Meine Schritte hatten einen ungehörig lauten Hall in der morgendlichen Stille, die nur das erste Zwitschern der frühen Vögel durchdrang.
Am Bahnhof warteten nur wenige Menschen, ich nahm einen der ersten Züge.
Ich war entsetzlich müde, aber ich konnte während der Fahrt nicht mal dösen. Ich war hellwach.
Erst in meiner Wohnung in Frankfurt, über der Kneipe, in meinem Schlafzimmer, das unaufgeräumt im fahlem Licht des Morgens lag, konnte ich die Augen schließen.
Ein Flugzeug brummte über der Stadt, ungeduldiges Hupen kam von der Straße und das sanfte Ansurren der Bahnen. Das löste den engen Strick um meinen Hals. Alle diese Menschen, die in ihrer frühmorgendlichen Mürrischkeit aneinander vorbei hasteten, sich nicht kannten und nie kennenlernen würden, ja, da konnte ich schlafen.
In die Kneipe kamen die üblichen Feierabend- Typen.
Die Schnell- noch- ein- Bierchen- Papas und die ersten Schlampen, die Leere ihrer ungeputzten Wohnung nicht ertragen konnten, überbrückten die Zeit bis zu den Schluckspecht- Kunden.
Ivoco, meine Bedienung, verspätete sich.
Statt dessen schneite Benny herein.
Das erste, was er mir zurief, war:
”Kriege ich Nächsten Sommer meinen Job wieder?”
Ich zapfte ihm ein Bier an.
”Vergiss es, du bist zu fett für meine Schürzen geworden.”
Jeden Sommer stellte ich eine Studentin für den Biergarten im Hof ein. Letzten Mai warf ich nacheinander drei faule, ungeschickte Schlampen hinaus.
Dann tauchte Benny auf. Er studierte irgendeine Wirtschaft, konnte gut Kopfrechnen und zerbrach nicht mehr Gläser als ich erwartete. Zu spät kapierte ich, dass er schwul bis hinter beide Ohrläppchen war.
Ob er seine Bettlaken mit Weiblein, Männlein oder jungen Hunden füllte, war mir egal, aber ich wollte nicht, das meine Kneipe zum Schwulentreff geriet.
So etwas konnte ein Lokal verdammt schnell Abstürzen lassen.
Ich hatte zu hart für meine Kneipe gearbeitet, um dies zulassen zu können.
”Ich will nur noch von echten Stuten bedient werden,” sagte Karl, ein Stammkunde. Ich warf ihm einen kurzen Blick zu.
”Ja, aber die nicht von dir.”
Die anderen lachten grölend, während ich das Bier verteilte.
Benny sah mich mit großen Glubschaugen an.
Verdammt, warum konnte ich den Kerl nur so gut leiden? Er hatte ein breites, gutmütiges Gesicht und Augen, die wenig übel nahmen.
Er war gerade mal so groß wie ich und kaum schwerer, sein Haar hatte eine weiche Nußschalenfarbe. Doch wenn er seine weibische Nummer als Fernseh- Schwuler hinlegte, nervte er mich echt.
”Isa, Liebste, sei kein Macho, ich brauche den Job. Ich lasse mir ja auf den Hintern klopfen und Geldscheine ins T- Shirt stecken.”
Ich blickte gepeinigt zur Decke.
”Du solltest MIR was zahlen für den Job”
Die Kerle am Tresen lachten schon wieder.
”Ich muss jetzt Taxi fahren. Ich hasse den Job. Mir ist morgens schon schlecht, wenn ich nur daran denke.”
”Soll mich das wundern?
Jeder Kerl, der hier ein Taxi fährt, weiß, das er irgendwann mal zusammengeschlagen und beklaut wird. Jede Frau, die diesen Scheiß- Job nimmt, muss sich darüber im klaren sein, mal einfach so flachgelegt zu werden. Aber DU ... trägst doppeltes Risiko.”
Jetzt grölten die Typen an der Theke richtig los.
Ich hatte keine Ahnung, warum die so lachten.
Das war wie mit diesen amerikanischen Sendungen, die ich morgens beim Staubwischen ansah. Jemand sagte etwas ganz normales und schon wieherten hundert unsichtbare Leute los.
Ich konnte es mir nicht erklären.
Ich war mir sicher, ich hatte in meinem Leben noch nie was Komisches gesagt.
Endlich kam Ivoco. Ich brauchte nur einen Blick in ihr Gesicht zu werfen, um zu wissen, was los war.
Sie sprach nur Englisch, immer noch, obwohl ich sie in diesen kostenlosen Kurs schickte.
Sie murmelte, das sie sofort mit dem Salat und den Schnitzeln anfangen würde und verschwand in der Küche.
Benny besah mich mit einem dieser Blicke, den er besser Zuhause gelassen hätte.
”Läuft ihre Zeit ab?”
Ich zuckte die Schultern und sah in den Spiegel, überprüfte mein Make- Up.
Ich hatte ein sehr ebenmäßiges Gesicht. Es war leicht zu schminken. Hatte ich ihm einmal einen Ausdruck aufgemalt, behielt es diese Maske bis zum Schließen der Kneipentür.
Es war ein braves Gesicht.
Ivoco hatte kein braves Gesicht.
Man konnte in ihm lesen wie in einem aufgeschlagenem Buch.
Als sie vor fast drei Monaten kurz nach Öffnung meiner Kneipe hereingekommen war, hatte ich sofort Bescheid gewusst.
Einen Moment lang war ich total sauer gewesen.
Ich hatte mir geschworen, nach Binary keine dieser Frauen mehr einzustellen. Ich hatte Ahnung, ich konnte mir nichts mehr vormachen.
Für Pi- Joy war ich verantwortlich.
Mit der hatte mein Ärger angefangen.
Die hatte ich selbst aufgelesen. Sie hatte lag zitternd zwischen den Mülltonnen im Hof. Ich hatte sie aufgerafft, gefüttert und zur Polizei gebracht.
Ich dachte, damit wäre die Geschichte für mich erledigt, aber nee, so lief das bei mir nie.
Pi- Joy war ein fünfzehnjähriges Mädchen, das illegal nach Deutschland geschmuggelt wurde, um hier als Sex- Sklavin verbraucht zu werden. Die übelste Variante, mit Prügel und in ein Kellerloch gesperrt.
Als die Bullen kamen, um das Loch aus dem sie geflohen war, auszuheben, waren die fiesen Typen schon alle weg.
Dafür stand in der nächsten Nacht mein Laden in Flammen.
Nicht lustig, gar nicht lustig.
Witzig war allerdings, das ich eine Super- Versicherung besaß. Die hatte mir damals dieser schwitzende Typ aufgeschwatzt, der so pomadig daher quatschte, das ich Angst hatte, er wurde ewig und drei Tage an der Theke kleben bleiben, wenn ich nicht unterschrieb.
Ich hatte große Zweifel gehabt, das der Vertrag tatsächlich etwas taugte, aber sie erstatteten mir mehr, als das verbrannte Zeug wert war.
Und Pi- Joy bekam anständige Pflegeeltern. Davon überzeugte ich mich persönlich, denn das mit der Versicherung lief praktisch von selbst.
Im Nu stand meine Kneipe wieder. Schicker als vorher.
Damit dachte ich, wäre die Sache erledigt.
Ich könnte in Ruhe weiterleben.
Hoffen konnte man ja, oder?
Leider tauchten dreimal hintereinander echt fiese Kerle auf und demolierten mir den Laden.
Beim letzten Mal kündigte mir meine nette Versicherung den Vertrag.
Machte aber nichts.
Denn am diesem Tag saß der Neffe des hiesigen Paten in meiner Kneipe.
Nein, ich hatte den nicht angerufen und um Beistand gebeten. Ich wusste ja nicht mal, das es diese Typen gab.
War eigentlich eine lustige Sache.
Django war zwei Meter hoch, einen guten Meter breit und bestand nur aus Muskeln und Blödheit.
Echt, sein Onkel, der Pate, hatte ihm gleich zwei Leibwächter zugeteilt, damit Django über die Straße kam, ohne dabei überfahren zu werden.
Django sollte ihn hier in Deutschland unterstützen, aber nicht nur mir kam der Gedanke, die heimatliche Mafia hatte ihn einfach abgeschoben, weil Django, nee, Django, der so gerne mit seiner Knarre rumfuchtelte, war ein echter Chaot.
Um ihn herum gingen jede Menge Sachen kaputt, ohne das er irgendwie dafür konnte.
Jedenfalls suchte er sich haargenau meine nette Kneipe aus, als diese drei hirnlosen Schlägertypen von den Thais wieder auftauchten und ihre Ninja- Nummer bei meinen (inzwischen rar gewordenen Kunden ) abzogen.
Django fand Thais Scheiße und sagte das auch, die Sache endete dann mit einem halbtoten Thai (brach sich etliche Knochen, als er durch das große Fenster nach draußen flog ) und einem verletzten Django. ( Hatte sich selbst in den Fuss geschossen, der Schwachkopf.- Verblutete nur nicht, weil ich ihm einen Druckverband anlegte.)
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