Ich besuchte sie ein-, zweimal im Monat in ihrer Wohnung, meist wenn ich anderweitig nicht zum Schuss kam. Der Sex mit ihr fühlte sich ein bisschen an wie in einem Restaurant, ich bestellte, konsumierte und ging ohne irgendeine Verpflichtung, musste nicht einmal zahlen. Sie schickte sich geduldig in ihre Rolle, stellte niemals eine Forderung und ich rätselte, was sie sich wohl von ihrer Unterwürfigkeit versprach. Ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie möglicherweise darauf wartete, dass ich um ihre Hand anhielte. Sie harrte still und unverdrossen aus, war mir stets zu Diensten, wenn ich etwas brauchte, geschäftlich und von Fall zu Fall auch privat. Wie bequem, einen Notnagel für meinen sexuellen Drang zu haben. Mit der Zeit bürgerte sich ein seltsames Ritual zwischen uns ein. Konnte ich es vor Gier kaum mehr aushalten, stellte ich ihr eine rote Rose auf den Schreibtisch. Kurz darauf fand ich in meiner Unterschriftenmappe eine Telefonnotiz: einundzwanzig Uhr bei mir. Nichts weiter. Kein in Liebe E., oder ein angedeutetes Herz, geschweige denn ein Satz wie: ich freue mich, oder ich sehne mich nach dir.
Wir trafen uns mit schöner Regelmäßigkeit in ihrer Wohnung. Sie wollte ihren Jungen nachts nicht alleine lassen und wir mussten warten bis er schlief, obendrein durften wir keinen Lärm machen um ihn nicht zu wecken. Gott sei Dank hatte das Kerlchen einen festen Schlaf und so stand er in all den Jahren nur ein einziges Mal weinend in der Tür und rieb sich schlaftrunken die Augen. Erika lebte in einer Zweieinhalbzimmer-Mansardenwohnung in der Fürstenrieder Straße, direkt unter dem Dach. Eine für Münchner Verhältnisse billige Genossenschaftswohnung aus den 60er Jahren mit einer knarzenden Stiege und dem muffigen Geruch von Sauerkraut und Bohnerwachs im Flur. Das schräge Dachfenster ließ sich nur zum Lüften öffnen, dann brandete der Lärm der vorbeischießenden Autos ohrenbetäubend ins Zimmer. Zur verabredeten Uhrzeit keuchte ich die Treppe hinauf, stand atemlos vor ihrer nur angelehnten Tür. Sie wartete im Wohnzimmer auf mich. Wir wechselten ein paar belanglose Worte. Sie holte aus der Anrichte zwei rosafarbene Schnapsgläser, schenkte sie bis zum Rand voll mit einem widerlich süßen Nusslikör, den sie vor langer Zeit einmal aus Italien mitgebracht hatte und den sie seit dieser Zeit immer wieder nachkaufte. Hoffentlich nicht für mich, denn ich fand das pappige Gebräu scheußlich. Weiß der Teufel, welche Erinnerungen der Likör in ihr weckte. Es kostete mich einige Überwindung den alkoholisierten Zucker hinunterzuwürgen ohne das Gesicht zu verziehen und so zu tun als schmecke mir der Schnaps. So hatte auch dieses Vergnügen seinen wenn auch geringen Preis. Sie zündete sich eine Mentholzigarette an, inhalierte ein paar Züge.
„Wollen wir?“
Ich nickte. Sie erhob sich, trotz ihrer Leibesfülle erstaunlich behände, klappte die Schlafcouch auf und schichtete die Polster sorgfältig neben dem Bett auf. Der Glimmstängel hing noch in ihrem Mundwinkel, während sie ein frisches Badetuch aus dem Schrank fischte und über der Liegestatt breitete. Alles in ihrer Wohnung wirkte billig. Sie legte keinen Wert auf irgendwelchen Schnickschnack, sauber zwar aber mit dem Geruch von Kernseife. Ab und zu fragte ich mich, was ich eigentlich bei ihr wollte. Sie drückte den Zigarettenstummel in den Aschenbecher, kleidete sich langsam aus, faltete Rock und Bluse ordentlich zusammen, legte sie über die Sessellehne. Am Anfang unserer Liaison hatte mich dieser Striptease noch erregt, doch inzwischen sah ich kaum mehr hin. Nackt stand sie vor mir, im Laufe der Jahre ein wenig aus dem Leim gegangen. Es schien sie nicht zu stören. Sie dimmte das Licht herunter und drapierte sich auf dem Bett, die kräftigen Schenkel auseinandergespreizt. Es kam ihr nicht in den Sinn, dass es auch andere Stellungen, als den Missionar geben könnte und ich fühlte mich nicht berufen ihr etwas Neues beizubringen. Der Sex mit ihr war eine unverzichtbare Notlösung ähnlich dem monatlichen Gang zum Frisör, mehr nicht. Sie tat mir leid in ihrer nackten, verwelkenden Schönheit. Hatte sie mich anfangs noch animiert, so missbrauchte ich sie schon seit Jahren nur noch zur Triebabfuhr. Manchmal kam ich mir schäbig dabei vor. Ihr aber schien es nichts auszumachen, dass ich sie schlecht behandelte.
Ich bohrte mich in sie. Sie ließ es über sich ergehen, ohne einen Laut des Missfallens oder ein erregtes Stöhnen. Ihre Augen starrten ungerührt durch mich hindurch, durch die Decke und durch das Dach bis in den Himmel. Des Öfteren machte mich ihre Teilnahmslosigkeit wütend und ich stieß besonders hart zu, wollte wenigstens einen Schmerzenslaut aus ihr herauspressen. Ich biss sie in den Busen, wohl wissend, dass sie tagelang unter den blauen Flecken zu leiden hatte.
Aber sie, die Unnahbare, zeigte keinen Schmerz. Ich zweifelte, ob sie überhaupt Gefühle dabei empfand. Oder wollte sie mir diesen Triumph nicht gönnen? Bewahrte sie sich auf diese seltsame Weise ihr letztes Quäntchen Würde? Im Laufe der Zeit wurde der Sex mit ihr unmerklich so erotisch wie das Diktat eines juristischen Schriftsatzes. Trotzdem wollte ich nicht von ihr lassen. Entsprach diese Art von Beischlaf nicht genau meinen Vorstellungen? War es nicht das, was ich verzweifelt suchte? Sex ohne jede Verpflichtung.
Wälzte ich mich schweißgebadet von ihrem massigen Leib, zündete sie sich als erstes eine Zigarette an. Die Glut leuchtete im Halbdunkel wie ein verängstigtes Glühwürmchen. Wir sprachen nicht. Still rauchte sie während ich meine Sachen zusammenklaubte und in Hemd und Hose schlüpfte.
„Bis morgen“, murmelte ich.
Sie lag wie versteinert, auseinandergeflossen, antwortete nicht, folgte mir nur wachsam mit ihren Rauschgoldengelaugen. Ich zog die Wohnungstüre leise hinter mir zu. Warum nur spürte ich nach dem Sex mit ihr immer so ein mieses Gefühl in der Magengegend. Bei meinen anderen nächtlichen Abenteuern erlebte ich das nicht. Da schlug mich der Reiz des Neuen, des Flüchtigen in seinen Bann. Suchte ich vielleicht tief in meinem Inneren doch noch nach etwas anderem? Allein wonach ich suchte, dass wusste ich nicht.
Im Büro riefen wir uns mit Nachnamen.
Eine Woche später fand das Fußball-Sommermärchen ein jähes Ende. Ein schwarzes Ungeheuer aus Italien namens Balotelli mit halb kahlgeschorenem Schädel bombte Deutschland vom Platz. Die Vision der Europameisterschaft platzte wie ein mit Träumen und Erwartungen zu prall gefüllter Luftballon. Über Nacht verschwanden die Fahnen in den Fenstern und die Autowimpel, wanderten schamhaft in den Kofferraum.
Mein Wunschtraum, von einem Abenteuer mit der schönen Unbekannten jedoch, zersprang nicht. Im Gegenteil, er wuchs sich zur Obsession aus, die mich tagsüber besonders aber des Nachts, wenn ich halbwach im Bett lag, plagte. Sie ähnelte meinen nächtlichen Jagdausflügen mit dem einzigen Unterschied, diesmal konzentrierte sich meine Sehnsucht auf eine einzelne Person. All meine Gedanken kreisten nur noch um sie und ich überlegte krampfhaft, wie ich sie auf unverfängliche Weise wiedersehen könnte. Vor meinem geistigen Auge malte ich mir aus, wie wir uns küssten, miteinander im Bett landeten. Das Prickeln in meinem Bauch, als hätte ich ein Glas Champagner getrunken, wollte auch nach einer Woche nicht weichen. Die Sehnsucht überrumpelte mich mit ungeahnter Wucht, ich konnte mich im Büro nicht mehr konzentrieren und Erika machte mich vorwurfsvoll auf drei schwerwiegende Fehler aufmerksam. So konnte es nicht weitergehen.
Ich beschloss nach ihr zu suchen, auch wenn meine Chancen sie zu finden gegen Null gingen. Ich kannte ja nicht einmal ihren Namen. Das Trugbild ihres halb entblößten Busens raubte mir den Verstand und ich bemerkte wie ich häufiger mit meinem kleinen Freund in der Hose dachte als mit dem Kopf. Natürlich hätte ich schnurstracks in die Bar laufen können, doch dazu fehlte mir ohne Alkohol der Mut. Ich wusste sie arbeitete nicht jeden Tag dort und außerdem kam ich mir unendlich peinlich vor. Älterer Mann steigt jungem Mädchen nach, das Gerede konnte ich mir lebhaft vorstellen.
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