Bei diesen Worten scheint Margi zusammenzuzucken. Sie senkt den Blick.
„Was ist denn los, Margi?“, fragt Primo.
„Es ist ... nun ja, ich wohne jetzt schon lange hier und bin sehr glücklich in eurem Dorf, aber trotzdem ...“
Kolle wird blass. „Du willst doch nicht etwa in deine Heimat zurück?“, fragt er.
Sie sieht ihn an und gibt ihm einen Kuss. „Nein, nein, das nicht. Ich liebe dich, und wie gesagt lebe ich gerne hier. Aber ich fühle mich dem Wüstendorf immer noch verbunden, und als wir das letzte Mal da waren, haben die Golems dort genauso geherrscht wie bei uns. Was, wenn sie das immer noch tun und Karo und die anderen in Sicherheitszellen eingesperrt haben?“
„Du hast recht“, ruft Primo. „Daran habe ich gar nicht gedacht. Wir müssen den Wüstendorfbewohnern helfen!“
„Klar müssen wir das“, fügt Kolle hinzu.
„Wirklich?“, fragt Margi. „Das würdet ihr für mich tun? Obwohl der Dorfpriester Wumpus euch immer so schlecht behandelt?“
„Natürlich tun wir das“, sagt Primo. „Die übrigen Dorfbewohner können ja nichts dafür, dass Wumpus so ein Griesgram ist. Sie waren alle immer freundlich zu uns und haben uns geholfen, als wir in Not waren. Da ist es nur selbstverständlich, dass wir ihnen ebenfalls helfen. Wir brechen sofort auf!“
„Aber was ist mit diesem unheimlichen Fremden, den Olum gesehen hat?“, fragt Margi. „Was, wenn es nicht der freundliche Fremde ist, sondern ein anderer, womöglich sogar bösartiger? Du bist schließlich der Dorfbeschützer, und ohne Kolle und dich wäre das Dorf schutzlos.“
„Ach was“, meint Primo und tut den Gedanken mit einer Handbewegung ab. „Olum hat sich bestimmt getäuscht oder schlecht geträumt. Außerdem ist ja immer noch Asimov da.“
„Sollten wir den nicht lieber mitnehmen?“, meint Kolle. „Er kann besser mit den anderen Golems reden als wir.“
„Du hast recht“, meint Primo. Ihm kommt eine Idee. „Er könnte so tun, als wäre er immer noch Nummer Null, der Anführer. Dann kann er den Golems einfach befehlen, abzuziehen.“
„He, Moment mal!“, sagt Asimov, der die ganze Zeit reglos neben den Freunden stand. „Ich kann euch hören!“
„Umso besser, dann weißt du ja jetzt, was du zu tun hast“, sagt Primo.
„Gar nichts habe ich zu tun“, erwidert Asimov. „Ich bin ein freier Golem mit einem freien Willen, und die Probleme von euch Knollnasen gehen mich nichts mehr an.“
„Es scheint, als würde Asimov uns nicht helfen – weder hier noch im Wüstendorf“, meint Kolle. „Wir müssen es irgendwie selber schaffen.“
„Hm, das könnte schwierig werden“, überlegt Primo. „Ich konnte die Golemplage beenden, indem ich Silberfischchen auf die Golems losgelassen habe. Aber die leben nur in großer Tiefe, und die Golems im Wüstendorf sind an der Oberfläche.“
„Du hast recht“, stimmt Kolle zu. „Das wird schwierig.“
Margi wendet sich an den Golem. „Ich bitte dich, Asimov, hilf uns, das Wüstendorf von den Golems zu befreien.“
Asimovs Augen glühen für einen Moment hell. Er dreht sich zu Margi um. „Moment mal. Habe ich gerade geträumt? Habe ich eine Fehlfunktion? Oder hat da wirklich jemand ‚bitte‘ zu mir gesagt?“
„Bitte“, sagt Margi noch einmal.
„Wow!“, schnarrt Asimov mit seiner metallischen Stimme. „Das fühlt sich wirklich gut an, wenn man einen eigenen Willen hat! Natürlich werde ich euch gerne helfen, wenn ich so freundlich darum gebeten werde, anstatt von gewissen Knollnasen einfach herumkommandiert zu werden.“ Er wirft einen glühenden Blick zu Primo.
Dankbar fällt Margi dem riesigen Metallkoloss um den Hals. „Dankeschön!“, ruft sie, und Freudentränen kullern über ihre Wangen.
„He, pass auf, du machst mir noch Rostflecken!“, beschwert sich Asimov.
Als Primo Golina davon erzählt, dass er das Wüstendorf befreien will, ist sie nicht begeistert: „Du willst doch nicht etwa schon wieder in dein nächstes Abenteuer stolpern, wo das letzte kaum vorbei ist und beinahe fürchterlich schiefgegangen wäre?“
„Das ist nun mal so“, rechtfertigt sich Primo. „Wenn es nicht beinahe schiefgeht, ist es doch kein richtiges Abenteuer!“
Diese Aussage trägt nicht dazu bei, Golina zu beruhigen.
„Ich halte das nicht mehr aus!“, ruft sie und wirft verzweifelt die Hände in die Luft. „Ständig diese Sorgen, während du unterwegs bist und dich mit Monstern herumprügelst! Außerdem kommt bald der Fremde, und da kann ich deine Hilfe gebrauchen. Du musst mir Paul und Nano vom Hals halten, damit ich mich aufs Kochen konzentrieren kann.“
„Du kannst doch mit Papa gehen, Mama“, schlägt Nano vor. „Ich passe unterdessen aufs Haus auf. Und wenn der Fremde kommt, verkaufe ich ihm Pilzsuppe und kriege ganz viele Edelsteine dafür, und dann bin ich unheimlich reich!“
„Kommt überhaupt nicht infrage!“
„Bitte, Golina“, sagt Primo. „Wir müssen Karo und den anderen helfen, so wie sie uns geholfen haben.“
Golina seufzt. „Du hast ja recht. Wir können sie nicht im Stich lassen. Also schön, dann geht, aber beeilt euch. Und bitte, Primo, keine weiteren Abenteuer mehr. Ihr geht ins Wüstendorf, schickt die Golems weg und kommt wieder zurück. Keine Übernachtungen in irgendwelchen alten Tempeln, keine Abstecher auf einsame Inseln und kein Buddeln nach verborgenen Schätzen, verstanden? Margi, du bist mir dafür verantwortlich, dass die beiden nicht schon wieder Unsinn anstellen! Ich passe in der Zwischenzeit auf Maffi auf.“
„Ich verspreche dir, dass wir rasch wieder zurück sind, Golina“, sagt Margi.
„Wie jetzt?“, fragt Nano. „Heißt das etwa, wir haben ein Mädchen bei uns zuhause?“
„Das heißt es nicht, du Dummkopf“, sagt Maffi und streckt ihm die Zunge heraus. „Es heißt, ihr habt jetzt zwei Mädchen bei euch zuhause!“
„Ha! Du bist hier der Dummkopf! Ich sehe jedenfalls nur ein Mädchen.“
„Na, deine Mama ist ja wohl auch ein Mädchen, oder etwa nicht?“
„Meine Mama ist meine Mama und sonst gar nichts“, erwidert Nano wütend.
„Hört auf, euch zu streiten, Kinder!“, ruft Golina mit so scharfer Stimme, dass die beiden augenblicklich verstummen.
Margi und Kolle ermahnen ihre Tochter, sich anständig zu benehmen, während Primo Nano einen Vortrag hält, wie man sich gegenüber weiblichen Gästen zu verhalten hat. Golina rollt dabei nur mit den Augen.
3. Die Befreiung des Wüstendorfs
Primo ist froh, als sie endlich aufbrechen. Golina hat ihnen einige Schüsseln Pilzsuppe eingepackt, so dass sie unterwegs etwas zu essen haben. Während sie über die östliche Ebene marschieren, beratschlagen sie, wie sie vorgehen.
„Also, Asimov, du sagst einfach, du bist Nummer Null, und die Golems sollen verschwinden“, erläutert Primo seinen raffiniert ausgeklügelten Plan.
„Und wenn sie das nicht tun?“, fragt Asimov.
„Warum sollten sie das nicht tun?“
„Nur mal theoretisch.“
„Dann probieren wir eben etwas anderes.“
„Und was?“
„Mir wird dann schon was einfallen.“
„Das klingt nach dem schlechtesten Plan, den ich je gehört habe.“
„Wenn du einen Besseren hast, nur heraus damit.“
„Bloß, weil ich keinen besseren habe, macht das deinen Plan noch lange nicht gut.“
„Ein Plan, egal ob gut oder schlecht, ist immer noch besser als gar keiner“, argumentiert Primo.
„Da bin ich anderer Ansicht“, erwidert Asimov. „Die meisten Pläne, die ihr Knollnasen bis jetzt in die Tat umgesetzt habt, waren definitiv schlechter als gar kein Plan. Ich erinnere mich zum Beispiel an den Plan, zum Mond zu fliegen, oder den Plan, ein gigantisches Schleimmonster zu züchten ...“
„Das war kein Plan. Der Plan war, Ruuna zu finden, und das hat auch geklappt.“
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