Je nach Stellung dieses Zeigers kann man beurteilen, ob sich der Wirbel beim Vorwärts- oder Rückwärtsbeugen des Kopfes oder beim Nicken bewegt oder nicht.
>>>Grundlage der Röntgen-Funktions-Analyse ist die Vermessung und Auswertung von Röntgen-Aufnahmen des Schädels und der ganzen Halswirbelsäule in exakt seitlicher Darstellung in normaler Kopfhaltung, Nickstellung, äußerster Vorbeugung und äußerster Rückwärts-beugung.
Dazu werden Linien jeweils vom Ende des harten Gaumens an die hintere äußere Schädelwölbung und von der Mitte des vorderen Bogens des ersten Halswirbels zur Mitte seines hinteren Bogens gezogen sowie von der Mitte des Querfortsatzes des zweiten Halswirbels zur Mitte der hinteren Rückenmarksbegrenzung am Dornfortsatz des zweiten Halswirbels.
Diese Linien bilden untereinander Winkel, welche die Stellung des ersten und zweiten Halswirbels in bezug auf den Hinterkopf und zueinander in den vier Kopfhaltungen zeigen.
Durch Vergleich dieser Winkel untereinander lassen sich die Bewegungen des Genicks beurteilen: Je kleiner der Unterschied der Winkel zueinander, desto geringer die Beweglichkeit des Genicks.
Als wir merkten, dass da vielleicht doch eine Systematik dahintersteckte, haben wir eine Studie mit insgesamt 278 chronischen Kopfschmerzfällen gemacht. Diese Studie lieferte ganz wesentliche Hinweise auf der Suche nach den Ursachen der Migräne. Doch davon später.
Zuvor gab es noch sehr viel Kleinarbeit, viele Ideen, die nichts brachten, viele kleine Schritte vorwärts, fast genauso viele rückwärts.
Ich hatte noch keine Ahnung, wie ich von den Genickproblemen auf den Anfallsverlauf einer Migräne kommen sollte. Es kamen ja nur akute Probleme in Betracht, die aber hatten wir noch gar nicht gesehen. Jedenfalls waren die bisher gesichteten Genickprobleme chronisch, und das passte nicht zum Anfalls-Charakter einer Migräne.
Zufall – Wie ein Röntgenbild Licht ins Dunkel brachte
Auf der Suche nach den akuten Problemen wäre ich vermutlich noch lange im Dunkeln getappt, wäre uns nicht der Zufall ins Haus gekommen in Gestalt eines zwölfjährigen Mädchens.
Das hatte jeden Tag, spätestens jeden zweiten Tag einen Migräne-Anfall, manchmal auch zwei Anfälle innerhalb eines Tages. So was ist extrem selten. Es passt auch nicht ganz in die strenge Einordnung der Migräne nach internationaler Klassifikation. Also kein schulmäßiger Fall. Aber den sehen Schmerztherapeuten sowieso eher selten bis gar nicht.
Dieses Mädchen hatte also fast jeden Tag einen Anfall. Folglich musste auf ihren Röntgenbildern irgendwas zu sehen sein. Seit der Kollege damals den Vortrag über die Atlas-Therapie gehalten und mir danach meinen »notleidenden« Kopf wieder eingerichtet hatte, war ich absolut überzeugt davon, dass Migräne etwas mit dem ersten Halswirbel, sprich Atlas, zu tun haben musste.
Und tatsächlich zeigte das Röntgenbild des Mädchens in der sogenannten HWS-a.p.-Aufnahme (Kopf und Hals von vorn fotografiert) eine Dreh-Fehlstellung des ersten Halswirbels und eine erzwungene Seitneigung des Kopfes zur Anfallsseite. Der erste Halswirbel hatte sich verklemmt, ein akutes Problem aus Sicht des Genicks.
Nun könnte man einwenden, dass dies vielleicht ein Zufall, vielleicht eine der vielen Varianten war, die uns die Natur tagtäglich präsentiert. Also nichts von wirklichem Krankheitswert, erst recht nichts, was in Zusammenhang mit der Migräne des Mädchens entstanden war oder die Migräne des Mädchens auf den Weg gebracht oder noch gewagter: Was die Migräne des Mädchens verursacht hatte. Diese Einwände mussten entkräftet werden.
Ich durchsuchte unser Röntgenarchiv. Gab es weitere Fälle mit gleichartigen Befunden? Hatte ich diese Befunde nur übersehen?
Vom Ausgang der Sucherei hing in diesem Augenblick unglaublich viel ab. Wenn ich nichts gefunden hätte, hätte ich einpacken können. Etwas anderes hätte mir schwerlich einfallen oder, wie ich heute weiß, auch nicht begegnen können.
Denn in der Tat, ich fand die Befunde. Sie waren von Patienten, die ebenfalls im Anfall geröntgt wurden. Das war zu einem Zeitpunkt, zu dem ich überhaupt noch nicht daran dachte, auf weitere Veränderungen im Genick zu achten.
Ich war noch ganz auf die chronischen Probleme des Genicks mit den Bewegungsausfällen beim Nicken und Beugen fixiert. Außerdem waren die Befunde auch nicht ganz so spektakulär wie bei dem Mädchen.
Das ist schon ein eigenartiges Gefühl: Da hast Du etwas entdeckt, was nach Deiner Überzeugung ein Riesending ist, stehst mit einem Mal in völligem Gegensatz zu allen gängigen Lehrmeinungen weltweit.
Du denkst, das muss doch der Nobelpreis sein und fühlst Dich im gleichen Augenblick doch ganz armselig, weil Du die Zusammenhänge überhaupt noch nicht begriffen hast. Die Zusammenhänge zwischen einer vielleicht ganz eindrucksvollen Röntgenaufnahme, die ein vielleicht ganz eindrucksvolles Akutproblem des Genicks zeigt, aber nicht die geringste Spur von Migräne, und vom Migräne-Anfall selbst mit den Schmerzen, der Übelkeit, dem Erbrechen und den ganzen anderen Begleiterscheinungen.
Studie – Röntgen-Bilder bei Migräne und anderen Kopfschmerzen
Wenn einer was beweisen will in der Wissenschaft, macht er eine Studie. Also blieb ich auf den Spuren der Wissenschaft und machte über meine »nobelpreisverdächtige« Entdeckung eine Studie.
Wie schon zuvor erwähnt, wurden dazu 278 Fälle mit chronischem Kopfschmerz untersucht, darunter 169 Migräne-Patienten. Dabei konnten mit Hilfe der Röntgen-Funktions-Analyse der Halswirbelsäule Zusammenhänge zwischen Kopfschmerzen und Veränderungen im Bereich des Genicks aufgedeckt werden.
Migräne-Patienten hatten bis zu 92 Prozent ihrer Genick-Beweglichkeit verloren, im Durchschnitt 86 Prozent.
Migräne-Patienten hatten zu 89 Prozent eine Dreh-Fehlstellung des ersten Halswirbels.
Migräne-Patienten zeigten – im Anfall geröntgt – alle eine erzwungene Seitneigung des Kopfes bei gleichzeitiger Verkantung des ersten Halswirbels.
Diese Ergebnisse hatte ich im Grunde erwartet. Dass sie so deutlich ausfielen, hat mich dennoch überrascht. Jedenfalls war damit klar, dass ich bei dem jungen Mädchen nicht dem puren Zufall auf die Spur gekommen war. Zufällig daran war nur die Röntgenaufnahme im Anfall mit dem sehr deutlichen Befund.
Nach diesen Ergebnissen durfte vermutet werden:
Migräne hängt mit einem akuten Bewegungsverlust des Genicks zusammen.
Der Halbseitenschmerz hängt wahrscheinlich mit der erzwungenen Seitneigung des Kopfes zusammen.
Wie sich aus einem »akuten Genick« die Symptome einer Migräne entwickeln sollten, blieb allerdings auch nach den Ergebnissen der Kopfschmerz-Studie weiterhin rätselhaft.
Beobachtungen – Wie Schulterprobleme Migräne auslösen
Ich will nicht verschweigen, dass ich therapeutisch schon bald größere Schritte tat.
Nach dem armen Teufel von vorhin kamen weitere Patienten, die ich nun mit Zuversicht behandelte. Ich hatte ja gesehen, dass ich mit meiner Therapie was erreichen konnte, wenn ich mich streng an meine eigenen Vorgaben hielt. Behandelt wurde nur die obere und mittlere Halswirbelsäule. Das funktionierte.
Natürlich hatte ich auch ausprobiert, nur die obere Halswirbelsäule zu behandeln. Aber das funktionierte nicht. Was eigentlich im nachhinein betrachtet auch nicht besonders verwunderlich war. Die anatomischen Verhältnisse dort oben sind sowohl von den Nerven als auch von den Muskeln her, die zum Beispiel den ersten Halswirbel bewegen, weiträumiger angelegt. Das geht über vier, fünf Etagen. Als ich das verstanden hatte, war ich mir sicher, dass ich jetzt alle chronischen Kopfschmerzen mit Erfolg behandeln konnte.
Damit hier keine Missverständnisse entstehen: selbstverständlich nur solche Kopfschmerzen, die nichts mit Tumoren, Hirnblutungen, Missbildungen, Hochdruck, Infektionen des Gehirns oder der Hirnhäute und ähnlichem zu tun hatten. Solche Möglichkeiten haben wir immer vorher ausgeschlossen.
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