1 ...8 9 10 12 13 14 ...18 „Musst du heute wieder so lange arbeiten? War ja ganz schön spät oder früh, wie man's nimmt.“
„Ach, bist du aufgewacht? Das tut mir leid“, sagte er mit einem übertriebenen Bedauern in der Stimme und plötzlich wurde Kirsten hellhörig. Sonst kümmerte es ihn doch auch nicht, wenn sie schlecht schlief, Egoismus war generell seine Stärke.
„Wo warst du denn so lange?“, hakte sie nach, was sonst gar nicht ihre Art war, doch irgendwie hatte sie ein ungutes Gefühl. Leben und leben lassen, das war sonst ihr Motto. Sie mochte Menschen nicht, die ihrer Umgebung andauernd auf den Zahn fühlten.
„Ich war im Büro“, antwortete er knapp.
„So, im Büro warst du. Musst du denn heute wieder so lange im Büro bleiben?“ Honigsüß klang das, doch nun schrillten bei ihm sämtliche Alarmglocken.
Florian wurde heiß und kalt. Was sollte dieser spitze Kommentar? Ahnte sie vielleicht etwas! Er ermahnte sich zur Vorsicht. „Nein, nein, das war nur eine Ausnahme gestern“, versicherte er eifrig.
Kirsten schaute auf die Uhr an ihrem Handgelenk und nahm einen großen Schluck aus ihrer Kaffeetasse. „Muss los, mach's gut“, sagte sie und verließ die Küche. Da war etwas nicht in Ordnung, das spürte sie genau. Doch das würde bis Sonntag warten müssen, jetzt war der Samstag erst einmal wichtiger.
Kirsten verließ den Salon mit Strähnen im brünetten Haar und einem glatten, kinnlangen Bob, gehalten von, so kam es ihr zumindest vor, tonnenweise Haarspray. Henriette hatte das Ozonloch gleich mit zugesprüht. Dafür war das Konto um 100 Euro leerer und sie um einen erneuten Termin am Samstag reicher. Zufrieden schielte sie im Auto immer wieder in den Innenspiegel und hätte so beinahe einen Radfahrer übergemangelt, der zum Abbiegen vor ihr Auto zog. Sie hupte, er erschrak und schimpfte dann hinter ihr her. Mit eindeutigen Gesten zeigte sie ihm, was sie von ihm hielt, als sie davonbrauste, und dabei fluchte sie wie ein Rohrspatz. Diese verfluchten Drahteselidealisten! Radfahrer waren ihrer Meinung nach die überflüssigsten aller Verkehrsteilnehmer, denn sie verlangten den Autofahrern volle Konzentration ab, während sie selbst durch die Gegend heizten wie die Irren. Zum Glück konnte sie beim Autofahren niemand fluchen hören, da hätte sich so manch einer über ihren Wortschatz gewundert, der sie sonst für ein braves Lämmchen hielt.
Ulla staunte nicht schlecht bei Kirstens Anblick: „Mensch, Kiki, wie siehst du denn aus?“, fragte sie ungläubig und bewunderte das Kleid und die neue Frisur über alle Maße.
„Du siehst ja aus wie ein Model!“
Typisch Ulla, Übertreibungen waren ihr Geschäft, denn sie arbeitete als Immobilienmaklerin, und da war es gut fürs Geschäft, ein bisschen zu übertreiben. Da konnte aus einer freistehenden Villa schon mal ein großzügiges Herrenhaus werden. Wie pflegte sie immer zu sagen? Klappern gehört zum Handwerk. Kaum, dass sie Kirsten überschwänglich bestaunt hatte, klingelte ihr Handy und sie musste los, um ihrer kleinen Tochter beizustehen, die vom Pferd gefallen war und sich dabei wohl die Hand gebrochen hatte. Schade, denn Kirsten konnte den ermutigenden Zuspruch ihrer besten Freundin gut gebrauchen. Von wegen Glück auf Erden auf irgendwelchen Rücken von Pferden! Wessen Glück meinte dieses Sprichwort? Das Glück von Unfallchirurgen?
So blieb ihr wieder nur der Haushalt übrig. Mädchen, was ist dein Leben langweilig. Du gehst arbeiten bei deinem Vater, der stumm ist wie ein Fisch, dein Mann legt nur noch Stippvisiten daheim ein und deine beste Freundin ist so eingespannt in Sachen Familie, dass sie auch nie Zeit hat. Du brauchst dringend was zu tun.
Ein Kind – fällt flach, du heimliche Pillenschluckerin.
Eine Katze - dein Mann hasst Katzen, fällt auch flach. Nicht auszudenken, wie man die Haare auf dem Laminat sehen würde!
Einen Hund – das ganze Gassigehen bliebe an dir kleben, darauf hast du auf Dauer keine Lust, ist ergo auch gestrichen. Außerdem wieder die Laminat-Problematik...
Oder mehr Zeit mit dem Referendar – ist unmoralisch, gehört sich nicht, wäre aber dennoch reizvoll.
Hör auf zu träumen!
Florian kam abends auf die Minute pünktlich nach Hause. Nach dem Gespräch morgens in der Küche hatte er es nicht gewagt, einen erneuten Liebesabend mit Sandra zu verbringen, so dass sie es heute bei einem Quickie in der Mittagspause oben im Treppenhaus belassen mussten.
Seine Frau war kaum wiederzuerkennen, und die neue Frisur stand ihr wirklich gut. Er war überrascht und verunsichert zugleich: Ahnte sie etwas? Woher dieser plötzliche Sinneswandel von der unauffällig schlichten Frau zur herausgeputzten Schönheit? Dass sie schön war, hatte er natürlich immer gewusst, doch sie hatte diese Schönheit schlummern lassen. Nun rannte sie zum Frisör und kaufte sich neue Klamotten, und sein eitles Ego kam nur zu einem Schluss: Sie ahnte etwas und wollte ihn so halten.
Im Bett hatten sie endlich mal wieder Sex, wenn auch keinen besonders guten. Zumindest im Vergleich mit Sandra. Aber er fühlte sich verpflichtet, um ihr Misstrauen zu durchbrechen, also kam er seinen, wie es so schön hieß, 'ehelichen Pflichten' nach. Doch es fühlte sich wirklich an wie eine Pflichtveranstaltung.
Kirsten spielte irgendwann einen Orgasmus vor, um endlich ihre Ruhe zu haben, woraufhin er kam und im Bad verschwand. Als er wieder zurückkam, stand sie auf, drückte den Mausi-Alptraumschlafanzug eng an sich und huschte ebenfalls ins Bad, wo sie ausgiebig duschte und sich die Zähne putzte. Bei ihrer Rückkehr ins Schlafzimmer war Florian längst eingeschlafen und schnarchte leise.
Der Rest der Woche verging wie im Fluge. Die Kosmetikerin drückte wie befürchtet an ihren Poren herum, zupfte, cremte und verwöhnte. Hinterher glänzte Kirsten wie eine fleckige Speckschwarte, fleckig, speckig, aber dennoch glücklich und erholt. Sie eilte in ihr Auto, denn bei ihrem Glück würde sie so noch jemanden treffen, der sie kannte, und ihren Anblick after Wellness wollte sie der Weltöffentlichkeit denn doch ersparen. Florian spöttelte abends über ihr Aussehen und ging dann noch joggen. Sie ging früh ins Bett, um ausgeruht für den morgigen Tag zu sein. Dass ihr Mann erst um vier Uhr wieder zu ihr ins Schlafzimmer kam, merkte sie nicht.
Und dann war er gekommen, der große Tag. Florian war missmutig gewesen, als er von den ganzen Terminen hörte, die Kirsten heute ausgemacht hatte. Zur Kosmetikerin fürs Makeup und zur Frisörin wegen der Haare (bei ihrem mangelnden Stylingtalent saß der Bob nämlich nicht mehr ganz so perfekt, und die Haare waschen musste sie sich ja schließlich), danach würde sie direkt zu der Firma kommen, für die er in der Rechtsabteilung arbeitete.
Um 18 Uhr war es dann soweit: Kirsten betrat das Gebäude mit einem Puls jenseits von Gut und Böse. In ihrem ungewohnt tiefen Dekolletee, zusätzlich geschönt durch einen Push-up, leuchteten Hektikflecken, ausgerechnet. Zum Glück war sie gestern noch einmal in dem schicken Laden vom Montag gewesen und hatte nach einem Jäckchen gefragt (Ullas Idee), und in der Tat gab es einen passenden Bolero, der nun beim Retuschieren der Hektikflecken (oder waren es Panikflecken?) behilflich war. Den Tipp der Kosmetikerin hatte sie befolgt und bräunende Körperlotion benutzt. Tatsächlich hatten die wenigen Male cremen genügt, um ihr eine sanfte Bräune zu verleihen, wenn sie auch in den Kniekehlen und an den Knöcheln eindeutig überpigmentiert war und den Teint einer Orange angenommen hatte, einer Orange mit Sonnenbrand.
Sie betrat den Fahrstuhl und fühlte sich wie ein Delinquent auf dem Weg zum Schafott, denn ihre Zuversicht schwand von Minute zu Minute. Was erhoffte sie sich von diesem Abend? Glaubte sie wirklich, dass sie mithilfe eines aufgehübschten Äußeren die Männer bzw. den einen Mann für sich erhitzen konnte? Am liebsten hätte sie auf den bequemen Absätzen kehrt gemacht, doch dafür war es zu spät, denn die Fahrstuhltür öffnete sich. Du machst dich lächerlich, du bist hier in einer Büroetage und nicht auf dem roten Teppich! LÄCHERLICH!!! Kirsten betrat den schlichten Flur der Rechtsabteilung, der mittels Girlanden aus Kunsttanne, riesigen roten Plastikschleifen und Mistelzweigen aufgepeppt worden war. Miss Sophie und Butler James aus Dinner for one huschten ihr durch den nervösen Kopf: Same decoration as last year, Miss Sophie? Same decoration as every year, James.
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