Sprich mit ihm. „Wie war das Skifahren?“, fragte sie und wandte sich ihm zu.
„Nicht halb so schön wie der Abend noch hätte sein können, wenn ich nicht hätte gehen müssen.“
Oh mein Gott! Schleimalarm! Und Schleimer hatte sie noch nie gemocht. Sie zuckte kurz mit der rechten Augenbraue. Das war ein echter Tick von ihr, der Skepsis zum Ausdruck brachte und Ulla immer lachen ließ, wenn Kirsten beteuerte, dass alles stimmte, gleichzeitig ihre Augenbraue aber Salsa tanzte.
Autsch! „Das war auswendig gelernt und es gefällt dir nicht“, stellte er nüchtern fest. Offenbar hatte er das Zucken richtig gedeutet.
„Nun, ich mag Männer nicht, die ständig nur schleimen.“
Hatte sie das wirklich gesagt? War sie verrückt geworden, das zu ihm zu sagen? Kirsten, was redest du denn da? Gleich dreht er ab und lässt sich nie wieder blicken!
„Ich auch nicht. So anbiedernde Typen haben es immer nötig“, gab er zurück.
„Und warum sagst du dann solche Sachen?“
„Einerseits, weil es wirklich stimmt. Andererseits, weil ich unbedingt mit dir im Gespräch bleiben will und nicht so ganz genau weiß, was ich sagen soll, und du nie viel sagst, ich also die Konversation mehr oder weniger alleine bestreiten muss.“ Entwaffnend grinste er sie an, beinahe dreist.
Sie war überrascht von so viel Schlagfertigkeit und Ehrlichkeit und kombinierte blitzschnell, dass auch er sich auf dieses Wiedersehen vorbereitet hatte. Dieses Wissen beruhigte sie, denn es bedeutete, dass seine Kontaktaufnahme an Florians Geburtstag nicht zufällig gewesen war und sie sich das Knistern zwischen ihnen nicht eingebildet hatte. Es beunruhigte sie aber auch, weil sie nicht wusste, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Sie ermahnte sich zur Vorsicht, immerhin war sie eine verheiratete, ältere Frau, die Frau seines momentanen Chefs. Dennoch juckte es sie in den Fingern, herauszubekommen, was hier vor sich ging, was dieser viel zu attraktive, nette Mann von ihr wollte, wie weit er gehen würde, ob er es bei einem harmlosen Flirt beließe oder mehr wollte. Dinge wollte, die sie ihm nicht geben konnte, obwohl konnte schon, aber nicht durfte.
„Siehst du, schon sagst du nichts mehr“, warf er bedauernd ein. „Ich wusste doch, dass ich es vermasseln würde.“
Wieder schwiegen sie einander an. Die Weihnachtslieder vom Band erfüllten die peinliche Stille zwischen ihnen. Er sah sie forschend an, sie schaute vehement an ihm vorbei, um sich nicht noch mehr die Blöße zu geben. Sie wusste genau, dass ihr sorgsam geschminktes Gesicht glühte wie ein Flutscheinwerfer, und sie wusste, dass er es bemerkte. Damit musste es doch für ihn auf der Hand liegen, wie er sie aus dem Gleichgewicht brachte. Mit einem kleinen bisschen Aufmerksamkeit von seiner Seite erlangte sie die bedauerliche Konsistenz eines Stückchens Schokolade im heißen Wasserbad.
Ein Teil von ihr wünschte sich so sehr, dass er ihr noch höflich einen schönen Abend wünschen und dann weitergehen würde, dass sie sich danach dem Schampus hingeben und später an Florians Schreibtisch angesäuselt traditionell den Rest des Abends verbringen konnte, um nachts wieder zurückzukehren in ihr glückliches Heim an der Seite ihres Mannes.
Der abenteuerlustige, rebellische Teil von ihr wünschte sich nichts mehr, als mit diesem Mann im Gespräch zu bleiben und sich ein wenig abzulenken von ihrem tristen Alltag.
Er atmete tief ein und aus, er sah resigniert aus.
„Na gut, es tut mir leid,“ begann er zögerlich, „wenn ich Ihnen zu nahe getreten bin, Frau Meiffert. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Abend.“
NEIN! Hat er das wirklich gesagt? Das darf nicht sein. Lass ihn nicht ziehen!
„Du bist mir nicht zu nahe getreten!“, brach es schnell aus ihr heraus, als er sich gerade wegdrehen wollte, „Du bist mir wirklich nicht zu nahe getreten. Und seit wann siezen wir uns wieder?“
„Ich dachte nur, weil“, er brach ab und begann von Neuem, „ich hatte den Eindruck, meine Anwesenheit ist dir irgendwie unangenehm. Und ich will dir ja nicht die Weihnachtsfeier ruinieren.“
Oha, er hat es bemerkt. Jetzt nur nichts anmerken lassen, Mädchen!
„Das ist das erste Mal seit Jahren, dass ich mich auf der Weihnachtsfeier mit jemandem länger als eine Minute unterhalte und du willst gehen? Ich wusste ja, dass ich nicht die Unterhaltungsbombe bin“, seufzte sie mit gespielter Empörung.
Er grinste. „So schlimm ist es nicht. Und wenn du mich so bittest, bleibe ich noch etwas. Wenn es dir nichts ausmacht natürlich.“
„Es macht mir nichts aus.“
„Dann ist es ja gut.“ Er lächelte, viel zu umwerfend. „Dann bleibe ich gerne an deiner schönen Seite und unterhalte mich mit dir.“
Wieder ein Kompliment... Er findet dich schön. Und du ihn erst!
„Wie läuft es denn so für dich in der Firma?“, fragte sie schließlich, bemüht um Schadensbegrenzung, „Willst du später hier anfangen?“
„Bisher wollte ich das, aber seit letzter Woche nicht mehr. Was wohl heißt, dass ich doch das Angebot meines Vaters annehme und ihn beerbe.“
„Was ist denn passiert letzte Woche? Gab es Stress?“
Er lächelte wieder, dieses Mal mit einem Hauch bitterer Ironie: „Nein, letzte Woche habe ich dich kennengelernt.“ Er biss sich verlegen auf die Unterlippe und starrte zu Boden.
Seine Aussage versetzte ihr einen Schlag in die Magengrube. Von wegen unverfängliches Geplänkel, Fräulein, nun wird das Eis unter deinen Füßen aber langsam dünn.
Wütend funkelte sie ihn an. Sie war wütend auf ihn, weil er ihrem harmlosen Abenteuer die Unschuld nahm und immer das Falsche sagte. Sie war aber noch viel wütender auf sich selbst, weil sie seine Antworten nur zu gerne hören wollte. Wenn sie nicht ins Straucheln geraten wollte, musste sie jetzt die Bremse ziehen, dann war es wieder Essig mit dem schönen Abend.
„So etwas solltest du nicht sagen!“, fauchte sie ihn leise an, „Ich bin die Frau deines Chefs und ich bin noch dazu etliche Jahre älter als du!“ Reiß dich zusammen, Kirsten, du vergraulst ihn und dann bleibt wieder nur der Champagner! - Egal, so geht es nicht.
Er zuckte mit einer bedauernden Geste die Schultern: „Es tut mir wirklich leid, dass du die Frau meines Chefs bist. Das kannst du mir glauben.“ Er zögerte. „Aber ich finde dich sehr interessant“, am Schluss wurde er äußerst leise, denn die neugierigen Geier zogen in enger werdenden Kreisen durch den breiten Flur.
Langsam gingen sie immer weiter auf die Ecke zu, weg von den anderen, die mit ihren Blicken folgten, weil es ihnen ungewöhnlich vorkam, dass sich die schweigsame Frau des Chefs ausgerechnet mit dem Referendar unterhielt.
„Ich finde dich interessanter, als du es für mich sein solltest. Um genau zu sein, es regt mich auf, dich zu sehen. Dass du ein bisschen älter bist, macht die Sache doch eigentlich nur interessanter für uns beide“, flüsterte er weiter und blickte ihr erwartungsvoll in die Augen.
Seine Augen waren blau, wunderschöne blaue Augen, in denen man sich verlieren konnte, wenn man es zuließ. Lass es nicht zu, er wird dich nur ausnutzen und enttäuschen! Schiel auf den Boden, lenk dich ab, ignorier das Kribbeln.
Seine Offenheit hatte sie nicht erwartet. Sie hatte damit gerechnet, an diesem Abend ein wenig unverfänglich mit ihm zu plaudern und vielleicht ein bisschen zu flirten, aber mehr auch nicht, denn dieser Mann war für sie nach wie vor eine Taube auf dem Dach. Ein junges, verbotenes, leckeres, knuspriges Täubchen, liebevoll auf dem Silbertablett angerichtet, das sie mit ihrem Verhalten mit dem Rücken an die Wand drückte wie ein verschrecktes Wiesel und Entscheidungen von ihr verlangte, die sie nicht zu treffen wagte. Dieses alte Lied sauste durch ihren dröhnenden Kopf. Barfuß oder Lackschuh, alles oder nichts. Dazu die lustige Nummer dieser Comedytruppe. Billige Reize...
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