Tobias unterbrach die betretene Stille. „Weißt Du eigentlich, was da genau los war?“ fragte er Sybille.
Sie zuckte die Schultern. „Nicht wirklich. Baschti hat's mir in der Zeitung gezeigt, da steht auch nicht viel. Offenbar gab's am Abend 'ne Demo gegen Neonazis oder so, und dann haben sie ihn später gefunden, beim Wohnheim.“
„Also waren's wirklich Nazis, oder wie?“
„Keine Ahnung. Ich weiß noch nicht mal, was das für ne Demo oder Kundgebung oder was auch immer war. Keine Ahnung. Der AStA ist sich ja offenbar schon sicher.“
Tobias nickte und verzog das Gesicht. „Ja, aber die sind sich ja immer schnell sicher. Und das Theater geht ja schon los.“
Laura schien immer noch empört. „Ihr tut grad so, als ob der AStA uns damit nur ärgern will. Aber sie haben doch recht: Natürlich müssen wir da hin, zur Mahnwache! Und natürlich müssen wir das auch weitersagen! Wollt ihr nicht hingehen, oder wie?“
Tobias und Sybille wechselten wieder einen schnellen Blick, dann gab sich Sybille einen Ruck. „Doch, ich hab' eh Tutorium bis sechs. Kommst du denn auch?“
Laura schüttelte den Kopf. „Ich kann leider nicht, ich muss arbeiten.“
Sie richtete ihren Blick erwartungsvoll auf Tobias, der aber wieder finster auf die E-Mail blickte und dann in Sybilles Richtung sagte: „Gut, dass du gehst. Denn irgendwie kann ich mir auch vorstellen, was los ist, wenn keiner von uns kommt.“
Er blickte auf und traf auf Lauras vorwurfsvollen Blick. „Was denn? Es stimmt doch! Die klopfen hier morgen garantiert an, wenn nicht wenigsten einer von uns da ist. Und ich kann heute Abend wirklich nicht, selbst wenn ich wollte. Und mal im Ernst, wenn ich das hier schon wieder lese: „Die Faschisten in unserer Stadt“, „Staatsmacht“... Ich bitte dich, die immer mit ihrem Polizeistaat, die wissen doch gar nicht, was das ist!“
Sybille schaute ihn fragend an. Solche Ausbrüche waren sonst nicht Tobias' Art. Aber sie kam nicht dazu, vorsichtig nachzufragen. Die junge Studentin, die die ganze Zeit mit großen Augen zwischen den dreien hin und her geschaut hatte, räusperte sich in die eintretende angespannte Stille hinein. „Also, das ist jetzt vielleicht 'ne blöde Frage, aber was macht der AStA eigentlich genau?“
Tobias, sichtlich dankbar, sich nicht weiter mit Laura streiten zu müssen, antwortete in bestem Vortragston: „Dumme Fragen gibt's nicht – und der AStA ist der Allgemeine Studierendenausschuss, so etwas wie unser aller offizielle Vertretung – also jetzt mal abgesehen davon, dass er so wohlformulierte Pamphlete verfasst.“ Er grinste die Studentin an, wurde sich dann Lauras Blickes bewusst und sprach schnell weiter. „Also, die Studierenden der gesamten Uni wählen das Studierendenparlament, kurz SP. Im Grunde kann man sich das vorstellen, wie das Bundesparlament auch: Es gibt Parteien, sogenannte Listen, die zu Wahlen antreten, bei denen alle Studierenden wählen können. Wenn das SP gewählt ist, wählt es wiederum den AStA-Vorstand – wie der Bundestag den Kanzler wählt. Im Moment besteht der Vorstand aus zwei Mitgliedern der Linken Liste, einem Mitglied der Jusos und einem Mitglied der OSC, das steht für Offensive Sozialer Campus. Wie eine Bundesregierung aus verschiedene Ministerien besteht, gibt es im AStA Referate, die sich verschiedener Themen annehmen. Vorgeschrieben sind nur der Vorstand und das Finanzreferat, das den Haushalt überwacht. Übrigens überwachen sie damit unser aller Geld, denn von den Gebühren, die wir zahlen, geht auch immer ein bestimmter Betrag an den AStA. Davon bekommen unter anderem auch die AStA-Mitglieder was, sogenannte Aufwandsentschädigungen. Alles klar?“
Die Studentin nickte schwach, Laura und Sybille starrten Tobias überrascht an. Der grinste nur, zuckte die Schultern und sagte: „Hab's erst im letzten Tutorium mit meinen Erstsemestern besprochen. Außerdem,“ er zwinkerte Laura noch breiter grinsend zu, „muss man den Feind ja kennen.“
Laura warf ihm einen vernichtenden Blick zu, erhob sich von der Couch und nahm ihre Tasche. „Du bist echt... Ach was weiß ich. Ich muss jetzt ins Seminar.“ Sie wandte sich an die Studentin. „Ich kann Dir zeigen, wo Du hin musst.“
Tobias grinste den beiden hinterher und wandte sich dann Sybille zu. „Du willst da also wirklich hingehen heute Abend?“
Sybille nickte. „Ich hoffe nur, es wird nicht völlig unerträglich...“
„Na, dein Wunsch in Gottes Ohr. Gehst Du nachher in die Mensa?“
„Ja. Was hast Du denn jetzt? Kockel?“
Tobias verzog das Gesicht. „Nee, 'Die deutsche Grammatik'. Ich freu mich schon. Und du?“
„Middle English Drama, Hauptseminar. Wir können uns ja dann in der Mensa treffen.“
„Klar. Und jetzt müssen wir auch los, ist schon fast viertel nach. Geh mal schon, ich schließ ab.“
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„Juut, wollen wir dann mal? Meine Herren, meine Damen...“
Die halblauten Gespräche verstummten, als Kriminalhauptkommissar Ludwig die zur Besprechung versammelten Beamten in seinem breiten Rheinisch zur Ordnung rief. Kriminalkommissar Mirko Tomacek sah sich neugierig um. Es war erst die zweite Mordkommission, in die er berufen worden war, und bei der ersten war er so aufgeregt gewesen und hatte sich so fehl am Platz gefühlt, dass sein Beitrag zur Lösung des Falles wohl zu vernachlässigen gewesen war. Dieses Mal wollte er es besser machen. Die einberufene Mordkommission bestand nicht nur aus den Kriminalkommissaren des Kommissariats 11, das sich unter anderem mit Tötungsdelikten beschäftigte, sondern auch aus Beamten mit anderen Schwerpunkten, die in diesem Fall vielleicht relevant werden konnten. Mirko entdeckte einige bekannte Gesichter, bevor Ludwig wieder seine Aufmerksamkeit einforderte.
„Also, isch möschte misch janz kurz halten,“ begann er. „Foljendes: Die Rechtsmedizin jibt für's Erste an, dat es sisch wahrscheinlich um Mord handelt - dat Opfer war vermutlisch bereits bewusstlos, als die Tötung erfolchte. Näheres hören wir dazu wohl morjen. Isch bin der Leiter dieser Moko, nee, kein Applaus, danke.... Jedenfalls müssen Se die nächste Zeit mit mir viel Zeit verbringe, na juut, mache mer schon. So. Vier Gruppen à zwei Kollegen koordinieren dat Janze. Mündig und Tomacek, Sie bleiben an den Nazis dran. Mündig, Sie werden einije der hier Anwesenden aus Ihrer ST 1-Zeit wiedererkennen.“
Horst Mündig, der vor anderthalb Jahren aus dem Polizeilichen Staatsschutz der Kripo Düsseldorf in das Kriminalkommissariat 11 gewechselt war, drehte sich zu seinen früheren Kollegen um und lächelte. Mirkos Begeisterung hielt sich allerdings in Grenzen. Die Neonazi-Spur schien zwar die erfolgsversprechendste zur Zeit, Horst Mündig war mit seiner peniblen und rechthaberischen Art allerdings nicht unbedingt sein Lieblingskollege. Er würde sich wohl damit arrangieren müssen.
„Juut - Brinkmann und Klein, Sie konzentrieren sisch weiter auf den privaten Bereich. Familie, Uni, Liebhaberinnen und Liebhaber - allet, wat dazu jehört. Klar?“
Christoph Brinkmann und Karin Klein nickten synchron, wobei es Mirko schien, als sähe auch seine Kollegin Karin nicht gerade begeistert aus. Karin hatte ihn bei seinem Beginn in der Kripo unter ihre Fittiche genommen und sie hatten gemeinsam einige Todesfälle und Brände bearbeitet. Er warf ihr ein aufmunterndes Lächeln zu, das sie freundlich erwiderte.
„Arnie, Osterrath, Sie beschäftigen sich mit den anderen Abteilungen, Drogen, Sitte, Wirtschaft - irjendwas zum Opfer oder zu irjendwem, den er irjendwann mal jekannt hat. Stecken Sie Ihre Nasen richtich in den Dreck. Klar?“
Sebastian Arnold, den selbst der Chef nur noch beim Spitznamen nannte, und Steffen Osterrath nickten ebenfalls, sahen aber wenig angetan aus, da sie zu recht von wenig begeisterten Kollegen aus den anderen Abteilungen ausgehen durften, die sie nun um vermutlich tonnenweise Akten bitten sollten.
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