„Ja, ja. Es reicht. Was ich meinte, war, dass hier bisher niemand wusste, dass Ihr eine Tochter habt.“
„Nun, was das betrifft, so habe ich es auch nie an die große Glocke gehangen. Das arme Kind ist auch so schon gestraft genug, mit niemandem reden zu dürfen, keine Freundin unter den anderen Mädchen zu haben und nur mit Blut und Tod in Berührung zu kommen. Deshalb halte ich sie immer im Haus und sie hat nur mit wenigen Menschen Kontakt.“ Peter hoffte inständig, dass seine dreiste Lüge nicht auffliegen würde. Er gefiel sich in der Rolle, selbst einmal über Leben und Tod entscheiden zu können, nicht immer nur der Ausführende zu sein.
„Ach was?“, war das Einzige, was dem Amtmann zu diesem vollkommen neuen Umstand zu sagen einfiel.
„Und, wie es meine Tochter schon richtig kundtat, hat sie das Recht, unter dem Halsgericht ihren zukünftigen Gemahl zu wählen. Auch wenn es mir selbst nicht unbedingt gefällt“, fügte er vorsichtshalber hinzu.
Die junge Frau erkannte sehr schnell, dass es ihre einzige Chance war, nicht davongejagt zu werden und damit Falk seinem Schicksal zu überlassen, indem sie auf die Behauptung des Henkers einging. Nun war es gleich, ob sie diesen Mann nochmals berührte oder nicht. Sie fasste Meister Peter am Arm, den Anschein erweckend, dass sie Unterstützung bei ihrem Vater suchen würde.
„Bitte gebt mich diesem Mann dort zur Frau“, deutete sie auf Falk, der die ganze Farce mit zunehmender Neugier verfolgte. Bot sich hier etwa eine Gelegenheit, doch mit dem Leben davonzukommen? Er sollte verflucht sein, wenn er auf diese Scharade nicht eingehen würde. Seine Lebensgeister kehrten mit allen ihren Sinnen zurück und er warf dem Mädchen einen flehenden Blick zu, diese unglaubliche Geschichte weiter mitzuspielen.
„Ich liebe ihn, von ganzem Herzen“, hörte er sie mit leiser Stimme sagen, und fast hätte es ihn amüsiert, zu sehen, wie sie ob ihrer Worte leicht errötete, wäre er nicht in so einer misslichen Lage gewesen.
„Und woher kennst du den Ritter, Weib?“, fragte der Amtmann nun etwas gereizt, da er der ganzen Sache keinen rechten Glauben schenken mochte.
„Er hat mir im Wald von Lounisky einmal das Leben gerettet, als ich beim Kräutersammeln von einem wilden Eber angegriffen wurde. Der Ritter wusste nicht, wer ich bin“, beeilte sie sich zu sagen, um Falk wenigstens etwas Ehre bei der ganzen Angelegenheit zu lassen. Das war natürlich glatt gelogen, denn Falk hatte sie nie in diesem Wald getroffen, kannte sie gar nicht. Zumindest war er sich dessen nicht bewusst, denn sie selbst wusste von ihm bereits ihr ganzes Leben.
„Doch, ich habe mich auf der Stelle in ihn verliebt, kann ohne ihn nicht mehr leben“, fügte sie voller Theatralik hinzu.
Die Menge johlte begeistert und schrie: „Heiraten, heiraten!“
„Das Mädchen hat Recht“, mischte sich nun auch der Priester ein. „Es ist seit Jahrhunderten Brauch, einen Verurteilten unterm Blutgerüst freizukaufen.“ Wie sah das aus, wenn der Vertreter der Kirche hier nur stumm beiseite stand, ohne in dieser Angelegenheit das letzte Wort gesprochen zu haben. Das war eine Sache Gottes, hier wurde über Tod und Leben entschieden. Zu schnell schien er vergessen zu haben, dass er gerade noch Falks schnellen Tod gefordert hatte. Aber zu wichtig war es ihm, als Unterstützer eines Wunders angesehen zu werden. Die meisten Menschen hier sahen die Geschichte als Gottesurteil und es würde der Kirche nur zum Vorteil gereichen, wenn sie den angeblichen Willen des himmlischen Herrschers nicht in Frage stellte. Und deshalb forderte er nun auch das Leben des Verurteilten für das Mädchen.
„Ich werde mich mit dem Prälaten in dieser Sache beraten. Aber ich glaube, auch er sieht es als Willen Gottes an, dass dieser Mann und diese Frau das Sakrament der Ehe erhalten.“
„Nun gut“, meldete sich Nikel Jobst wieder zu Wort. „Ich werde die Sache mit dem Gaugrafen besprechen. In der Zwischenzeit sperrt die beiden zusammen in das Verlies“, wies er mit einem sarkastischen Lächeln seine Waffenknechte an. Sollte das dumme Mädchen ruhig spüren, was es hieß, gesetzlos zu sein.
„Meister Peter, ich glaube, wir benötigen Eure Dienste im Moment nicht mehr“, wandte er sich an den Scharfrichter. „Aber erwartet nicht, dass Ihr einen Lohn erhaltet. Schließlich habt Ihr mit Eurer Brut selbst dazu beigetragen, dass der Raubritter nicht gerichtet wird.“
Meister Peter verbeugte sich schweigend vor dem Amtmann. Letztlich war er froh, nicht weiter befragt worden zu sein, was seine Verwandtschaft mit dem Mädchen anging. Zum Glück interessierte sich niemand weiter für die Familienverhältnisse eines Henkers, der als unrein und damit als unehrenhaft galt. Die Menschen machten es sich wahrlich zu einfach, wenn es darum ging, mit den unangenehmen Dingen des Lebens nichts zu tun haben zu wollen. Von den feinen Bürgern der Stadt würde sich niemand hinstellen und einen Verbrecher, der ihnen Hab und Gut oder gar das Leben eines Familienmitgliedes genommen hatte, selbst zu richten. Dabei war es vor noch gar nicht allzu langer Zeit sogar üblich gewesen, dass ein Mann, der geschädigt war, das Urteil selbst vollstreckte. Aber jetzt, wo die Leute in schmucken Häusern in Städten wohnten, wollte sich niemand selbst die Hände mit dem Blut der Verurteilten besudeln. Es belastete ihn sehr, dieses Handwerk ausüben zu müssen, doch konnte er nichts dagegen tun, wenn er seine Familie ernähren wollte. Deshalb hielt er jetzt auch den Mund und hoffte insgeheim, dass der Ritter und das junge Weib mit heiler Haut davonkommen würden.
„Was, um Gottes Willen, geht da unten vor sich?“, fragte der Gaugraf aufgebracht den Amtmann, als dieser wieder zurückkehrte. „Wieso habt ihr die beiden zusammen wegführen lassen? Ihr solltet den Schellenberger zu Tode befördern, nicht mit einem Weib versorgen.“
„Sie ist die Tochter des Henkers“, verteidigte sich Nikel. „Außerdem hat sich der Pfaffe eingemischt und die Sache zu einer Angelegenheit des Himmels erklärt, indem er es als einen Wink Gottes ansieht, dass dieses Weib gerade jetzt aufgetaucht ist.“
„Was? Wieso?“ Miro von Louny war zutiefst verwundert darüber, dass der Henker eine Tochter hatte. Warum wusste er davon nichts? Doch interessierte ihn dieser Umstand erst einmal weniger. Nur, dass die Kirche nun auch noch darauf bestand, dass das Weib Recht hatte, ärgerte ihn maßlos. Der Pfaffe war ein Vertrauter des Prälaten des Passauer Bischofs. Wenn er jetzt dessen Urteil in Frage stellte, würde er sich die Kirche zum Gegner machen, und das liefe seinen ehrgeizigen Zielen, seine Macht über die Grenzen Lounys weiter auszubauen, sehr zuwider.
„Nun gut. Soll sie diesen Kerl doch heiraten“, sagte er. „Doch sobald sie die Ehegelübde abgelegt haben, erkläre ich beide für vogelfrei und lasse sie aus der Stadt jagen.“ Er lächelte böse. „Dann kann sie jeder wie tollwütige Füchse erschlagen. Ich glaube nicht, dass sie lange überleben. Also ist es letztlich vollkommen egal, wie der Halunke zu Tode kommt. Und das Weib hat es sich selbst zuzuschreiben, wenn sie stirbt. Sie hat als Henkerstochter sowieso nichts mehr von dieser Welt zu erwarten. Doch führe ihr diesen Umstand nochmals vor Augen. Vielleicht überlegt sie es sich anders und hängt dennoch am Leben. Dann können wir die Sache, den Schellenberger ins Jenseits zu befördern, etwas beschleunigen.“
Falk beobachtete die junge Frau nun schon eine ganze Weile. Sie saß zusammengekauert in der Ecke unter dem Fenster, wohin sich ein Sonnenstrahl verirrt hatte, der wieder goldene Lichtreflexe in ihr Haar zauberte. Ihr Gesicht schien noch blasser als am Morgen und in ihren Augen stand die nackte Angst, als sie ihn anblickte.
Wie ist das nur möglich? , dachte Falk. Sollte sie wirklich von Gott gesandt sein? Eigentlich hatte er nie an solche Sachen geglaubt, stand göttlichen Dingen eher skeptisch gegenüber. Was, wenn es nun doch so etwas wie Wunder gäbe?
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