1 ...7 8 9 11 12 13 ...18 Wieder zurück in der Kabine holte sie das letzte Kleid vom Bügel und zog es an. Der kühle Seidenstoff schmiegte sich an ihren Körper und sie konnte kaum glauben, dass sie tatsächlich in dem schicken Fummel eine gute Figur machte. Mutig schritt sie aus der Kabine vor den Spiegel und sprach laut aus, was die Verkäuferin dachte: „Das ist es!“
„Ja, das sieht wirklich toll an Ihnen aus. Als hätte es hier auf Sie gewartet!“
Zufrieden ging Kirsten zurück in die Kabine und schielte auf das Etikett. 380 Euro, doch bei ihrem prallen Konto kein Problem. Du gehst so selten shoppen, heute haust du mal richtig was auf den Kopf. Dennoch nahm sich Kirsten vor, noch heute online an Unicef und den WWF zu spenden. Sie schaute das zweite Kleid kurz an und fasste den Entschluss, dass ihr Haben heute würde richtig bluten müssen, denn es wanderte auch mit an den Glastresen zur Kasse. Wann kaufst du dir sonst mal was? Ein Anlass zum Tragen ließe sich sicherlich finden. Und die Schuhe kaufte sie auch noch, denn auf denen konnte sie trotz der beachtlichen Höhe gut laufen. Als sie die Verkäuferin an der Kasse darauf ansprach, erklärte diese lächelnd:
„Das sind Karreeabsätze, auf denen läuft es sich wirklich gut. Viele Kundinnen kaufen diese Schuhe gleich mit dazu.“
„Dann bin ich auch so eine Kundin.“
Kirsten zückte ihre EC-Karte und bezahlte. Als sie die Summe hörte, musste sie allerdings kurz schlucken, denn sie war es nicht gewohnt, so viel Geld auf einmal auszugeben, doch heute tat es ihr nicht wirklich weh, ganz im Gegenteil. Außerdem hatte sie ja noch ihren Welt-retten-Plan mit den Spenden.
Die Erkenntnis beflügelte sie geradezu, denn offensichtlich hatte sie es auf Anhieb gefunden, das perfekte Kleid. Nun konnte der Samstag kommen.
Die Zahnpastalächelnde packte alles so sorgfältig ein, als verstaue sie das Zarengold. Sie reichte Kirsten die edlen Tüten und öffnete ihr lächelnd die Tür.
Die kann jetzt zumachen, die hat für heute ihr Soll erfüllt.
Sie beschloss zur Feier des Tages in der Stadt noch etwas zu essen und entschied sich für ein hübsches italienisches Restaurant. Sonst ging sie nicht häufig in Restaurants, doch heute bestellte sie sich Bruscetta, Linguine mit Garnelen und Panna Cotta als Dessert. Sie war regelrecht in Stimmung, Geld auszugeben, nein, Geld herauszuhauen. Kurbel die Wirtschaft an, mach noch ein bisschen weiter damit.
Gestärkt von dem Essen machte sie noch einen Bummel durch die Geschäfte und fand viele schöne Teile. Im Gegensatz zu ihren sonstigen Bummeln kaufte sie heute alles, wirklich alles, von den Ohrringen über den Pullover bis hin zu den Wildlederstiefeln für 160 Euro. Da würde der liebe Florian bestimmt heftig schlucken, aber egal. Es war doch ihr Geld.
Bepackt mit Tüten wie ein Lastenesel kam sie zurück ins Parkhaus, bezahlte ohne mit der Wimper zu zucken die neun Euro Parkgebühren und fuhr bester Laune durch den aufkommenden Feierabendverkehr nach Hause. Heute störte sie sich nicht einmal an der relativ lahmen Lüftung ihres schicken schwarzen Kombis, die kaum damit hinterherkam, die Scheiben frei von Beschlägen zu halten.
Daheim holte sie mit großer Sorgfalt ihre Neukäufe aus den Tüten und platzierte alles im und am Kleiderschrank. Das war wie Weihnachten und Geburtstag an einem Tag. Sie zog sich das Seidenkleid noch einmal an und stand ungläubig vor dem Spiegel. Was für ein Kleid! Den Rest des Nachmittages verbachte sie mit Telefonaten. Zunächst erzählte sie ihrer besten Freundin Ulla von allem, was passiert war, reduzierte das Zusammentreffen mit Christoph am Samstag aber auf eine nette Unterhaltung in der Küche. Ihre Aufregung deswegen verschwieg sie vorsorglich, denn sie wusste, dass die bodenständige Ulla wenig Verständnis für Kirstens Schwärmerei haben würde, dabei sah sie sich selber heimlich Fotos von Leonardo di Caprio im Internet an und ging in jeden Film mit ihm. Als sie von der Weihnachtsfeier berichtete, war Ulla zwar erstaunt, pflichtete Kirsten dann aber bei: „Du musst wirklich wieder mehr unter Menschen, Kiki, das Zusammensein mit deinem stummen Vater ist nicht gut für dich. Du warst früher so eine lustige Nudel! Und wenn dieser Typ so nett ist, hast du vielleicht endlich mal einen da, mit dem du eine Runde quatschen kannst.“
Kirsten fasste das als erteilte Absolution auf, wenn auch eine zurechtgedrehte. Quatschen ist also zumindest erlaubt, das ist doch schon mal ein Anfang.
Neugierig geworden auf das gründlich beschriebene Kleid wollte sie morgen vorbeikommen, wenn sie ihre kleine Tochter zum Reitunterricht gebracht hatte.
Dann rief Kirsten gleich noch im Kosmetiksalon an und vereinbarte für Donnerstag einen Termin. Als das Telefon wieder klingelte, nahm sie ab und meldete sich nur mit einem „Ja?“.
Es war Florian.
„Kiki, ich komme heute etwas später, warte mal lieber nicht mit dem Essen auf mich.“
„Kein Problem, ich habe schon gegessen.“
Sie merkte, wie er zögerte.
„So?“, fragte er verunsichert, denn das hatte sie noch nie gemacht.
„Ich hab mir ein ganz tolles Kleid gekauft und war danach beim Italiener!“, gab sie fröhlich zurück. Eigentlich zwei tolle Kleider, aber was soll's. Interessiert ihn sowieso nicht.
„Das ist aber schön“, sagte er nur und klang dabei völlig verstört.
„Ich werde dann schon früh ins Bett gehen“, sagte sie weiter, „ich habe noch so ein spannendes Buch liegen und wollte heute Abend das Ende lesen.“
„Nur zu“, antwortete er, „ich werde leise sein, wenn ich komme.“
„Bis dann!“, verabschiedete sie sich.
„Ja, bis dann“, sagte er und legte auf.
Puh, das war einfacher als erwartet. Während er mit Kirsten sprach, hatte Sandra sich erwartungsfroh in der Tür zu seinem Büro postiert und gestrahlt, als er den Daumen nach oben streckte. Wundern tat er sich aber dennoch über seine Frau, die plötzlich shoppen ging und sich danach noch ein Essen beim Italiener gönnte, ganz allein! Das kannte er von ihr gar nicht.
Er ging zu Sandra und küsste sie zärtlich, dann gingen sie eng umschlungen zur Garderobe und holten sich ihre Sachen. Sie waren die letzten in ihrer Abteilung und konnten ihr Versteckspiel für heute aufgeben. Sie würden den Abend in ihrer kleinen Wohnung verbringen und er würde erst spät aufbrechen zu seiner Frau, die ja mit ihrem Krimi früh schlafen gehen wollte und so einen festen Schlaf hatte, dass sie gar nicht merken würde, wenn er erst mitten in der Nacht von seiner Geliebten zu ihr zurückkehrte. Wer hätte gedacht, dass es so einfach war, eine außereheliche Affäre zu haben.
Als sie mitten in der Nacht von dem blassen Licht geweckt wurde, das aus dem Badezimmer ins Schlafzimmer fiel, warf sie einen verstörten Blick auf ihren Wecker. Es war drei Uhr morgens.
Am nächsten Tag rief sie noch vor der Fahrt ins Büro beim Frisör an und hatte Glück. Bei Henriette, ihrer Stammfrisörin, war noch ein Termin um Viertel nach eins zu haben. Perfekt. Die würde sich wundern, versuchte sie doch in regelmäßigen Abständen, Kirsten eine neue Frisur aufzuhucken. Auf den Tag wartete Henriette seit Jahren.
Sie zog sich mutig die neue enge Jeans an, dazu die neue Bluse in Lila und die Wildlederstiefel, in die sie ohne große Probleme hineinschlüpfte. Mit einem langen Schuhlöffel ging vieles, das man vorher nicht für möglich gehalten hatte. Sie sandte ein Stoßgebet zu der Verkäuferin, die ihr den Schuhlöffel angepriesen hatte wie Sauerbier.
Florian sah erstaunt auf, als sie in ihrem Outfit in die Küche stöckelte.
„Guten Morgen!“, flötete sie fröhlich.
„Morgen“, kam es zurück, doch mehr sagte er nicht, kein Kompliment, kein nichts, kein gar nichts. Enttäuschung machte sich in ihr breit, aber was hast du von ihm erwartet? Komplimente sind nicht sein Ding, Aufmerksamkeit ist auch nicht sein Ding.
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