„Hör zu, Frantek, mein Freund“, ergriff Miro wieder das Wort, wobei er sich zu seinem Komplizen hinüberbeugte und ihn herausfordernd in die Augen sah. „Wenn du schwach wirst und deine Aussage, dass wir Falk auf frischer Tat ertappt und erkannt hätten, zurücknimmst, dann wirst du genauso dran sein wie Falk. Denke dran, es ist uns leider nicht gelungen, ihn an einer Flucht zu hindern. Denn mir wird der König mehr Glauben schenken als dem vollkommen bedeutungslosen Sohn eines meißnischen Dienstadligen. Also, überlege es dir sehr genau, was du gesehen haben willst.“
Wütend ließ sich Frantek zurück auf seinen Stuhl sinken. Mit zitternden Händen griff er nach seinem Humpen, nur um festzustellen, dass dieser leer war. Miro und Zdenek grinsten hämisch.
„Verdammt“, entfuhr es Frantek. Er knallte seinen Becher auf den Tisch. „Lenka“, schrie er nach der Magd, die sich ängstlich in der Nähe der Tür herumdrückte, in der Hoffnung, den betrunkenen Rittern nicht ins Blickfeld zu geraten. Das Mädchen zuckte zusammen. Doch beeilte sie sich, dem Ruf des Mannes schnell nachzukommen, außer sich vor Angst, dass der Gaugraf sie später bestrafen würde, falls sie nicht flink genug den Befehlen Folge leistete. Doch die Männer kümmerten sich nicht weiter um Lenka.
„Verschwinde“, schnauzte Miro sie an, als diese sich anschickte, auch ihm erneut einzuschenken. Das Mädchen wich scheu zurück und verschmolz mit den Schatten der Wand hinter sich, froh, der Aufmerksamkeit der Gesellen zu entgehen.
„Am besten du reitest noch heute Nacht nach Chomotau“, riet Miro seinem Kumpan. „Dann kannst du keinen Fehler machen.“ Sein verschwörerischer Blick ging zu Zdenek.
Frantek wollte protestieren, doch der Gaugraf hob abweisend die Hände. „Nein, sag nichts. Ich weiß, dass es dir nicht passt, nach Hause zurückzureiten. Friedrich wird dich sicher nicht freudig an sein Vaterherz drücken, nachdem du daran schuld bist, dass sein geliebter Neffe hingerichtet wird. Aber wir müssen in der Tat jetzt aufpassen, dass niemand misstrauisch wird. Zdenek, auch du reitest nach Hause“, wandte er sich an seinen anderen Spießgesellen. Der Neubergker starrte missmutig auf den Tisch. „Ich weiß, du hättest gern gesehen, wie Falks schöner Kopf vom Rumpf getrennt wird.“ Er lachte böse. „Aber glaube mir, es ist besser, wenn ich morgen allein zu der Hinrichtung gehe. Falks Onkel wird mit Sicherheit versuchen, seinen Neffen in letzter Minute zu retten. Ich will nicht Gefahr laufen, dass euer Erscheinen noch irgendeinen Tumult hervorruft.“ Er machte eine kurze Pause. Seine Miene erstarrte zu einer rohen Maske. „Der Mörder meines Vaters soll endlich verrecken“, setzte er voller Hass hinzu.
Wie in Trance stieg Falk unter dem lauten Rufen und Johlen des versammelten Mobs die Stufen zum Blutgerüst hinauf. Ein Priester hielt ihm ein Kruzifix entgegen und plapperte unaufhörlich das Vaterunser vor sich hin, ohne den Verurteilten dabei wirklich anzublicken. Nachdem sein Onkel gegangen war, hatte er die gesamte Nacht auf dem Boden gesessen und vor sich hingestarrt, jegliche Gedanken vollkommen aus seinem Bewusstsein ausschließend. Er spürte nicht, wie die Kälte sich in seine Knochen fraß. Sein Inneres war regelrecht eingefroren und nicht mehr empfänglich für irgendwelche Reize von außen. Als sie ihn am Morgen aus seiner Zelle holten, ließ er sich widerstandslos nach draußen führen. Er hatte mit der Welt abgeschlossen und sämtliche Gefühle aus seiner Brust verbannt.
Die Waffenknechte zerrten an seinen Stricken, mit denen man ihm Hände und Füße zusammengebunden hatte. Sie stießen ihn vor einen Holzblock, der bereits von tiefen Scharten gezeichnet war. Nikel Jobst, der Amtmann des Gaugrafen, stand in einiger Entfernung vom Richtblock. Mit einem kurzen Wink seiner rechten Hand gebot er einem Gerichtsdiener die Trommel zu schlagen, so dass die Menge langsam verstummte.
„Habt Ihr noch etwas zu sagen, Falk von Schellenberg?“, fragte er mit dröhnender Stimme, nicht wirklich eine Antwort erwartend. Ohne den Mann anzusehen, schüttelte Falk stumm den Kopf. Langsam ließ er unter gesenkten Lidern heraus den Blick über den Platz schweifen. Die Hinrichtungen in Louny fanden auf dem Marktplatz des Fleckens statt, der von einfachen Fachwerkhäusern begrenzt wurde. Bei einem steinernen Haus, dass, etwas losgelöst von den anderen, direkt gegenüber der Richtstätte stand, verharrte er. An einem geöffneten Fenster im oberen Stockwerk des Gebäudes erkannte Falk Miro. Hier residierte der Gaugraf, wenn er zu Geschäften in Louny weilte. Langsam kam wieder Leben in Falk. Er hob stolz den Kopf und starrte seinen Erzfeind so eindringlich an, dass diesem ein Schauer über den Rücken lief. Ärgerlich gab Miro dem Amtmann ein Zeichen, endlich mit der Hinrichtung fortzufahren. Er wollte die Sache hinter sich bringen. Es schien ihm gefährlich, noch länger zu warten, denn mit Sicherheit würde Falks Onkel alles versuchen, seinen Neffen doch noch vor dem Tod zu bewahren. In seiner Angst, dass zu guter Letzt etwas schiefgehen könnte, hatte er nicht bemerkt, dass Friedrich von Chomotau in der Menge stand und traurig das Geschehen beobachtete, ohne Hoffnung, dass doch ein Wunder eintreten und Falk die Rettung bringen würde.
Die Knechte stießen den Ritter nach vorn und zwangen ihn, sich vor dem Richtblock niederzuknien. Wieder fuchtelte der Pfaffe mit dem Kreuz vor dessen Gesicht herum. „Lass es, zum Teufel“, zischte Falk mit drohender Stimme. Der Geistliche sprang erschrocken zurück und schlug mehrmals hintereinander das Kreuz.
„Heilige Mutter Gottes. Der Böse hat bereits Besitz von ihm genommen“, stieß er mit heiserer Stimme hervor. „Ihr solltet Euch sputen, Henkersmeister, bevor er uns alle verflucht.“ Hektisch flog sein von Panik gezeichneter Blick zwischen dem Scharfrichter und dem Amtmann hin und her.
„Waltet Eures Amtes, Meister Peter“, wies nun auch der Büttel den Henker an. Der Mann trat hinter Falk und ließ sich von seinem Gehilfen das Richtschwert reichen. Gerade hub er an, den Verurteilten um Vergebung zu bitten für sein Tun, da kam Bewegung in die Menge. Eine junge Frau zwang sich durch die Reihen und rannte direkt auf das Schandgerüst zu.
„Haltet ein!“, rief sie. Ihr Schleier war vom schnellen Laufen verrutscht. Lange glänzende Flechten fielen ihr über den Rücken. Mit einer Hand die Kopfbedeckung haltend, mit der anderen den Rock raffend, erklomm sie die Stufen des Schafotts. Die Waffenknechte wollten nach ihr greifen, doch wich sie ihnen geschickt aus. Nikel Jobst war zu verblüfft von dem Geschehen, als dass er der Sache Einhalt gebieten konnte. Oben angekommen, warf sich das Mädchen vor dem Scharfrichter auf die Knie und deutete auf Falk.
„Es ist mein gutes Recht, diesen armen Sünder vom Halsgericht loszubitten, wenn ich ihn zum Manne wähle.“ Demütig senkte sie den Kopf.
Meister Peter war ratlos. So etwas hatte er in seinen ganzen Jahren als Henker noch nicht erlebt. Doch wusste er, dass es Brauch war, den Verurteilten mittels Heirat freikaufen zu können. Aber eigentlich ging das nur, wenn der Henker selbst einer Delinquentin die Ehe antrug, eventuell konnte die Tochter des Scharfrichters einen Mann erbitten. Aber ein vollkommen fremdes Mädchen? Doch eigentlich war er es leid, sein ganzes Leben lang Menschen zu Tode zu befördern und für immer aus der Gesellschaft der ehrbaren Menschen ausgeschlossen zu sein. Er hatte sich seinen Beruf nicht ausgesucht, sondern ihn von seinem Vater übernommen. Die Gesetze forderten, dass der älteste Sohn des amtierenden Henkers bei dessen Tod diese Pflicht übernahm. Und so musste auch Peter bereits in jungen Jahren die „Geschäfte“ seines Vaters weiterführen. Welch wunderbare Gelegenheit, einmal etwas Gutes zu tun und sich wenigstens von einer Sünde reinzuwaschen , dachte er bei sich.
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