»Elisabeth, so soll sie heißen.« Wolfgang nickte und strich seiner Frau abwechselnd liebevoll über die noch immer geröteten Wangen. »Es ist ein Wunder.« Margarethe lächelte. »Ja, sie ist ein Geschenk des Himmels.«
Kapitel III
11. Des Ankh 534 (279 Jahre später) | Festung Nimro
– abseits der Grenze
Die zahllosen Stimmen, welche durch die verlassen gelegenen Gänge hallten, verwoben sich zu einer monotonen Bracke. Wie sich brechende Wellen trieben diese unerbittlich gegen die moosbewachsenen, schroffen Felswände der Festung. Zwischen den spärlich gesäten Lücken des saftigen Grüns hangelte sich in dünnen Rinnsalen die Feuchtigkeit herab. Das Geräusch der tropfenden Nässe untermalte das Grollen der Männerstimmen. Jene drangen weiter aus den tieferen Hallen herauf.
Die sieben Gestalten im Zentrum der großen Halle formten einen unsteten Kreis am Rande, einer, auf dem Boden von Runen und Linien durchzogenen, gemalten Kreidezeichnung. Ihre durchweg erdig gefärbten Umhänge ließen dabei den benötigten Kontrast vermissen, welcher sie vom Hintergrund der Szenerie abgehoben hätte. So verschmolzen ihre Leiber nahtlos mit den dahinter gelegenen Felswänden.
Kühl zog die Luft ihre Bahnen durch jene schmalen Korridore, die von der großen Halle ab gingen, und spielte dabei mit den Säumen der grob gewebten Stoffe. Der Kälte trotzend bewegte keiner der Anwesenden auch nur einen Muskel. Zu wichtig war der Moment, um sich auch nur einer Unachtsamkeit zu ergeben. Stumm ertrugen sie daher die Schmerzen, welche sich die nackten Füße der Beteiligten hinauf schlängelten und sich dabei tief in die Glieder hinein fraßen.
Der stetige Sprechgesang, welcher aus ihren Kehlen drang, erklomm die steinerne Kuppel und presste sich durch das schmale Auge am Ende jener in die Freiheit hinaus. Zeitgleich des Entkommens, zwängte sich der Mondschein an diesem vorbei und legte sich sanft leuchtend auf den äußeren Teil der Kreidezeichnung. Dabei ließ er das berührte Weiß hell erstrahlen. Nur noch wenige Augenblicke trennten das Leuchten von einer Berührung der filigran gezeichneten Mitte.
Jener Moment war es, als sich eine weitere Gestalt aus dem umliegenden Schatten löste und humpelnd auf das Geschehen zutrieb. Dessen Fingerknöchel zeichneten sich weiß unter seiner grauen Haut ab, als er die Hand fester um das Horn des Ziegenbockes schloss, welchen er erbarmungslos hinter sich her zog. Eine Woge der Euphorie durchzog die Braunmäntel beim Anblick ihres Führers, doch jeder der Anwesenden wusste, dass es nicht der rechte Zeitpunkt war, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen, jedenfalls noch nicht.
Ungeachtet der Lautstärke trieb die gebeugte Gestalt den Stab in seiner Rechten feste gegen die grauen Steinplatten unter ihm. Der so entstandene ohrenbetäubende Donner bildete mit dem kurz darauf folgenden, schleifenden Geräusch seines erlahmten rechten Fußes einen berauschenden Rhythmus.
Der Ziegenbock schien dabei sein nahendes Ende bereits zu erahnen und begann sich mit all seiner Kraft zu wehren. Seine silbernen Augen traten ihm bereits aus den Augenhöhlen und wirkten grotesk im Gesamtbild, das sich den Beteiligten bot. Er sprang, riss seinen Kopf ruckartig in jede nur erdenkliche Richtung, um sich dem festen Griff des Peinigers zu entziehen.
Die Gestalt, deren burgunderfarbener Umhang sich von den Anwesenden unterschied, beugte sich, im Zentrum der Zeichnung angekommen, hinab. Dabei fiel ihm die ausladende Kapuze tiefer in sein Gesicht, so dass nur Dunkelheit darin zu erkennen war. Er konnte die Angst des Bockes riechen, sie herb auf seiner Zunge schmecken, welche sich wild im Mund hin und her wog. Eine Gänsehaut überzog die unstetig behaarten Arme, während ein Schauer der Vorfreude sich über seinen buckligen Rücken ergoss.
Fixiert auf die glänzenden Augen des Bockes, ließ er seinen Stab los und umfasste mit der freien Hand das zweite, an der Spitze abgebrochene Horn des Tieres. Der nunmehr freie Stab zog hörig am Rande der Szenerie seine Bahnen, als dessen Herr den bereits schwitzenden Bock zu Boden riss und auf die Seite drängte. Mit letzter Kraft versuchte das Tier sich erneut aufzurichten, doch war sein Bemühen vergebens. Die Schwere des fremden, in rotem Samt gehüllten Körpers presste die Luft aus dessen Lungen ohne jegliche Anstrengung.
»Schhhh«, säuselte die übertrieben süße Stimme aus dem Inneren des Stoffes, bevor sich die Klinge eines Dolches in den fellüberzogenen Hals bohrte und an Stelle eines angsterfüllten Meckerns, zähes Gurgeln trat. Die Läufe des kämpfenden Bockes zuckten unkontrolliert im anhaltenden Todeskampf. Erneut versuchte sich das verstörte, blutende Tier aufzurichten, doch auch dieser Versuch scheiterte kläglich. Sekunden verstrichen, bis auch das Rucken seines windenden Körpers nach und nach erstarb und sich schmieriges Blut über die Kreidezeichnung ergoss. Die Festung vibrierte, als das darauf folgende Erdbeben durch die Gänge trieb und auf die kleine Gruppe hin rollte. Schmerzerfüllte Schreie drangen polyphon aus den unnatürlich weit aufgerissenen Mündern der Braunmäntel, während ihre Augen, nach oben gerollt, blind ihrer Weiße in die Welt stachen.
Untermalt von jenem unablässigen Schreigesang hob die rotgewandete Gestalt seinen nunmehr mit Blut gefüllten Kelch an die Lippen. Euphorisch sog er den metallischen Geruch, der aus dem silbergrauen Gefäß in seine Nase stieg, ein. Speichel zwängte sich hin in seinen Mundraum, bevor das kühle Metall seine Lippen auch nur berührte. Er konnte es kaum noch erwarten.
Sanft liebkoste er das harte Gefäß, bevor er es mit einem gierigen Zug zu Gänze leerte. Warm war die Flüssigkeit gewesen, die unter seine Zunge floss und mit der er spielte. Seine Augen schlossen sich, während in ihren Winkeln die aufgekommenen Tränen verheißungsvoll schimmerten. Als er jedoch nach einigen wenigen Momenten des penetranten Eigengeschmacks überdrüssig war, würgte er das Blut, gepaart eines Anfluges von Ekel, herab. Sein Gesicht verzog sich dabei zu einer undefinierbaren Grimasse. Dann war es so weit. Er konnte es plötzlich fühlen.
Genüsslich lehnte er sich nach hinten und atmete tief ein. Seine Adern pulsierten, brannten förmlich. Er wurde von der aufkeimenden Magie erfasst, welche seine Haut zum Bersten spannte und ihn innerlich zu zerreißen drohte. Es war ein großartiges Gefühl.
Zeitgleich der unweigerlichen Euphorie, sank sein Gefolge auf die Knie, beugte sich nach vorn über und berührte den Boden mit der Stirn. Ihre Stimmen waren bereits verklungen, wie auch ihre Echos. Die Stille hielt nunmehr jenen Ort überschwemmt, während die Körper sorgfältig ausgerichteter Statuen glichen.
Als die Anspannung endlich seine Klauen zurückzog und vom Raum, der die Anwesenden umgab, abließ, erhoben sich die Kreiszeichner synchron und lautlos in ihrer Bewegung. Die Gestalt inmitten dieser jedoch, blieb knien und kraulte das leblose Tier väterlich zwischen den Hörnern. Noch immer traten dessen Augen weit aufgerissen heraus, jedoch blieb das Leben, welches sich einst in ihnen gespiegelt hatte, aus.
Die rote Kapuze der knienden Gestalt rutsche ein gutes Stück nach hinten, als jene den Kopf anhob und die schmale Öffnung im Zentrum der Kuppel verträumt betrachtete. Ein breites Grinsen entblößte die blutüberzogenen, schiefen Zähne und thronte erbarmungslos auf seinem Gesicht. Er aalte sich in dem aufkommenden Gefühl des Erfolges, stand er doch kurz vor der Vollendung.
»Dieser Abend ist von Erfolg gekrönt, meine Freunde. Ich konnte es mit solcher Intensität fühlen, es riechen ...« Er stöhnte vor Erregung auf, bevor er fortfuhr. »Ja, sogar schmecken. ... Bald ist es geschafft und ihr alle werdet für eure Bemühungen reich entlohnt werden. Dessen seid euch sicher!«, drang es rauchig aus seiner Kehle. Ein freudiges Raunen keimte unter den braunen Kreiszeichnern auf und verdichtete sich zu Jubelschreien, welche die Katakomben der Festung erfüllten.
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