Dennoch wurde seine Neugier von Nacht zu Nacht größer und verdrängte dabei jede rationale Vorstellung. Dabei drängten sich ihm die unmöglichsten Erklärungen für dieses Phänomen auf.
Rasch stand er auf und lief in den Flur.
Er schob den Vorhang etwas zur Seite und späte durch den kleinen Spion in der Tür.
Alles im Flur sah verzerrt und unnatürlich aus. Hinzu kam die Dunkelheit, die nur durch das spärlich einfallende Licht der Hoflaterne, die von unten durch die Flurfenster schien, etwas aufgehellt wurde. Doch was er sah genügte, um die geschlossene Luke in der Decke des Flurs zu erkennen.
Er lief zurück ins Wohnzimmer und lauschte.
Für einen Moment lang, war es still, dann hörte er es wieder!
Dumpfe Schläge, so als würde Jemand mit enormem Gewicht dort oben auf und ab gehen. Es waren die Schritte von mehreren Personen. Robert drehte seinen Kopf, um sein rechtes Ohr auf die Geräusche ausrichten.
Vielleicht gab es eine Verbindung vom Nachbarhaus, die hinauf, in den Bereich über seiner Wohnung führte, dachte er, während er immer noch lauschte. Das würde auch erklären, warum die Deckenluke geschlossen war, obwohl dort oben jemand entlang lief.
Soweit er wusste, waren die Keller früher miteinander verbunden gewesen. Warum sollte das beim Speicher nicht auch der Fall gewesen sein und vielleicht war es heute noch so.
Außerdem fiel ihm keine andere Erklärung ein.
Dort oben gab es nichts.
Nicht über seiner Wohnung.
Plötzlich schüttelte er den Kopf und richtete die Augen auf die Decke.
Diese Erklärung klang zu verrückt.
Die Keller waren miteinander verbunden gewesen, weil sie im zweiten Weltkrieg als Bunker gedient hatten. Bei den Dächern war das mit Sicherheit nicht so gewesen. Wer hätte sich bei einem Bombenangriff auf dem Dach versteckt?
Es musste eine andere Möglichkeit geben!
Vielleicht war dort oben überhaupt niemand und der Lärm, entstand irgendwo anders. Der ungenutzte Hohlraum unter dem Dach, könnte den Lärm doch weitertragen. So wie diese Bechertelefone, die sich seine Kinder immer gebastelt hatten. Zwei einfache Becher, mit einem Loch im Boden durch das man eine Schnur steckte. Dort oben könnte es ein Bauteil geben, das ebenso die Schallwellen übertrug, wie eine Schnur und der ganze Speicher diente als Resonanzkörper.
Für Robert schien dies im Moment die einzig vernünftige Erklärung zu sein und wenn das wirklich der Grund für diesen Lärm war, dann sollte er die Hausverwaltung über diese abendliche Lärmbelästigung informieren. Schließlich hatte er ein Recht darauf, nach acht Uhr abends seine Ruhe zu haben.
Während Robert noch darüber nachdachte, fragte er sich, ob er der Sache nicht auf den Grund gehen sollte.
Dabei ertappte er sich dabei, dass er die Entscheidung bereits längst getroffen hatte.
Er suchte nach einem Nagel, den er durch den Stiel des Besens schlagen konnte, um so einen Haken, für die Öse zu basteln, mit der man die Luke hinunter ziehen konnte. Doch so lange er auch in seiner einfachen Werkzeugkiste suchte, er fand keinen.
Dabei fiel ihm auf, dass es wieder still geworden war.
Robert stand im Flur und lauschte. Nichts rührte sich.
Nur das Flimmern des Fernsehers, der im Nebenzimmer stand, drang in den düsteren Flur und dann durchbrach der Lärm eines Autos, dass die Straße hinunter raste, die Stille in seiner Wohnung.
Von oben war nichts mehr zu hören.
Robert legte den Besen weg, ging zurück ins Wohnzimmer und setzte sich wieder vor den Fernseher. Er schaltete den Ton wieder ein und schluckte kurz.
Dann verfolgte er einige Sendungen, während er unterschwellig immer noch lauschte.
Doch es blieb ruhig.
Donald Herb schleppte zu dieser Abendstunde wieder seinen Körper die Straße hinunter und obwohl es jetzt bergab ging, kam ihm der Weg fast genauso beschwerlich vor, wie heute Morgen.
Vermutlich war es die Müdigkeit, die ihm so zusetzte. Zumindest redete er sich das ein.
Er umschloss mit seinem Arm die Plastiktüte, mit den Bierflaschen, die sein letztes Geld verschlungen hatten und sah zu, dass er endlich nach Hause kam.
Er würde noch ein bisschen Fernsehen und ein paar von den Bieren kippen, dachte er und dabei langsam einschlafen.
So sah sein allabendliches Programm aus und er war froh darüber, denn so konnte er am leichtesten den Ärger vergessen, den er den ganzen Tag über zu schlucken bekam.
Dabei spielte es keine Rolle, ob es der Ärger mit den Ämtern war, die ihn nicht verstanden, oder seinen Freunden, die über ihn lachten, wenn man sie denn überhaupt als Freunde bezeichnen konnte.
Eigentlich hatten sie sich nur so zusammengefunden und ob seine Anwesenheit erwünscht war, konnte er nicht einmal mit Gewissheit sagen.
Vielleicht gehörte er ja gar nicht zum Club!
Vielleicht war er für sie nichts anderes, als so ein armes Schwein. Einer von denen, die er früher gequält hatte. Damals, als er noch ein echter Kerl gewesen war. Jetzt waren sie die echten Kerle.
Don fluchte leise vor sich hin, wobei die Erinnerung an die alten Tage, ein verschmitztes Lächeln auf sein dickes Gesicht zauberte, das aber ebenso schnell verschwand, wie es gekommen war.
Denn in seinem Innersten ärgerte er sich.
Etwas weiter unten, machte die Straße eine kleine Biegung und mit einem Mal, hatte ihn das Dunkel der Nacht, gänzlich umhüllt und er kam sich fast lächerlich vor, als er sich dabei ertappte, wie ihn ein ängstlicher Schauer überkam.
Ausgerechnet ihn, den schlimmsten Kerl der Stadt!
Nicht er sollte Angst haben, sondern die Dunkelheit!
Er warf einen verärgerten Blick nach oben und stellte fest, dass die beiden Laternen, die auf diesem Wegstück standen, nicht leuchteten.
Eine glühte schwach, die dahinter leuchtete überhaupt nicht.
Don legte eine kurze Verschnaufpause ein und stellte den Beutel ab, wobei er peinlichst genau darauf achtete, dass keine der Flaschen im Beutel umfallen konnte.
Um dies zu bewerkstelligen, legte er eine schon fast akrobatische Fingerfertigkeit an den Tag. Während er die Tüte, mit Daumen und Zeigefinger festhielt, ertastete er durch das Plastik, nacheinander die einzelnen Flaschenhälse, mit den restlichen Fingern seiner rechten Hand und stellte sie so aufrecht hin, bevor er die Tüte los ließ.
Mit seinen zittrigen Händen kramte er dann unter seiner Jacke, eine Zigarette hervor und warf das leere Päckchen achtlos hinter sich.
Gerade als er im Begriff war, die Zigarette anzuzünden, kam ein leichter Windzug auf, der ihn daran hinderte, den Tabak zu entzünden.
Es war nicht die Art von Wind, die er sonst verspürte.
Vielmehr war es so, als fächele ihm jemand Luft zu.
Eine freundliche Geste, dachte er und grinste innerlich.
Dabei stand er schweigend da und versuchte herauszufinden, woher der Windzug kam.
Suchend blickte er die Straße hinauf und hinunter, aber alles war ruhig. Der Luftzug war verschwunden und mit ihm, ein unangenehmer, fauliger Geruch, den er mit zu Don geweht hatte.
Was zur Hölle konnte so erbärmlich stinken?
Fragend stand er da.
Der Geruch war so abstoßend und ekelhaft, dass ihn fast ein Brechreiz überkam, wenn er nur daran dachte.
Alleine der Gedanke, brachte ihm diesen Geruch sofort wieder in die Nase, obwohl er ihn nur für den Bruchteil einer Minute bemerkt hatte.
Vielleicht war es der Gestank aus den Kanälen, unter der Stadt. So in etwa stellte er ihn sich vor. Dabei schaute er sich immer noch fragend um, während ihn die Dunkelheit umhüllte.
Er hasste diese verdammte Stadt mindestens genauso, wie sie ihn hasste. Warum sonst, war sein Leben so armselig verlaufen?
Nur drei Straßen weiter war er aufgewachsen.
Damals schon hatten ihn die Kinder immer nur fette Sau genannt.
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