„Ich glaube schon.“
„Das freut mich und übrigens, danke für den Drink.“
Beth lächelte wieder, entschuldigte sich und ging ihrer Arbeit weiter am Nachbartisch nach. Mit einem Ohr verfolgte sie die aufkommende Diskussion zwischen Jakob und Nelson.
„Deine Reaktion war nicht etwas übertrieben?“
„Was heißt denn da übertrieben? Die wird dafür bezahlt, Getränke auszuteilen, und nicht dafür, mit Sachen um sich zu werfen. Und außerdem …“, Nelson beugte sich vor, „… sind wir die Elite, wir können uns alles erlauben.“
„Können wir das?“
„Machen wir doch ständig.“ Nelson schwang sich wieder zurück und Jakob schaute in die Runde, seine folgenden Worte betonend.
„Vielleicht ist es gerade unser Status, mit dem wir nicht umgehen können und der uns zu so arrogantem Abschaum werden lässt.“
Nelson glotzte ihn entgeistert an und konterte: „Ich habe keinen blassen Schimmer, was du da quatschst oder was du dir in deinem kleinen Hirn zusammenspinnst. Und eigentlich ist es mir auch wurscht. Ich für meinen Teil koste die Vorzüge meines Lebens aus, alle Vorzüge, die mir mein Status verleiht, kapiert!“
Jakob schwieg.
„Natürlich kann jeder tun und lassen, was er für richtig und angemessen hält“, Andrej übernahm mit diesem Statement jetzt gekonnt die Initiative. Die aufgestaute und dicke Luft musste dringend durch anderes ersetzt werden und dieser Aufgabe fühlte er sich gewachsen. Demonstrativ hielt er sein Bierglas in Höhe: „Auf das Ende des Semesters und auf Neraj, deren Idee es war, uns alle heute Abend hier in dieser lustigen Runde“, er blickte ostentativ zu Nelson und Jakob hinüber, „zu vereinen. Prost!“
„Prost!“
***
Es war kurz nach ein Uhr. Jakob saß gelangweilt auf dem Sofa neben Andrej, dessen Gags allmählich ins Lächerliche glitten, was dem vielen Alkohol zuzuschreiben war. Nelson und Eric waren bereits vor geraumer Zeit gegangen, um sich mit ihren Mädels auf der überfüllten Tanzfläche im Nachbarsaal zu vergnügen. Man konnte sie alle durch eine Glaswand verfolgen, im Laserlichtgewitter tanzend und lachend im kunterbunten Durcheinander unzähliger wild schwingender Haare, Arme und Beine.
„Ich hab genug.“
Neraj schaute mit ihren tiefbraunen Augen auf.
„Du willst schon gehen?“
„Ja. Und diesen Kasper hier nehme ich gleich mit!“
Andrej schielte in ein leeres, völlig verdrecktes Glas.
„Schade, denn eigentlich hatte ich mich soeben gefragt, was wir mit unserer neugewonnenen Zweisamkeit anfangen könnten.“ Neraj rückte näher auf der Sitzfläche heran und präsentierte lächelnd ihre weißen Zähne.
Verunsichert wich Jakob zurück, fasste an seinen Ring und schob ihn auf seinem kleinen linken Finger mehrfach auf und ab. Er glich einem gehemmten, unsicheren Jungen, der konfrontiert war mit dem Verlangen einer kompromisslosen Diva, die unnachgiebig und schonungslos ihr Ziel verfolgte.
Neraj war sehr direkt, schon zum zweiten Male innerhalb kürzester Zeit, und Jakob stellte sich erstmals die Frage, was er tatsächlich für sie empfand. Verlegen suchten seine Augen nach Antworten, beginnend an den glatten Beinen Nerajs, bis sie am Dekolleté anhielten, ein Anblick, der in ihm ein starkes Verlangen aufsteigen ließ, welches er nur bedingt unterdrücken konnte. Er war erregt, gefangen im Netz einer Spinne, deren Gift ihn schrittweise willenlos zu machen schien. In diese Zwickmühle gedrängt, platzte Beth herein und riss ihn geradezu mit einer klar formulierten Frage aus seiner verschwommenen, undurchsichtigen Gefühlsduselei.
„Braucht ihr noch etwas?“
Neraj schaute Beth mit wutverzerrtem Gesicht an.
„Ein wenig Ruhe wäre schön“, zischte sie und sah ihre hart umkämpfte Beute schon davonlaufen. Diese taktlose, rothaarige Tussi zerstörte ihren Plan, obwohl sie die liebliche Schlinge um Jakobs Hals fast schon zugeschnürt hatte. Jetzt stand alles auf Messers Schneide. Innerlich angefressen, bereute sie bereits ihre Idee mit dem Glaswerk. Mit diesem Gedanken befasst, beobachtete sie, wie Jakob sein Portemonnaie öffnete und der Rothaarigen seine Kreditkarte reichte. Sauer glotzte sie auf ihr halbvolles Glas und verschränkte die Arme vor der Brust. Die Entscheidung war gefallen. Sie war geschlagen und ins Abseits gestellt worden von einer Kellnerin.
„Die Rechnung, bitte. Auch für ihn hier. Und du?“
„Ich zahle selber“, lehnt Neraj ab, während Beth ging. „Von dir brauche ich keine Almosen.“
„Wie bitte? Ich wollte nur …“
„Was wolltest du nur?“, fiel sie ihm ins Wort.
„Ich wollte nur höflich sein dir gegenüber.“
„Ach so, höflich nennst du das, mir Hoffnungen machen und mich dann eiskalt abservieren, einfach nass im Regen stehen lassen. Vielen Dank, du kannst mir gestohlen bleiben.“
„Was hast du nur? Wir sind kein Paar!“
„Stimmt, aber nur deinetwegen, Jakob.“
Dieser biss sich auf die Unterlippe. Er hasste sie. Genau diese Art hasste er so an ihr und das war der alleinige Grund, wieso sie kein Paar waren und auch niemals eines sein würden. Sein Entschluss stand fest und im Herzen dankte er Beth, dass diese ihn aus den Fängen seiner schizophrenen Kommilitonin, deren Gesicht sich von jetzt auf gleich vollständig ändern konnte, gerettet hatte. Es war schade, denn die eine Neraj mochte er sehr, mit der anderen jedoch konnte er sich nicht arrangieren und wollte es auch gar nicht versuchen, zu groß waren seine Zweifel.
Beth kam wieder und hielt die Rechnung in der Hand, die sie Jakob zusammen mit einem Kugelschreiber überreichte. Dieser nahm das Stückchen Papier und legte es vor sich auf den Tisch, nachdem er einige leere Flaschen und Gläser beiseitegeschoben hatte. Neraj schmollte immer noch und fixierte weiter ihr Glas. Jakob blickte rasch über die Quittung. So viel hatte er noch nie entrichten müssen, Andrej, dieser Schluckspecht. Zügig unterschrieb er den Beleg, als ihm zufällig ein kleines Detail ins Auge sprang. Er steckte den Stift weg.
„Elizabeth?“
„Ja“, bestätigte diese, sie strich sich verlegen eine ihrer widerspenstigen Haarsträhnen aus dem Gesicht hinters rechte Ohr. „Beth ist kürzer.“
Jakob bemerkte sogleich, dass sie keine Ohrringe trug und dass ihre kleine Muschel etwas abstand. Sie sah niedlich aus!
„Das ist ein schöner Name“, erklärte er.
„Vielen Dank, Jakob Lemmon“, leitete Beth von der Karte her ab.
Blitzartig flackerte das Neonlicht. Die von endlosen bunten Lichterketten durchzogenen Glaswände, Mauern und Böden der Lounge fingen mit den Lichtstrahlen, welche es erzeugte, zu spielen an. Die Musik setzte aus und es legte sich völlige Dunkelheit über den Raum. Plötzlich war ein starkes Klirren zu hören. Augenblicke später verschwand die düstere Atmosphäre genauso jäh, wie sie gekommen war, und die Musik und das Licht sprangen wieder an.
Geistesgegenwärtig musterte Jakob Neraj. Vor dieser auf dem Tisch stand nur noch eine Ruine aus Glas, die, umringt von tausenden kleinen Scherben, einen todbringenden Ozean aus Alkohol und winzigen Glassplittern bildete.
„Ich denke, wir sollten jetzt gehen.“ Nachsichtslos griff er nach Andrej und zerrte diesen von der Sitzecke hoch. „Es hat mich gefreut, Elizabeth.“
„Ja, mich auch“, stammelte Beth, ein wenig verwundert aufgrund der unerwarteten Eile.
Jakob schleifte Andrej unterm Arm aus der Lounge und weg von Neraj, ohne ein Wörtchen des Abschieds an diese zu richten. Er wollte nur raus und Abstand gewinnen. Endlich am Ausgang angekommen, schnürte es ihm fast die Kehle zu. Die Temperaturen waren sturzartig in den Keller gepurzelt und gestatteten es kaum, einen Spaziergang ohne Jacke zu wagen. Er rieb sich die Hände, hauchte mehrmals hinein und gab, während er Ausschau nach seinem Wagen hielt, Andrej die Schlüssel.
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