palast zur Königin zu begeben, wo in vier Tagen eine Konferenz des Kriegsrates stattfinden soll. Meine Gedanken rasen. Zum Schreiben komme ich in dieser Zeit nicht. Königin Elisabeth will von mir ein Konzept, sie will genau wissen, was wir planen und unternehmen können, wenn es zum Krieg kommt. Noch, so erfahren wir sehr bald, gibt es keine konkreten Hinweise auf eine zeitnahe Invasion. Doch es gibt viele Gerüchte, die uns die Spione von Sir Walsingham bestätigen. Der Spionagechef gibt sich bei unseren Konferenzen stets sehr geheimnisvoll, vielleicht will er sich auch nur wichtigmachen! Niemand erfährt in diesen Tagen meine geheimen Pläne, weder meine Frau, weil ich sie nicht unnötig beunruhigen will, noch John Hawkins, noch meine Königin. Ihre mir bekannte Ungeduld könnte mein Vorhaben eventuell gefährden. Der Zustand und die Stärke der britischen Flotte lassen noch nicht zu, dass ich meine Pläne durchführe. Klar ist aber: Wir müssen Zeit gewinnen, müssen die Spanier hinhalten oder mit Diplomatie besänftigen. Das wird Aufgabe der Königin sein. Würde mein aktueller Plan bekannt, wäre der kalkulierte Effekt nicht zu erreichen. Nur ein Mann erfährt, was ich vorhabe: Mein langjähriger Vertrauter, Butler, Pirat und Freund John McFinn, mit dem ich seit Jahren alle erfolgreichen Fahrten, Korsarenstücke und Seegefechte Seite an Seite erfolgreich durchgeführt habe. Es dauert eine Weile, ich bin inzwischen aus London zurück, bis ich eine passende Gelegenheit finde, John einzuweihen: Auf einem gemeinsamen Jagdausflug erzähle ich dem treuen Schotten meine Vision. Wir haben bereits zwei Wildschweine erlegt, John in alter Tradition mit einer Saufeder, deren Handhabe er perfekt beherrscht, ich mit einem glatten Blattschuss meiner Flinte. Wir legen eine Pause auf einer kleinen Lichtung ein, in der wir uns mit Bier und Wurst stärken. Als ich meinen Plan John erzählt habe, schweigt er lange, er trinkt und isst, rülpst dann laut und murmelt in seinen prächtigen roten Bart: „Kapitän, Du bist ein Genie. So werden wir es machen. Ich warte auf Deine Befehle, Kapitän . . . äh, Admiral!“
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