„Jetzt werde ich mir erst einmal eine hübsche Bleibe herrichten. Ich kann unmöglich den Ort meines Triumpfes vor dem Finale verlassen. Bis zum letzten Moment werde ich es auskosten, solange auch nur noch ein Zwerg lebt. Ach ja, bevor ich es vergesse. Ab morgen weht hier ein anderer Wind. Ich mag es gern behaglich und bin aus dem Norden ein anderes Klima gewohnt. Ein wenig frischer, wie ihr schon bald verstehen werdet.“
Er wendet sich schon zum Gehen, als ihm noch etwas einfällt.
„Ja sagt doch mal, sollte hier nicht auch noch eine kleine Traumfee herumschwirren? Ja wo ist denn die Kleine? Ach, sieh an, da bist du ja, du Hauch eines Träumchens. Hab ich dich aus Versehen mit dem Drachen eingesperrt? Hast dich wohl in der Nase des Drachen versteckt, wo es so schön warm ist. Sichere dir den Platz, du wirst ihn brauchen.“
Anscheinend schwebend verlässt er die Wiese und taucht im dichten dunklen Wald unter. Sein Gelächter ist noch zu hören, als er schon längst den Blicken entschwunden ist.
Die Stille, die sich nach des Alben Auftritt breit macht, ist belastend. Doch keiner ist in der Lage, etwas zu sagen. Noch völlig benommen sitzen oder liegen alle im Gras. Nur Eringus nicht. Der prüft sein Gefängnis, das ihm nur sehr wenig Platz lässt.
„Jetzt sieh dir das einmal an.“, schimpft er und meint damit Jade. Er reckt den Hals nach vorn und drückt sich die Nase an einer klaren durchsichtigen Mauer platt. „Und guck mal hinten.“, nuschelt er dabei und presst seinen Schwanz an eben selbiger Wand krumm. „Vorne drei Schritt, hinten drei Schritt, mehr hat der Verbrecher mir nicht gelassen. Und das kreisrund. Ich kann mich drehen und wenden wie ich will. Die Flügel kann ich auch nicht ausbreiten. Versuch doch mal, ob du oben heraus kommst. Verletz dich aber nicht an der Wand. Wer weiß, ob die überall so glatt ist, wie hier unten. Vielleicht hat der Alb unsichtbare Spitzen oder Kanten eingebaut, die du nicht siehst.“
Augenblicklich schwirrt Jade nach oben. „Autsch. Verdammt. Das war mein Kopf. Moment mal. Ich will mal tasten. Guck mir genau zu. Ich fliege jetzt an der Wand entlang nach oben.“
Die Außenstehenden oder besser, die Außensitzenden können Jade nicht verfolgen, wohl aber der feinsichtige Drache. Er beobachtet, wie Jade sich immer mehr der Mitte des Kreises nähert, während sie immer höher steigt. Etwa auf Wipfelhöhe endlich geht es unbehindert aufwärts.
„Hier komm ich raus.“, jubelt sie und beschleunigt ihren Flug. „Aua. Da ist schon wieder eine Mauer.“ Nachdem sich die Mauer kuppelförmig immer mehr nach oben verjüngt hat, strebt sie über den Bäumen in gleichem Maße wieder auseinander, wie Jades Testflug zeigt.
„Ich kann nicht mehr, Eringus! Höher kann ich nicht!“, ruft sie nach unten. Dann schreit sie: „Ich bin gefangen. Hilfe, ich will hier raus!“
„Komm wieder runter, Jade. Das bringt so nichts. Wir sitzen beide fest. Ich muss jetzt erst einmal überlegen. Ich kann nicht fliegen und außerdem ist der Durchlass für mich zu eng. Du kannst zwar fliegen und kommst durch, aber das Gefängnis ist viel zu hoch.“ Eringus hat sich wieder nieder gelassen.
„So sieht also ein friedlicher Drache aus.“, flüstert Guda zu Beata, die zuerst wieder Worte findet.
„Ja, so sieht ein friedlicher Drache aus.“ Nicht Beata, sondern Eringus gibt die Antwort. „Du musst Guda sein, Beatas Freundin. Ich freue mich, dich kennen zu lernen. Schade nur, dass die Umstände für uns alle mehr als beschissen sind. Verzeih das klare Wort. Tritt näher, auch wenn du Angst vor mir hast. Wie du siehst“, dabei gibt er einen klitzekleinen Feuerstoß in die Höhe ab, „es kann dir nichts passieren. Erst recht nicht, weil ich dir nichts tun will.“
Mit ausgestreckten Armen geht Guda auf den Drachen zu, bis sie den Widerstand der Wand spürt.
„Du siehst nett aus, Guda. Ich denke, ich werde mich gut mit dir vertragen können. Schade, dass ich nicht deinen Geruch aufnehmen kann. Diese vermaledeite Wand ist auch geruchsdicht. Da geht nichts rein und auch nichts raus.
Hey, ihr da draußen. Würdet ihr vielleicht mal ein wenig näher kommen? Wir müssen Rat halten.“
Langsam lösen sich alle aus ihrer Starre und treten an Eringus Gefängnis heran.
„Bitte versammelt euch vor mir. Ich kann zwar trotz Bewegungseinschränkung meinen Kopf bewegen, doch mag ich nicht immer meine Nase an der Wand abputzen. Das sieht mit der Zeit sicher nicht gut aus.“
Als alle vor ihm stehen fährt er fort: „Zur Lösung meines Problems werde ich etwas länger brauchen. Gerbera, mit dir mag ich beginnen. Geh bitte gleich ins Dorf und regele das Nötigste. Schick mir Meister Schachtelhalm. Er wird hier dringend benötigt und sollte morgen früh seine Arbeit beginnen können. Irgendwie müssen wir es hin bekommen, Jade hier heraus zu holen. Ich halte länger aus als sie. Sicher werde ich dich morgen hier auch wieder sehen. Es gilt, die Arbeiten zu verteilen, die ihr Halblinge übernehmen könnt. Vielleicht bringst du dann auch einen jungen Halbling mit, der für dich Botendienste erledigen könnte. Ihr müsst schon mal damit beginnen, die längsten Seile herzustellen, die euch möglich sind.
Mit dir, Sigurd, rede ich gleich.
Dir, liebe Beata, will ich zunächst mein aufrichtiges Beileid aussprechen.“ Beipflichtendes Nicken von Gerbera und Sigurd, nebst: „Ja, von mir auch.“-Gemurmel. „Ich hasse solche Floskeln zwar, doch kommt es nun aus wahrlich tiefstem Herzen. Berichte, was ist passiert mit deiner Mutter?“
Gerbera sollte sich eigentlich schon in ihr Dorf aufmachen, doch die Neugier hält sie fest und Beata erzählt, was sie über die Umstände, die zum Tode Magdas führten, weiß. Sie endet mit: „Also dachte ich, du könntest mir helfen. Unter deinem Druck wird jeder die Wahrheit sprechen.“
„Also hast du einen Verdacht?“, fragt Eringus.
„Es ist mehr eine Vermutung. Niemandem ist bekannt, wer einen Grund für die Tat hätte. Ich habe nur diesen Pfeil und die Beschreibung, die mir Frieder gegeben hat. Vielleicht, dass die in Lanczengeseze einen Grund hätten.“
„Dann ist es aber ein Wunder, warum sie so lange gewartet haben sollten. Immerhin sind seit damals zwanzig Jahre vergangen. Es schadet nichts, dort nachzufragen, doch denke ich eher dass wir dort den Täter nicht finden werden. Du hast nur den Pfeil, wie du sagst. So nimm den Pfeil und wandere durchs Land, wer solch Geschoss schon mal gesehen haben mag. Triffst du auf den Täter, wirst du seine Lüge spüren. Diese Gabe hast du, auch wenn du keine Gedanken lesen kannst. Die andere Möglichkeit wäre, einen Wettbewerb zu veranstalten, für den besten Bogenschützen einen Preis aussetzen und die Pfeile prüfen. Mag sein, der Täter verrät sich dadurch. Ach, ja, noch Eines, bevor du gehst. Wie geht es mit deinen Brüdern und dem kleinen Mädchen weiter? Können sie sich selbst vorstehen?“
„Mehr schlecht als recht, Eringus. Ich dachte Guda bei ihnen zu lassen, bis ich meine Suche beendet habe. Vor allem in der Verteidigung sind sie sehr ungeübt. Das hat Mutter leider versäumt.“
„Dann schlage ich vor, dass sie von einem Zwerg unterrichtet werden. Es dauert zu lange, bis du wieder zu Hause sein wirst. Und einzeln verzögert ein Unterricht auch zu sehr den Erfolg. Doch auch die Arbeit auf dem Hof muss gemacht werden. Sigurd, mein Bester, meinst du, dein Sohn Gernhelm wäre bereit, sich der Knaben anzunehmen und sie zu unterrichten? Im Moment kann er für seine Schwester nur wenig tun, wie ich meine. Da mag es eine gute Ablenkung für ihn sein.“
„Da hast du wohl, wie immer, recht, weiser Drache. Ich werde ihn nicht fragen. Ich werde ihm den königlichen Befehl geben, dem auch er gehorchen muss.“ Und zu Beata gewandt: „Ich werde ihn schicken, sobald ich wieder in Steinenaue bin.“
„Ich danke euch beiden.“, sagt Beata. „Das hilft mir weiter. Doch was ist mit deinem Problem, Eringus?“
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