„Wie heißt du?“, fragte Falk. „Wie kommt es, dass du behauptest, mich zu kennen? Und, was mich am meisten irritiert, wieso sagst du, dass du mich liebst und heiraten willst?“
Stumm schaute ihn das Mädchen an, in ihren Augen schimmerten Tränen.
„Nun, ich weiß nicht recht. Erst bittest du um mein Leben und jetzt scheint es dir die Sprache verschlagen zu haben. Ich hoffe, du bereust deine Tat nicht, denn eigentlich hänge ich sehr am Leben. Diese Chance, die sich mir jetzt hier bietet, will ich wahrlich nicht verstreichen lassen. Ich verspreche dir, dich reich zu belohnen, wenn du dieses Märchen noch eine Weile aufrechterhältst.“ Er ging vor dem Mädchen in die Hocke und schaute sie eindringlich an.
Die junge Frau holte tief Luft und schniefte kurz. „Ich hatte meine Gründe, Euch das Leben zu retten“, sagte sie zu Falks Verwunderung. „Doch bin ich mir nicht mehr ganz sicher, ob es eine gute Idee war.“ Sie schluckte kurz. „Immerhin hält mich jetzt jeder für die Tochter des Henkers.“ In ihr Gesicht trat ein leichter Ausdruck des Bedauerns.
„Das hättest du dir vorher überlegen sollen. Doch nun, da es einmal so ist, kannst du dieses Spiel auch noch eine Weile weiterspielen. Ich wäre dir sehr verbunden dafür“, sagte er mit einem Anflug von Schärfe in der Stimme. Allerdings bereute er es sofort, als sie ihn mit einem etwas weidwunden Blick anschaute.
Fast wie das Rehkitz, was mir vor einigen Wochen vor die Armbrust gelaufen ist , dachte er. Er hatte das Reh damals laufen lassen. Warum, wusste er bis heute nicht, denn so hatte er die Tafel des Herren von Chomotau um ein beträchtliches Festmahl gebracht. Nur, dass sie kein Rehkitz war und auch nicht braune, sondern graue Augen wie der Novemberhimmel hatte und alle seine Sinne verwirrte. Falk erhob sich seufzend.
„Was, glaubt Ihr, werden sie mit uns tun?“, fragte die junge Frau ängstlich.
„Ich hoffe, die Kirche setzt sich durch. Der Pfaffe will ein Wunder sehen. Und das glaubt er mit deiner Hilfe den Menschen vorsetzen zu können. Also denke ich, sie werden uns trauen und dann aus der Stadt jagen.“ Er sah, wie ihre Schultern vor Erleichterung nach unten sackten.
„Nun, wie auch immer die Sache hier ausgehen wird, ich bin dir zu Dank verpflichtet. Falls sie mich doch hinrichten, hoffe ich, du schließt mich in deine Gebete ein. Ich schätze, dir wird nichts weiter geschehen. Vielleicht vertreiben sie dich aus der Stadt.“
Falk verfiel ins Grübeln und zermarterte sich das Hirn, warum ihn das Mädchen an jemanden erinnerte. Nach einer Weile schoss es ihm durch den Kopf, dass er die Frau noch nicht einmal nach ihrem Namen gefragt hatte. Wieder ging er zu ihr und blieb direkt vor ihr stehen. Sie hob den Kopf, welchen sie auf ihren Knien abgelegt hatte und schaute ihn abwartend an.
„Wie heißt du?“, fragte er unvermittelt. „Wenn ich dich schon heiraten muss, dann will ich wenigstens wissen, mit wem ich es zu tun habe. Nicht, dass ich eine Wahl hätte“, setzte er mit trockener Stimme hinzu.
Ein trauriges Lächeln erschien auf ihrem Gesicht. „Ihr habt Recht. Verzeiht, dass ich Euch meinen Namen noch gar nicht genannt habe. Ich bin Krystina von Hauenstejn und...“
„Von Hauenstejn!“, rief Falk voller Verwunderung aus, ohne sie aussprechen zu lassen. „Wie kommt es, dass ein Fräulein von Stand sich als die Henkerstochter ausgibt.“ Er schüttelte ungläubig den Kopf. Er hatte bisher angenommen, dass dieses Mädchen ein armes Weib irgendwo aus der Gegend war, die sich einen Vorteil davon versprach, wenn sie ihn rettete. „Habt Ihr etwas mit Kaspar von Hauenstejn zu tun?“, fragte er.
„Ja, er ist mein Onkel“, antwortete sie verdrossen.
„Euer Onkel? Und was, zum Teufel, macht Ihr dann hier in diesem Drecksloch?“ Er konnte es nicht fassen. Krystina wollte gerade zu einer Antwort ansetzen. Da hörten sie draußen Schritte und alsbald wurde der Riegel aufgeschoben.
In der Tür erschien der Priester. Mit feierlicher Miene betrat er den Raum, und Falk hoffte, dass der Gesichtsausdruck des Pfaffen verhieß, bald die Sakramente der Ehe zu erhalten und nicht die zum Sterben. Nach ihm traten die beiden Knechte ein und schritten auf Falk zu.
„Da hast du Glück gehabt, Schellenberger“, sagte der eine respektlos. „Der Prälat konnte den Gaugrafen davon überzeugen, dass es Gottes Wille sei, dass du dieses Mal dem Henkersschwert entronnen bist.“ Er packte Falk grob an den Armen und löste dessen Fesseln, denn noch immer war er mit den Stricken gebunden gewesen, die sie ihm vor dem Gang zum Schafott am frühen Morgen angelegt hatten.
„Geht beiseite und lasst mich mein Amt verrichten.“ Wichtigtuerisch schob der Pater den Waffenknecht hinter sich, der daraufhin unwillig knurrte.
„Wenn Ihr mich fragt, hätte man die Hexe gleich mit hinrichten sollen“, sagte er unwirsch.
„Dich fragt aber keiner.“ Der Priester legte seine Stola um. „Und jetzt stelle dich neben den Gefangenen. Es muss ja schließlich auch Zeugen geben, die bestätigen, dass der Ritter hier in den heiligen Stand der Ehe getreten ist. Nicht, dass er es sich hernach einfallen lässt, sich nach einer standesgemäßen Braut umzusehen.“ Er lachte hämisch auf.
„Steh auf, mein Kind“, forderte er Krystina unter scheinheiligem, freundlichem Getue auf. „Und nun sage mir deinen Namen, damit ich euch miteinander verbinden kann.“ Abwartend blickte er ihr ins Gesicht. Einen kurzen Moment geriet Krystina in Panik. Doch sie fasste sich schnell. Wenn sie jetzt preisgab, dass sie eine von Hauenstejn sei, wäre alles umsonst gewesen.
„Ich heiße Krystina“, sagte sie ohne weitere Erklärungen, in der Hoffnung, dass der Priester sie immer noch für die Henkerstochter hielt. „Aber sagt mir, Ehrwürden, wo ist mein geliebter Vater. Soll er mich nicht diesem Manne zuführen?“
Falk war fassungslos. Gerade noch saß sie verängstigt in der Ecke und konnte ihm kaum Rede und Antwort stehen, und nun provozierte sie auch noch den Pfaffen, statt die Sache schnell hinter sich zu bringen.
Der Priester schien nicht minder erstaunt. „Nun, da es sich bei deinem Vater um den Henker von Louny handelt, wirst du wohl nicht wirklich erwarten, dass er hier anwesend ist. Außerdem werdet ihr kaum Gelegenheit haben, eure Vermählung gebührend zu feiern, denn der Graf hat euch für vogelfrei erklärt und lässt euch aus der Stadt jagen, sobald ihr Mann und Frau seid. Und nun gebt euch die Hand, ich habe nicht ewig Zeit.“
Falk ergriff Krystinas kleine Hand, die sich sehr kalt anfühlte. Das Mädchen zitterte leicht. Um ihr etwas Mut zu geben, drückte er sie ganz behutsam. Dankbar sah sie ihn an. Der Geistliche legte ein besticktes Band über ihre Hände.
„Ich glaube, unter diesen Umständen können wir die Sache etwas abkürzen. Ich nehme nicht an, dass jemand Anspruch auf das Mädchen erhebt und so können wir uns die ganze Farce mit dem Aufgebot und so weiter sparen.“ Er schaute herausfordernd auf die Waffenknechte, die zustimmend brummten.
„Also, Falk von Schellenberg, wollt Ihr die hier anwesende Krystina, Tochter des Meister Peter, Scharfrichter von Louny, ehelichen, sie lieben und ehren, bla, bla, bla und ihr treu sein bis in den Tod?“ Der Pfaffe lachte dreckig.
„Ja“, antwortet Falk ohne weitere Regung.
„Und du Krystina, willst du diesem Mann untertan sein, bis dass der Tod euch scheidet?“
Krystina zögerte einen ganz kurzen Moment. Ihr Blick fiel auf Falk, der sie voller Hoffnung anschaute. „Ja“.
„Dann erkläre ich euch vor dem Angesicht Gottes zu Mann und Frau.“
„Und nun schert euch zum Teufel.“ Der Waffenknecht schob den Priester unsanft zur Seite, packte die junge Frau derb am Arm und schob sie Richtung Tür. Der andere Kerl war hinter Falk getreten und versetzte ihm einen Stoß. Falk strauchelte leicht, fasste sich aber sofort wieder. Irgendwann würde es ihm gelingen, fürchterliche Rache zu nehmen für all das, was er hier erleiden musste. Er legte seinen Arm um die bebende Gestalt seiner jungen Braut und zog sie mit sich. Bald standen sie auf der Straße. Die Menge vom Morgen hatte sich zerstreut. Nur noch ein paar einzelne lungerten herum, in der Hoffnung, etwas von den weiteren Geschehnissen mitbekommen zu können.
Читать дальше