Katharina Voller
Campus Delicti
- Kriminalroman -
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Inhaltsverzeichnis
Titel Katharina Voller Campus Delicti - Kriminalroman - Dieses ebook wurde erstellt bei
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Impressum neobooks
„Das musst du dir ansehen!“
„Guten Morgen auch.“
„Jetzt mal im Ernst, das glaubst du wirklich nicht.“
„Jetzt lass mich doch bitte erstmal meinen Kaffee trinken!“
In der Spüle stapelten sich die Becher. Sybille kramte den großen blauen unter den anderen hervor, inspizierte den angesammelten Kaffeeschmodder, spülte den Becher kurz aus und bediente sich dann bei der Kaffeemaschine. Ein kurzes Schnüffeln an der Milchpackung überzeugte sie, dass der Inhalt noch zu gebrauchen war. Sie drehte einen Stuhl mit der Lehne zum Küchentisch und setzte sich, stellte den Becher vor sich und sah Baschti an.
„Jetzt, bitte. Aber nicht vor meinem Kaffee. Kennst mich doch.“
„Man könnte meinen, du bist ein Morgenmuffel,“ bemerkte er.
„Bin ich auch. Und jetzt sag schon. Was ist denn.“
Er schlug einige Seiten zurück und zeigte auf einen kleinen Artikel. „Da. Lies selbst. Mir glaubst du's eh nicht.“
Sybille rückte den Stuhl näher zu ihm und las den kurzen Abschnitt.
NACH ASTA-KUNDGEBUNG: STUDENT (24) TOT
Düsseldorf. Nach einer Kundgebung des AStAs der Heinrich-Heine-Universität im Düsseldorfer Süden wurde am späten Samstagabend auf dem Gelände eines Studentenwohnheims die Leiche eines 24-jährigen AstA-Mitgliedes gefunden. Die Kundgebung war gegen rechtsradikale Aktivitäten gerichtet. Während der AStA von einem politischen, rechten Hintergrund ausgeht, warnte die Polizei vor vorschnellen Schlüssen.
„Ja, krass!“, staunte Sybille.
„Mehr als krass. Wird ja noch besser. Oder schlimmer. Sieh dir das an.“ Er drehte seinen Laptop zu ihr herum, den er vor sich auf dem Küchentisch platziert hatte. Der Bildschirm leuchtete rot. Sybille zog den Computer zu sich heran, erkannte die Internetadresse des AStAs und las.
RECHTE GEWALT FORDERT TODESOPFER!
In der Nacht zum Sonntag wurde unser Kommilitone 'Steini' Steingart Bröcker Opfer der rechten Gewalt, gegen die er noch einige Stunden zuvor mit anderen Aktivisten des AStAs protestiert hatte. Wir trauern um unseren Kollegen, Kommilitonen und Freund!
JETZT IST AKTION GEFRAGT!
Erhebt eure Stimmen gegen die Faschisten in unserer Stadt! Wir dürfen uns von den Neonazis nicht einschüchtern lassen!
JETZT ERST RECHT!
Wir rufen zu einer Mahnwache, heute Abend um 18 Uhr vor der Mensa.
Es gilt, auch die Staatsmacht endlich aufzuwecken – auch sie dürfen ihre Augen nicht mehr verschließen vor der rechten Gewalt in unserer Stadt!
Über weitere Aktionen im Angedenken und im Namen von Steini halten wir euch auf dem Laufenden.
„Gibt's ja gar nicht.“ Sybille starrte auf die schwarzen Buchstaben.
„Sag ich doch. Ich sag doch, das glaubst du nie.“
„Jetzt mal ehrlich! Steini?! Wie krass ist das denn!“
„Ja, keine Ahnung. Sehr krass.“
Baschti zog sich Sybilles Kaffee heran, während sie sich noch einmal den Internettext durchlas. Sie schüttelte den Kopf. „Ist echt ein Hammer. Steini...“ Sie schüttelte wieder den Kopf.
Baschti nickte bedeutungsschwer. „Ja, das hat man noch nicht einmal ihm gewünscht.“
Sybille schaute vorwurfsvoll vom Laptop hoch. „Also echt.“
„Stimmt doch!“
„Ja, aber wie sich das anhört!“
„Was denn, ich sag doch nur!“ Damit erhob sich Baschti und ging zum Kühlschrank. „Magst jetzt erstmal auch ein Käsebrot?“
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Vor dem Eingang der Philosophischen Fakultät stand ein junger Mann, der Sybille entfernt bekannt vorkam und der kleine rote Handzettel verteilte. Im Vorübergehen schnappte sie sich einen und las den gleichen Text, den sie heute Morgen schon im Internet gelesen hatte. Einige Studenten standen in kleinen Grüppchen zusammen und redeten aufgeregt über den Inhalt.
„... du hast den bestimmt auch mal gesehen – so'n blonder, mit Pferdeschwanz...“
„... und ich hab gestern noch überlegt, ob ich da auch hin soll...“
„... weiß man denn schon, wie?“
Andere lasen nur stirnrunzelnd oder kopfschüttelnd, die meisten hatten sich erfolgreich an den Zetteln vorbeigedrückt, geübt vom dauernden Abwimmeln der vielen Flyer-Verteiler auf dem Campus.
Sybille eilte an den tuschelnden Gruppen im großen Foyer des 70er-Jahre Baus vorbei ins Treppenhaus und hinauf in den zweiten Stock; sie hatte nie die Muße, auf einen der drei ohnehin überfüllten Aufzüge zu warten.
Im Fachschaftsraum saß Tobias rauchend vor dem Computer. Auf dem Cordsofa saß im halben Schneidersitz Laura neben einer jungen Studentin.
„Guten Morgen,“ grüßte Sybille.
Tobias fuhr herum. „Hey,“ grüßte er zurück, „hast Du's schon gehört?“
Sybille nickte und bemerkte, dass Laura und die junge Studentin die Köpfe gehoben hatten. Mehrere Flyer lagen vor ihnen auf dem Tisch.
„Ja, hab ich.“ Sie hielt den roten Flyer hoch. „Bleibt einem kaum erspart.“
Mit einem Kopfnicken wies Tobias auf den Computerbildschirm. „Und jetzt drehen sie mal wieder vollkommen durch.“
Sybille stellte sich hinter ihn und las.
Liebe FachschaftsrätInnen,
In der Nacht zum Sonntag wurde unser Kommilitone 'Steini' Steingart Bröcker Opfer der rechten Gewalt, gegen die er noch einige Stunden zuvor mit anderen Aktivisten des AStAs protestiert hatte. Wir trauern um unseren Kollegen, Kommilitonen und Freund!
Aus diesem traurigen Anlass rufen wir zu einer Mahnwache, heute Abend um 18 Uhr, vor der Mensa. Im Namen und Angedenken von Steini wollen wir mit euch und unseren Kommilitonen so auch ein Zeichen setzen gegen faschistische Übergriffe und gegen die Blindheit und Untätigkeit der Staatsmacht.
Jetzt brauchen wir eure Mithilfe!
Gebt den Termin auf euren Pinnwänden, Internetseiten und auch in euren Seminaren bekannt und kommt zahlreich heute Abend zur Mensa. Entsprechende Flyer sind im AStA erhältlich.
Über weitere Aktionen halten wir euch auf dem Laufenden.
In Trauer und Wut,
Der AStA-Vorstand
Tobias schüttelte den Kopf. „Jetzt mal im Ernst, „Staatsmacht“, die haben'se doch nicht alle beisammen. Und dann diese tolle Idee, es in den Seminaren weiterzusagen. Ich seh's schon vor mir, wie ich beim Kockel aufstehe und sage: Verzeihung, Herr Kockel, ich bräuchte mal einen Moment, um zur Mahnwache aufzurufen. Wegen der „Blindheit der Staatsmacht“!“
Sybille musste bei der Vorstellung grinsen, wie der allgemein gefürchtete Professor reagieren würde. „Wenn du Glück hast, ignoriert er Dich einfach. Es hat wohl mal einer eine Frage stellen wollen und sich ne halbe Stunde gemeldet, und der Kockel hat einfach weitergemacht.“
„Ja, kann ich mir vorstellen. Beim letzten Streik wollten sie wohl für irgendeine Versammlung oder so seinen Hörsaal haben. So ein AStA-Heini, der sich ganz wichtig vorkam. Und der Kockel ignoriert ihn erst einfach und fängt halt an, seine Vorlesung zu halten. Und der Student sagt so was wie, Also Herr Kockel, jetzt hören Sie doch erstmal, und der Kockel guckt ihn an und sagt, so ganz verächtlich: Nö. Und entweder Sie hören jetzt mir zu oder Sie gehen bitte.“
Sybille lachte und auch Tobias grinste bei der Erinnerung.
Laura hingegen sah empört aus. „Na, ihr seid mir ja welche! Erzählt hier so Anekdoten, nach so einer furchtbaren Geschichte! Und dann auch noch jemand, den wir kennen! Letzte Woche Montag hab ich noch mit ihm im Hauptseminar gesessen. Ich kann das gar nicht glauben!“ Sie blickte vorwurfsvoll zwischen Sybille und Tobias hin und her. Sybille fühlte sich unbehaglich und warf Tobias einen kurzen Blick zu. Tatsächlich hatten die meisten von ihnen Steini gekannt, durch seine AStA-Tätigkeit und manche auch flüchtig aus Germanistik-Seminaren – aber immer wieder hatte Sybille mit Tobias Witze gemacht über ihn und seine hochtrabenden Reden, nur halbherzig gemäßigt von Laura. Nein, noch nicht einmal im Nachhinein konnte sie jetzt so tun, als habe sie Steini gemocht. Gerade deshalb meldete sich bei ihr ein unbestimmtes, aber deutliches schlechtes Gewissen. Durfte man so über einen Toten denken?
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