1 ...6 7 8 10 11 12 ...29 „Ja, diese Frage kam mir auch gerade in den Sinn, Bürschchen“, meldete sich Falk wieder zu Wort.
„Als ihr auf dem Marktplatz davongeführt wurdet, bin ich hinter den Waffenknechten hergeschlichen. Ich wollte wissen, was mit Euch geschieht. Dann sah ich den Pfaffen und dachte mir, dass er Euch sicher trauen würde. Ich lag ja dann auch nicht so daneben mit meiner Vermutung.“ Andris grinste und seine Augen strahlten vor Freude.
„Das erklärt immer noch nicht, wie du hierhergekommen bist“, warf Falk ein.
„Ich habe einen Freund in der Stadt, der mit seinem Großvater, dem Flickschuster Johan, in dieser Gasse wohnt. Vom ihm wusste ich, dass durch dieses Haus hier, das einmal der Witwe Maret gehörte, ein Gang zum Stadtgraben geht. Das Haus steht seit ihrem Tod im letzten Jahr leer und wir verstecken uns oft hier, um ungestört zu sein.“ Falk hob etwas irritiert die Augenbrauen.
„Der Gaugraf sieht es nicht gern, wenn seine Bediensteten Umgang mit den Leuten aus der Stadt haben“, ergänzte Andris, als er Falks Blick auffing. „Er kennt mich zwar nicht persönlich, aber man weiß nie, wer es ihm zutragen könnte. Ich will nicht unbedingt seine Aufmerksamkeit auf mich ziehen.“
Falk war sprachlos angesichts der unbekümmerten, respektlosen Art des Jungen.
„Als ihr dann aus dem Stadtverlies gekommen und losgerannt seid, bin ich Euch gefolgt. Und als hätte der liebe Gott es gewusst“, Andris machte das Zeichen des Kreuzes, „hat er Euch in diese Gasse geführt. Natürlich dachte ich mir, dass das Tor da hinten versperrt sein würde. Den Schlüssel dazu hat der Stadtwächter, damit keine unliebsamen Gesellen unbemerkt von draußen hereinkommen.“
„Aber, wenn am Ende dieser Gasse der Stadtgraben ist, wieso ist dort ein verschlossenes Tor?“, fragte Krystina.
„Weil dort auch die Anlegestelle für das einzige Boot ist, was über den Graben führt“, erklärte ihr Falk. „Deshalb bin ich in diese vermaledeite Gasse gerannt.“
„Ja“, bestätigte Andris. „Und hinter jedem Haus hier ist ein kleiner Garten, der an den Graben führt. Das Haus der Witwe ist das erste neben dem Anlegesteg.“
„Und was ist, wenn die Häscher des Grafen auf der anderen Seite des Grabens auf uns warten?“, fragte Krystina besorgt.
„Sie wissen nicht, dass wir diesen Weg genommen haben, da sie ja davon ausgehen dürften, dass dieses Tor fest verschlossen ist. Also wird niemand auf die Idee kommen, dass wir mit dem Boot übersetzen“, sagte Falk mit mehr Überzeugung in der Stimme als in seinem Inneren.
„Ich rate Euch, den Tag hier zu verbringen und zu warten, bis die Dunkelheit hereingebrochen ist. Ich kenne hier jeden Zentimeter des Bodens, bin ich doch selbst schon oft mit dem Kahn übergesetzt. Ich werde Euch aus der Stadt geleiten. Jetzt am helllichten Tag ist es viel zu gefährlich.“
„Ich gebe zu, dass du Recht hast, Junge. Sicher suchen sie bereits im Wald vor der Stadt nach uns. Wenn sie uns nicht finden, werden sie denken, wir sind schon über alle Berge oder noch in der Stadt. Wollen wir hoffen, dass sie nicht alle Häuser durchkämmen.“
„Das müsst Ihr riskieren. Eine andere Chance habt Ihr nicht“, gab Andris zu Bedenken.
„Also warten wir hier“, sagte Falk, der bitteren Realität ins Auge sehend.
„Geht ins Haus, ich werde Euch etwas zu essen besorgen“, forderte Andris die beiden auf.
„Aber lass dich nicht erwischen“, riet ihm Falk.
„Keine Sorge.“ Damit verschwand Andris durch dieselbe Tür, durch die sie vorher hier hereingekommen waren und ließ sie allein zurück.
„Wir werden ihm vertrauen müssen“, bemerkte Falk und konnte seine Skepsis nicht ganz verbergen.
„Ich vertraue ihm“, sagte Krystina. „Was bleibt uns auch anderes übrig. Wir haben keine Wahl. Hoffen wir, dass Gott auf unserer Seite ist.“ Sie ließ sich auf der kleinen Bank direkt neben dem Hintereingang nieder. Diese war vom Wildwuchs des Gartens so verdeckt, dass sie keiner von außerhalb sehen konnte.
„Auf Eurer Seite vielleicht. Bei mir bin ich da nicht so sicher“, sagte Falk mehr zu sich selbst als zu Krystina. Dann setze er sich zu ihr. „Vielleicht solltet Ihr die Gelegenheit nutzen und mir erzählen, wieso ihr vorgegeben habt, mich zu kennen.“
„Ja, das bin ich Euch schuldig, jetzt, wo wir Mann und Frau sind.“
„Nun, zumindest gebunden durch das Wort des Priesters“, warf Falk trocken ein. Krystina wusste genau, was er meinte und es lief ihr ein Schauer über den Rücken. Doch hatte sie keine Angst vor ihrem Gemahl, eher war es die Sehnsucht danach, zu ihm zu gehören und ihm zu gefallen. Die Vorstellung davon, dass sie wirklich ein richtiges Paar würden, sandte ihr Wellen der Erregung durch den Körper. Doch wollte sie wirklich an der Seite dieses Mannes bleiben, musste sie ihm endlich erzählen, wieso sie ihn kannte.
„Erinnert Ihr Euch an die junge Frau, deren Leben Ihr einst zu retten versuchtet?“, fragte Krystina nach einem Moment des Schweigens. Falk zuckte unvermittelt zusammen. Sie konnte doch unmöglich ... Nein, das ergab keinen Sinn. Sie war damals ja vielleicht noch nicht einmal geboren.
„Sie war meine Mutter“, fuhr Krystina fort, als hätte sie Falks Reaktion gar nicht bemerkt. „Ich war damals noch ein Säugling. Natürlich wusste ich lange Jahre nichts von den Vorfällen, bis ich in das Haus Eures Onkels kam.“
Falk sah sie verständnislos an.
„Es war ungefähr vor fünf Jahren, da schickte mich mein Onkel zu Friedrich von Chomotau, damit ich als Dame seiner Frau meine Ausbildung vervollständigen konnte. Er hatte ehrgeizige Pläne mit mir und wollte mich vorteilhaft verheiraten. Zu seinem Vorteil, versteht sich.“ Krystina stieß ein bitteres, kurzes Lachen aus.
„Und was hat das mit mir zu tun?“, fragte Falk etwas bissig. Er hatte wahrlich keine Lust, sich jetzt mit den Gespenstern der Vergangenheit auseinanderzusetzen. Zu viele Jahre waren seitdem vergangen und es war ihm gelungen, die Ereignisse jener Zeit erfolgreich zu verdrängen. Bis Krystina auftauchte.
Nein. Die furchtbaren Erlebnisse aus seiner Kindheit, genauer aus seiner Knappenzeit hier in Louny, hatten ihn letzte Woche schon wieder eingeholt, als er in die Hände des Gaugrafen gefallen war. Aber das ausgerechnet Krystina Teil dieser Sache sein sollte, schockierte ihn umso mehr, da sie jetzt auf wirklich wundersame Weise seine Frau geworden war. Noch hatten sie die Ehe nicht vollzogen. Aber der vor dem Angesicht Gottes gegebene Eid, sie zu beschützen, bis dass der Tod sie schied, war für ihn keine Floskel, durch die er sein Leben retten konnte. Er war es diesem Mädchen schuldig, auch ihre Beweggründe anzuhören. Und wenn sie gewillt war, bei ihm zu bleiben, würde er sie mit zurück in die Mark Meißen nehmen und ihr einen Platz als seine rechtmäßige Ehefrau einräumen. Eigentlich hatte er nie vorgehabt, zu heiraten. Aber nun wollte es das Schicksal anders, und er musste sehen, wie er damit zurechtkam.
„Ich war auf dem Weg in die Kemenate, da sah ich Euch eines Nachmittags in der Halle stehen, als ihr gerade mit eurem Cousin von der Jagd zurückgekommen wart. Ihr gabt Euch fröhlich und ausgelassen. Aber dennoch hatte ich das Gefühl, dass diese Fröhlichkeit nicht von innen herauskam, sondern nur aufgesetzt war, wie um vor den anderen Eure wahren Gefühle zu verbergen.“ Krystina sah ihn fragend an, als erwartete sie eine Bestätigung ihrer Worte.
„Außerdem hat mir gefallen, was ich sah.“ Sie zögerte kurz und eine leichte Röte stieg ihr ins Gesicht. Falk gab einen belustigten Laut von sich.
„Nun, ich war jung, in einem Alter, in dem Mädchen träumen und schnell ins Schwärmen geraten.“ Sie lächelte. „Ich fragte die Frau Eures Onkels, wer Ihr seid und sie sagte mir, dass Ihr der Neffe Friedrichs wäret, Falk von Schellenberg.“
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