1 ...8 9 10 12 13 14 ...29 „Dafür haben wir jetzt keine Zeit“, sagte er kurz angebunden. „Spart Euch Euren Atem lieber dafür auf, dass wir vielleicht um unser Leben rennen müssen.“ Falk begann schneller auszuschreiten, so dass die junge Frau Mühe hatte, mitzuhalten.
„Deshalb müsst Ihr ja nicht jetzt schon rennen“, beschwerte sie sich. „Ich höre niemanden, der uns verfolgt.“
„Schweigt!“, rief Falk mit verhaltener Stimme und hielt warnend die Hand hoch.
„Was ist?“, flüsterte Krystina zurück.
„Mir war, als hätte ich etwas im Unterholz knacken hören.“ Angestrengt schaute er in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen zu sein schien. Doch konnte er außer dichtem Gestrüpps nichts erkennen. „Vielleicht war es nur ein Hase“, stellte er fest.
Als wäre dies das Stichwort gewesen, fing Krystinas Magen in diesem Moment so laut an zu knurren, dass es sogar ihr Begleiter hören konnte. Er schaute sie fragend an. Krystina errötete und versuchte die Tatsache, dass sie Hunger hatte, zu überspielen. Sie schritt an Falk vorbei und ging weiter, immer der Sonne Richtung Süden folgend. Als Falk es ihr am Morgen erklärte, begriff sie schnell, wie man sich an der Sonne orientieren konnte, um an ein bestimmtes Ziel zu gelangen.
Falk bekam sie am Ärmel zu fassen. „Wartet!“, raunte er. „Noch ist die Gefahr nicht gebannt. Die Spießgesellen Lounys sind mit Sicherheit noch hinter uns her. Wir müssen versuchen, nach Vildstejn zu kommen. Das liegt zwar nicht direkt auf unserer Route. Aber ich habe dort einen guten Freund, der uns weiterhelfen kann.“
„Ihr glaubt nicht, dass Miro die Jagd aufgegeben hat?“, fragte sie nun ängstlich.
„Nein“, antwortete Falk kurz angebunden. Was sollte er auch große Worte machen. Das würde ihnen nur wertvolle Zeit stehlen.
„Ich habe Hunger“, gab Krystina unvermittelt zu. „Wir hätten etwas aufheben sollen von dem Brot, dass uns Andris gebracht hat.“
„Es hat doch kaum für uns beide gereicht. Es war wichtig, uns genügend zu stärken, bevor wir losgegangen sind.“ Krystina schaute ihn niedergeschlagen an.
„Wenn wir Glück haben“, fuhr er scheinbar ungerührt fort, „und uns keiner vorher erwischt, sind wir in drei, vier Tagen in Vildstejn. Das heißt also, dass wir uns jetzt beeilen sollten, wenn wir noch vor dem Dunkelwerden einen Rastplatz finden wollen. Ich kenne mich hier in der Gegend nicht gut genug aus, um in Finstern den Weg zu finden.“ Damit wandte er sich um, und schritt voran. Krystina blieb also nichts weiter übrig, als ihm zähneknirschend zu folgen.
Die Nacht zuvor hatten sie im Haus der Witwe Maret verbracht. Andris war bei Einbruch der Dämmerung zurückgekommen und hatte ihnen etwas Brot und ein Stückchen Käse mitgebracht, gerade so viel, dass sie den ärgsten Hunger stillen konnten, um bei Kräften zu bleiben. In einer Ecke des einzigen Raumes der Hütte legten sie sich auf einem Haufen Stroh nieder, von dem ihnen Andris versicherte, dass er es erst kürzlich dort aufgeschüttet hatte, da er auch ab und zu hier schlief. Der Junge brachte ihnen auch eine alte Decke, die er, weiß Gott woher, hatte. Doch es war Anfang November und die Nächte bei Temperaturen um die null Grad schon empfindlich kühl. Sie legten sich dicht beieinander auf das Stroh und deckten sich mit der dünnen Decke, die nicht gerade viel von der Kälte abhielt, zu. Der Schlaf übermannte sie trotz der Gefahren, die um sie her lauerten, bald, und es musste bereits gegen morgen sein, als sie erwachten. Schnell rafften sie ihre wenigen Habseligkeiten auf, und schlichen sich zum Ufer des Grabens.
Das kleine Boot lag in der Tat wie erwartet an einem Steg. Sie banden es los und stiegen hinein. Unter der Last der Beiden drohte es zu kentern und sie ruderten vorsichtig ans andere Ufer, in der Hoffnung, dass sie keiner bemerken würde. Doch das Glück war ihnen hold. Die Häscher Miros wähnten sie bereits außerhalb der Stadt. Auf der anderen Seite schlichen sie sich eine Weile durch das Gestrüpp am Ufer entlang, bis sie an den Rand des Waldes gelangten. Noch bevor die Sonne aufgegangen war, hatten sie ein gutes Stück des Weges hinter sich gebracht, und Falk hoffte, dass sie zunächst ihren Verfolgern entkommen waren.
Seit drei Tagen zerrte Falk sie nun schon durch dichte Wälder, die kein Ende zu nehmen schienen. Er kannte sich recht gut aus in der Gegend. Wahrscheinlich hatte er bereits jedem Hirsch und jeder Wildsau hier seinen Gruß entboten. In den Nächten bereiteten sie sich in Kuhlen oder unter Büschen ein Lager. Doch die Kälte schien sich in Krystinas Knochen eingenistet zu haben und sie beschlich das Gefühl, dass sie sich nie wieder würde erwärmen können. Nur einmal hatten sie einen kleinen Weiler passiert. Falk forderte sie auf, sich in einem dichten Gebüsch zu verstecken, dann war er kommentarlos verschwunden. Zuerst glaubte sie, dass er sie hier zurücklassen wollte, und Verzweiflung überkam sie. Nach einer knappen Stunde war Falk allerdings zurückgekommen, unter dem Wams verbarg er einen Laib Brot, einige Äpfel und ein Stück Speck, welches den Stoff des Kleidungsstücks mit seinem Fett durchdrang. Noch nie war ihr eine einfache Speise als so etwas Himmlisches erschienen. Sie wollte gar nicht wissen, woher die Nahrungsmittel kamen. Denn mit Sicherheit hatte sie ihm niemand freiwillig gegeben. Auch förderte er triumphierend einen längeren, zusammengerollten Draht zu Tage. „Damit wir nicht verhungern“, sagte er augenzwinkernd.
Krystina wusste erst nicht, was er meinte, doch dann dämmerte es ihr, dass er damit eine Schlinge legen konnte, um kleinere Tiere zu fangen. Der Ritter schien also mehr zu können, als nur das Schwert zu schwingen.
Es begann zu regnen. Fielen zuerst nur vereinzelte Tropfen, wandelten sich diese doch bald in einen ständigen dichten Nieselregen, der nach und nach durch ihre Kleider drang. Krystina trottete neben Falk dahin, sich hin und wieder an seinem Wams festhaltend, wenn eine Unebenheit oder eine unter dem Laub verborgene Wurzel sie stolpern ließen. Doch der Ritter schien das gar nicht zu bemerken, zu tief war er in seine eigenen Gedanken versunken. Wieder und wieder spulten sich vor seinem inneren Auge die Ereignisse der letzten Tage ab, und zum wiederholten Male schwor er bittere Rache.
Abrupt blieb Falk stehen und packte Krystina am Arm.
„Was ist?“, fragte sie erschrocken.
„Ich höre Hundegebell“, flüsterte Falk. „Wollen wir hoffen, dass es nur der Köter auf einem einsamen Gehöft hier in der Nähe ist, denn ich weiß von keiner größeren Siedlung, die wir passieren werden.“ Falk schaute sich aufmerksam um und lauschte angestrengt in die Richtung, aus der das Bellen gekommen war. Doch dann meinte er auch das Klirren von Zaumzeug zu vernehmen. „Verdammt!“, fluchte er mit verhaltener Stimme. „Ich hätte es wissen müssen, dass Miro von Louny nicht so leicht aufgibt.“
Krystina schaute ihn voller Entsetzen an. „Glaubt Ihr, sie haben uns schon gesehen?“, fragte sie mit angehaltenem Atem.
„Nein, aber möglicherweise haben die Hunde Witterung aufgenommen“, sagte Falk und nahm ihre Hand. „Uns bleibt nur eins, wir müssen rennen, als wären alle Höllenhunde hinter uns her.“ Damit wandte er sich um, ohne ihre Hand loszulassen und riss sie mit sich fort. Krystina hatte Mühe mit ihm Schritt zu halten, doch Falk dachte nicht daran, ihre Hand loszulassen. Lieber würde er sie hinter sich her schleifen, als sie hier ihrem Schicksal zu überlassen. Nach einer Weile blieb er unvermittelt stehen. Vollkommen überrascht rannte Krystina an ihm vorbei und wurde jäh nach hinten gerissen, da Falk sie noch immer festhielt. Sie stieß einen Schmerzensschrei aus. Falk zog sie rasch zu sich ran und hielt ihr mit der anderen Hand den Mund zu. Schwer atmend lehnte sie sich an seine Brust und er spürte ihr Herz in einem wilden Rhythmus schlagen. Falk schob die junge Frau ein Stück von sich. Als sie ihn verwirrt anschaute, wies er in die Richtung, in der sich der Wald nach und nach zu lichten schien.
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